Ausstellung in der ngbk: Die ewige Peripherie

„Gastarbeiter 2.0 – Arbeit Means Rad“: Künst­le­r*in­nen aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens widmen sich in der ngbK Arbeit, Klasse und Migration.

Zwei Menschen raufen neben den Säulen einer Kathedrale

Die Mühen der Anpassung: Bojan Stojčić, „Die Deutsche Turnkunst“ (Detail), 2020 Foto: Courtesy of the artist

Der Balkan ist für Westeuropa nicht nur ein Raum für klischeehafte Assoziationen (rückständig, unzivilisiert, primitiv etc.), sondern auch ein Raum, den es wirtschaftlich und politisch zu kontrollieren gilt. Die Autorin Tanja Petrović spricht in ihrem Buch „Yuropa“ von kolonialen Verhältnissen, von einem Macht- und Arroganzgefälle zwischen Zentrum und Peripherie.

Das westliche Europa lockt südosteuropäische Staaten in die EU, es diktiert die Regeln, erschließt neue Absatzmärkte und zieht Arbeitskräfte ab, wobei diesen nicht viel mehr geboten wird als niedrige Löhne und prekäre Arbeitsbedingungen.

Die Ausstellung „Gastarbeiter 2.0 – Arbeit Means Rad“ in der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) widmet sich diesem Komplex aus Migration, Arbeit und historisch gewachsenen Abhängigkeiten. Die Übersetzung im Titel („Rad“ bedeutet „Arbeit“) dürfte sich nicht an sogenannte Gast­ar­bei­te­r*in­nen selbst richten, deutsche Begriffe wie „Arbeit“ oder „Baustelle“ in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens werden landläufig verstanden, was auf eine lange Geschichte der Arbeitsmigration verweist.

Insbesondere in den späten 1960er und 1970er Jahren migrierten viele Menschen aus Jugoslawien nach Deutschland. Die Wirtschaft benötigte zu dieser Zeit Arbeitskräfte in der Industrie, im Bergbau und im Bauwesen. Auch heute arbeiten Menschen aus dem postjugoslawischen Raum und Albanien in Deutschland vor allem in Bereichen, die mit harter körperlicher Arbeit und wenig Geld verbunden sind.

Erscheinungsformen migrantischer Arbeit

Die Künstlerin Nikoleta Marković nimmt in der auf einem Comic basierenden Videoarbeit „Daily Struggles“ die Bauarbeiter, die sie vor ihrer Berliner Wohnung beobachtet, zum Anlass, über Erscheinungsformen migrantischer Arbeit und die eigene soziale Position nachzudenken. Im Unterschied dazu setzt der Künstler Siniša Labrović am Potenzial des eigenen Körpers an.

In der Performance „Work on Yourself“, deren Aufzeichnung zu sehen ist, stellt er berühmte Figuren der Kunstgeschichte nach – den gekreuzigten Christus, den Diskuswerfer von Myron –, gymnastische Übungen leitet er aus ihnen ab, um die kräftetzehrenden Anforderungen an das arbeitende Selbst zu verdeutlichen. Nebenbei stellt er, mit Hammer und Sichel in der Hand, Parallelen zwischen Fitnessstudio und Bergwerk, zwischen kapitalistischer und sozialistischer Körperkonditionierung her.

„Gastarbeiter 2.0 – Arbeit Means Rad“, nGbK, bis 16. Juni

Von Körpern und deren Arbeitsleistung handelt auch die Videoinstallation „Die Deutsche Turnkunst“ von Bojan Stojčić, wenn auch im übertragenen Sinne. Sie zeigt, wie die Mühen der Anpassung für die Eingewanderten zu einer endlosen (und teilweise absurden) Tortur werden können, ohne dass ihre Leistungen gesehen oder mit einem Gefühl von Zugehörigkeit belohnt würden.

Auch Jelena Vukmanović verhandelt den unsicheren Status von Migrant*innen. In ihrer Arbeit „Oktober 2020 – März 2024“ hängt sie 100 Briefumschläge an die Wand, die ihr von Ämtern zugesandt wurden, auf diese Weise macht sie den bürokratischen, zähen Prozess hinter der Migration greifbar.

Menschen fliehen vor kapitalistischen Zumutungen

Menschen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kroatien, Montenegro, Kosovo, Nordmazedonien und Slowenien migrieren aus verschiedenen Gründen weiterhin nach Deutschland. Auch wenn die Zahlen heute andere sind als zur Zeit der Anwerbeabkommen und sich die Verhältnisse in den Heimatländern radikal gewandelt haben – so fliehen die Menschen heute nicht vor sozialistischen, sondern vor kapitalistischen Zumutungen –, lassen sich Kontinuitäten in der Verrichtung von und in der Subjektivierung durch Arbeit feststellen.

So eine Prämisse der Ausstellung. Ihr Fokus liegt weniger auf kontextuellen Erläuterungen oder der Veränderung von Arbeitswelten im Laufe der Zeit (wie der Titel vermuten lassen könnte), vielmehr bietet sie Raum für einzelne künstlerisch-biografische Positionen mit spezifischen Erfahrungen im Spannungsfeld aus Arbeit, Klasse und Migration.

Zur „Gastarbeit 2.0“ kann so auch die Arbeit von Künst­le­r*in­nen selbst gezählt werden, die ähnlichen Mechanismen der Unterordnung und Ausbeutung unterworfen sein kann. Alltägliche Formen von migrantischer Arbeit in Landwirtschaft, Gesundheitswesen oder im Dienstleitungssektor bleiben jedoch merkwürdig unsichtbar.

Die (post)jugoslawische und albanische Einwanderungsgeschichte ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil der deutschen Migrationsgeschichte; die komplexen Verhältnisse dauern, wenn auch unter anderen Vorzeichen, bis heute an. Um diese oft unbemerkten Verbindungen zu entdecken, bietet die Ausstellung „Gastarbeiter 2.0 – Arbeit Means Rad“, einen Ausgangspunkt.

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