Buch über Jüdischsein und Identität: Die große Last des Erbes

Deborah Feldman denkt in ihrem neuen Buch darüber nach, was Jüdischsein heute bedeutet. Sie möchte sich frei machen von Zuschreibungen.

Deborah Feldman sitzt mit einem hellen Pulli an eiem leeren Küchentisch und schaut skeptisch in die Kamera

Deborah Feldman denkt in ihrem neuen Buch darüber nach, was Jüdischsein heute bedeutet Foto: Alexa Vachon

Mit ihrem neuen Buch „Judenfetisch“ begibt sich die in New York geborene, seit 2014 in Berlin lebende Schriftstellerin Deborah Feldman auf schwieriges Gelände. Während „Unorthodox“ und „Überbitten“, ihre beiden ersten auf Deutsch erschienen Büchern um ihren Ausstieg aus der Sekte der orthodoxen Satmarer Juden überall Anklang fand, geht es in „Judenfetisch“ um kontrovers diskutierte Fragen der jüdischen Identität, der Erinnerung an den Holocaust, um Deutschland und um Israel.

Wie in ihren Vorgängerbüchern sind es auch hier die eigenen Erfahrungen, die die Autorin zu allgemeinen Überlegungen anregen.

Ausgangspunkt und lockere Rahmenerzählung des Buches bildet eine Reise zum Holocaust-Gedenktag nach Yad ­Vashem. Feldman sollte dort den „neuen deutschen Juden“ repräsentieren. Das sei ihr nicht immer gelungen, schreibt sie, da sie die hiermit verbundenen „fantasievollen Kriterien des Jüdischseins“ nicht erfüllen könne.

Kriterien, denen eine Sehnsucht nach „Zugehörigkeit und Verfremdung“ zugrunde liegen, „die meinem Leben im Wege stehen, die mich immer wieder zurück auf meinen Platz verweisen, wie ein Schulmädchen im Internat“, schreibt Feldman.

Schmerz und Erinnerung

Auf der Gedenkveranstaltung irritiert Feldman zudem dann der Umgang mit einer Holocaust-Überlebenden in einem während der Veranstaltung vorgeführten Interviewfilm. Die Auschwitz-Überlebende, die von ihren Gefühlen überwältigt nicht mehr weitererzählen kann, wird noch minutenlang in ihrer stummen Trauer gezeigt. Sie hatte dasselbe Schicksal wie Deborah Feldmans Großmutter, deren Familie noch am Tag der Ankunft in Auschwitz ermordet wurde.

Deborah Feldman: „Juden­fetisch“. Luchterhand Verlag, München 2023, 272 Seiten, 24 Euro

Es schien Feldman, als „würden sie es mit meiner eigenen Großmutter tun, sie zum Erzählen zwingen, und dann diesen intimen, privaten Schmerz, den sie lebenslang gehütet hat, vor so vielen Menschen bloßstellen … Ich möchte laut aufschreien, dass jemand den Film stoppen muss … aber stattdessen bersten endlich die Tränen aus meinen Augen. Das Ziel ist erreicht, denke ich, egal mit welchen Mitteln.“

In Berlin, in ihrer ersten Zeit, hatte Deborah Feldman eine Art Fabian Wolff kennengelernt. Der junge Mann äußerte sich im Gespräch überrascht, dass sie noch nie in Israel gewesen war. Er behauptete, er spreche Neuhebräisch, brachte dann aber, als sie eine Reise nach Israel machten, kein Wort Ivrit heraus. Dass dieser Mann gar keine jüdische Vorfahren hat, erfuhr Feldman von einem Nachbarn, der zufälligerweise mit ihm zur Schule gegangen war.

Einige Zeit später dann äußerte sich dieser Mann plötzlich journalistisch als Nicht-Jude und kritisierte Israel. Er müsse sich nun von seiner „deutschen Sicht“ befreien, erfährt Feldman wiederum über den ehemaligen Klassenkameraden. „Ist das nicht einfach die andere Seite der Medaille, frage ich meinen Nachbarn. Na eben, klassischer Judenfetisch, antwortete er mir.“

Ein gemeines Wort

„Es ist ein gemeines Wort, keine Frage“, schreibt Feldman. Aber wenn sie an „diesen jungen Mann denke, der mir damals nichts als durch und durch verwirrt vorgekommen war, als verloren auf seinem Lebenspfad und hungrig nach moralischen Antworten, voller Sehnsucht nach einer soziopolitischen Erlösung zu Fragen der Geschichte und wie sie in der Gesellschaft nachwirkten, dann finde ich, dass ein Judenfetisch eigentlich den Träger zum Opfer erklärt.“

Feldman hinterfragt in „Judenfetisch“ die Form der Erinnerung und des Gedenkens an den Holocaust. In ihrer Kindheit und Jugend bei den Satmarer Juden, schreibt sie, wäre nichts so präsent gewesen wie der Holocaust. Er war die Strafe Gottes für die jüdische Assimilation. Um Gottes Zorn zu besänftigen und um einen neuen Holocaust zu verhindern, hatten nach dem Zweiten Weltkrieg die Männer der Gemeinde ihren Anhängern immer strengere Lebensregeln auferlegt.

Feldman wollte dieses Leben, diesen radikalen Verzicht nicht, vor allem nicht für ihren Sohn, der nach ihrer arrangierten Heirat noch in New York zur Welt kam. Er war es, der sie motivierte und ihr den Mut gab, die abgeschottete Welt der Satmarer Juden zu verlassen.

Mit ihm begann sie auch erst in Berlin über den Holocaust zu sprechen. „Der Holocaust gehörte nicht uns“, schreibt sie im Rückblick auf diese Gespräche. „Er war keine riesige Erbmasse, die wir annehmen oder entäußern mussten. Er war ein Stück universelles Erbe, mit dem wir umgingen, nicht weil wir Juden waren, sondern weil wir als Juden Menschen waren.“

Unsere Menschlichkeit

Sie drückte ihrem Sohn Art Spiegelmans Holocaust-Comic „Maus“ in die Hand. Dessen wichtigste Lehre über den Holocaust, so Feldman, sei „nicht etwa die, dass unsere ererbten Rollen uns unsere Handlungen vorschreiben, sondern ganz im Gegenteil, dass unsere Menschlichkeit sich solchen vorherbestimmten Kategorien widersetzt. … Und also schloss mein Sohn dieses Buch nicht in dem Glauben, bestimmte Menschen wären dubios; er schloss es mit dem Verständnis dafür, dass wir all diese Charaktere zugleich sind. Umstände mögen vorschreiben, welche Rollen wir zu welchen Zeiten spielen, aber selbst dann sind wir frei, zu wählen, wie wir uns selbst und wie wir die anderen sehen wollen.“

Manche Stellen in „Judenfetisch“ hätte man sich klarer formuliert gewünscht. Aber es ist dennoch ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über das Judentum in Deutschland, über jüdische Identität und die Erinnerung an den Holocaust jenseits der Fetischisierung. Ein Buch, das auf Versachlichung setzt. Und das darauf hinweist, dass wir bei der Erinnerung und dem Gedenken an den Holocaust das Ziel, „die Voraussetzungen für eine bessere Zukunft zu schaffen“, nicht aus den Augen ver­lieren dürfen.

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