Ausstellung im Kvost in Berlin: Mit einem Hauch von Groteske

Im Schaffen der Künstlerin Zhenia Stepanenko spielen Gartengeräte eine große Rolle. Die Datscha war für viele Ukrainer ein sicherer Ort.

Zhenia Stepanenko

Die Künstlerin wählte die Exponate aufgrund ihrer Erinnerungen an die großväterliche Datscha Foto: Bernd Borchardt

BERLIN taz | Das sind Gespenster“, sagt die ukrainische Künstlerin Zhenia Stepanenko über ihre Werke. Nach einem Besuch ihrer Ausstellung im Kunstverein Kvost in Berlin scheint mir diese Metapher mehr als treffend. Stellen Sie sich den für Sie sichersten Ort der Welt vor. Für viele Ukrai­ne­r:in­nen war das ihre Datscha – ein kleines Stück Land mit einem gemütlichen Häuschen, mit Blumen oder Gemüsebeeten. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass dort Einbrecher waren, die Ihre Blumenbeete zertrampelt, die Fenster des Häuschens eingeschlagen und Ihnen das Gemüse gestohlen haben. Die Einbrecher sind jetzt zwar wieder weg, aber das Gefühl ihrer Anwesenheit bleibt.

Solch ein Gefühl haben aktuell auch viele Be­woh­ne­r:in­nen in den von der russischen Besatzung befreiten Gebieten der Ukraine. Und die Künstlerin Zhenia Stepanenko vermittelt es durch gewöhnliche Gartengeräte, die zum Leben erwacht zu sein scheinen, aber vor Schreck erstarrt sind.

„Es ist eine Mischung aus Gartengeräten und Gegenständen der Selbstverteidigung, aggressiv, aber trotzdem magisch. Ich habe auch Gegenstände erschaffen, die mit spirituellen Praktiken verbunden sind. Das hier sind Biolokationsbögen, die in den 1990er und Nullerjahren populär waren. Man hat sie dazu benutzt, um verschiedene Wesen und Gespenster, Geister und Energiefelder aufzuspüren

Nach der Befreiung bleibt oft die Angst

Was wir hier sehen, ist auch die Geschichte des Gebietes Tschernihiw im Norden der Ukraine, das zu Beginn der russischen Invasion besetzt war. Nach der Befreiung herrschten bei den Menschen Unsicherheit und Angst, dass sich so etwas wiederholen könne. Das wollte ich vermitteln. Diese ständige Unsicherheit und Besorgnis, die sich in dem disfunktionalen Verhalten des Helden, den paranoiden Selbstschutzhandlungen ausdrückt“, sagt die Künstlerin über ihre Arbeit.

Der Beginn des russischen Großangriffs zerstörte das Klischee von der Datscha als sicherem Ort

Als Helden bezeichnet sie ihren Großvater aus dem Gebiet Tscher­nihiw. Er liebte seine Datscha sehr. Das Häuschen hatte er selber gebaut, er experimentierte viel mit Pflanzen. Die Datscha war vielleicht mit das Wertvollste in seinem Leben. Die Künstlerin stellt ihren Großvater als komplexe Persönlichkeit dar, die unterschiedlichsten Emotionen ausgesetzt war. Auf diese Weise versucht Stepanenko, das obsessives Gefühl einer möglichen Katastrophe hervorzurufen.

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„Mein Großvater ist schon lange tot, aber hier findet ein Dialog zwischen zwei Geistern statt. Der eine ist der Geist meines Großvaters, ein ganz gewöhnlicher, durchschnittlicher Mensch, der alle guten Eigenschaften in sich trägt: die Liebe zum Gärtnern, die Leidenschaft bei der Gartenarbeit. Die zweite Figur – das ist der Geist des Traumas, das nach der Okkupation durch die russische Armee zurückblieb. Der Geist, das ist das, was keine Ruhe finden kann“, sagt Zhenia Stepanenko.

Der Beginn des russischen Großangriffs zerstörte das Klischee von der Datscha als sicherem Ort. Viele Ukrainer flohen damals aus den Städten auf ihre Wochenendgrundstücke, in der Hoffnung, dort Schutz zu finden. Aber gerade in der Umgebung dieser Städte wurde es am gefährlichsten. Auf dem Weg zur Eroberung der Großstädte zogen die russischen Soldaten hier schießend und zerstörend durch.

Auch ich habe zu Beginn des großen Krieges in der Ukraine meine zwei Kinder auf eine Datscha gebracht, in der Hoffnung, dass es dort ruhiger sei. Und meine Tante, die im Gebiet Charkiw unter russischer Besatzung gelebt hat, hat auf ihrer Datscha Kartoffeln und Zwiebeln angebaut, was ihr geholfen hat, letztlich zu überleben.

Die Kuratorin der Ausstellung „All the Dots Connected Form an Open Space Within“, Marija Petrovic, sagt, dass der Grundgedanke der Ausstellung – die Liebe zur Natur, zu ihrem Zuhause – in den Werken spürbar und sichtbar ist. Aber die scharfen, spitzen Elemente der Exponate verweisen auch auf die Fähigkeit zur Selbstverteidigung.

Zhenia Stepanenko

Alle Exponate wurden in der Ukraine auf lokalen Märkten in der Ukraine gekauft Foto: Bernd Borchardt

„Die Augen der Exponate begannen, anders lebendig zu werden, eine andere Kraft lag in ihnen. Als das Gefühl der Sicherheit verloren ging, entstand etwas Neues: nicht nur Angst, sondern auch der Wunsch, sich selber zu verteidigen. Ein einfacher Gartenpilz ist mit einem Gerät zur Suche von Energiefeldern und einer Falle ausgestattet. Zhenia Stepanenko führt verschiedene Materialien zusammen, mit manchen muss man vorsichtig umgehen, weil sie scharf und gefährlich sind“, beschreibt Marija Petrovic ihre Eindrücke von der Ausstellung.

Erinnerungen aus der Kindheit der Künstlerin

Alle Exponate wurden in der Ukraine auf lokalen Märkten gekauft. Die Künstlerin wählte sie aufgrund ihrer persönlichen Erinnerungen an die großväterliche Datscha, Erinnerungssplittern aus ihrer Kindheit und nach den Gefühlen, die die Besatzung ihrer Heimat in ihr auslöste, aus.

Zhenia geht mit Verspieltheit und einem Hauch von Groteske an ihre Werke heran. Sie benutzt rostige Gartengeräte, die die tiefe Verbundenheit mit dem Garten zu symbolisieren scheinen, die Idee des Halbverlassenen. Da Ausführen der Exponate aus der Ukraine hätte zum Problem werden können – Jetzt kann man den Dialog der Gespenster in Berlin anhören und betrachten.

Aus dem Russischen: Gaby Coldewey

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