Gehirn-Implantate von Neuralink: Musks Spiel mit der Hoffnung

Mit Gehirn-Implantaten sollen gelähmte Menschen mehr Unabhängigkeit erlangen. Elon Musks Firma Neuralink sorgt für einen Hype. Die Realität ist steiniger.

Elon Musk gestikuliert.

Übertreibt gerne: Milliardär Elon Musk Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Hunde wuseln durch die Wohnung, Jamiroquais „Virtual Insanity“ plätschert im Hintergrund und mitten im Bild sitzt der 29-jährige Noland Arbaugh. Seit einem Tauchunfall ist er ab unterhalb der Schultern gelähmt. Die Musik ausschalten, Schach spielen, in Videospiele vertiefen? Schwierig. Bis er bei einer Operation ein Implantat in sein Gehirn eingesetzt bekam. Nun kann er mithilfe von bewussten Gedanken Dinge steuern, zum Beispiel einen Cursor auf dem Bildschirm.

Die Szene ist aus einem Video des US-Unternehmens Neuralink, das jüngst breit auf Social Media geteilt wurde. Neuralink ist eine der Firmen aus dem Musk-Universum und Arbaugh der erste Patient, dem die Firma nach eigenem Bekunden ein Implantat eingesetzt hat. Das Video, im Selfie-Modus gemeinsam mit einem Neuralink-Mitarbeiter aufgenommen, wirkt gerade wegen seiner vermeintlichen Spontanität beeindruckend und authentisch, auch wenn man davon ausgehen muss, dass es sorgfältig choreografiert wurde.

Das gilt es, im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich bewusst macht, was die Firma nicht zeigt oder anderweitig publiziert. Denn im Musk-Universum gilt: Egal ob Hyperloop, Elektroautos oder eben Gehirn-Computer-Schnittstellen – die Verpackung sieht immer erst mal gut aus. Aber wenn man sie öffnet, wirkt der Inhalt weniger überzeugend.

Wissenschaftlich erkenntnisfrei

Neun Minuten lang ist das Neuralink-Video. Das ist deutlich kürzer, als es dauert, eine durchschnittliche Studie zu dem Thema zu lesen. Aber auch so wäre genug Zeit gewesen, ein paar der drängenden Fragen zu klären. Zum Beispiel: Was für ein Implantat wurde verwendet, wie und in welcher Gehirnregion wurde es eingesetzt und wie funktioniert es? Wie lange wird es voraussichtlich haltbar sein? Wo liegen die Grenzen und Probleme der genutzten Technologie? Und was passiert, wenn Neuralink eines Tages pleitegeht – bei einer Musk-Firma ja nicht völlig aus der Luft gegriffen?

In Australien musste eine Patientin mit Epilepsie ein Implantat, das sie vor sich ankündigenden Anfällen warnte, nach der Insolvenz des Herstellers wieder abgeben. Forscher:innen, die den Fall im Rahmen einer wissenschaftlichen Publikation untersuchten, sehen das als möglichen Verstoß gegen die Menschenrechte.

Das alles sind Fragen, die möglicherweise unbequeme Antworten nach sich ziehen würden. Dazu kommt: Es ist zu erwarten, dass sie bei Neuralink selbst nicht einmal alle Antworten kennen. Stattdessen geht es in dem Video darum, wie Arbaugh nun in der Lage ist, das Videospiel Civilization 6 zu zocken. Man darf das nicht unterbewerten, denn auch Computerspiele können ein Stück Normalität, Lebensqualität und soziale Teilhabe bedeuten. Aber an einem kritischen Moment kommt das Video zum Ende, gerade, als Arbaugh erklärt, es gebe schon ein paar „issues“ – ein milderes Wort für Probleme. Welche das sind, bleibt im Dunkeln.

Steiniger Weg

Die wissenschaftliche Forschung zum Thema Gehirn-Computer-Schnittstelle skizziert die Situation deutlich steiniger, als es in dem so locker daherkommenden Video von Neuralink der Fall ist. So zum Beispiel im Fall einer ALS-Patientin in den Niederlanden. ALS steht für Amyotrophe Lateralsklerose und ist eine Nervenkrankheit, die nach und nach den gesamten Körper befällt und lähmt. Die Patientin konnte mit einem Implantat nach und nach lernen, einen Cursor auf einem Bildschirm anzusteuern, ihn dann gezielt zu bestimmten Buchstaben zu bewegen und so zu kommunizieren. Dauer des Trainings: fast ein halbes Jahr.

Das Neuralink-Video ist in Wahrheit vor allem eine Werbemaßnahme für Musks Unternehmen

Neuralinks Beitrag, der daherkommt, als wolle er zeigen, was aktuell Stand der Wissenschaft ist, ist also in Wahrheit vor allem eine Werbemaßnahme für Musks Unternehmen. Eine, die sicher gut ankommt bei potenziellen Investor:innen. Besser jedenfalls als die Berichte über eine unnötig hohe Zahl an Versuchstieren, Fehler bei den Operationen an diesen und die Kritik an einem von der Unternehmensführung aufgebauten immensen Zeit- und Erfolgsdruck, die Neuralink in der Vergangenheit begleitet haben.

Hoffnung ist eine wertvolle Ressource

Doch Musk spielt hier mit der Hoffnung von Menschen, die gelähmt sind, die unter den Folgen von ALS oder Schlaganfällen leiden und mit der Hoffnung ihrer Angehörigen. Für diese Pa­ti­en­t:in­nen könnten Gehirn-Computer-Schnittstellen eines Tages Linderung schaffen, die Kommunikation mit anderen Menschen ermöglichen oder sogar das Bewegen zuvor gelähmter Gliedmaßen. Aber dieser Tag ist eben noch nicht in Sicht.

Drei in der Fachwelt breit rezipierte Beispiele aus dem vergangenen Jahr: Ein nach einem Unfall querschnittsgelähmter Patient, der nach der Implantation einer Gehirn-Rückenmarks-Schnittstelle und konsequentem Training wieder laufen kann. Eine Patientin mit schweren Schlaganfall-Folgen und ein Patient mit ALS, denen Implantate und Software dabei helfen, bewusst gedachte Wörter auf einem Bildschirm erscheinen zu lassen. Der maßgebliche Fortschritt bei Letzteren: Die Kommunikation geht hier deutlich schneller als bei früheren Ansätzen, liegt aber immer noch etwa beim halben Tempo einer üblichen Unterhaltung.

Teil dieser Studien war immer die Diskussion über Probleme und Hürden. Zum Beispiel, dass die Pa­ti­en­t:in­nen die Bereitschaft für ein monatelanges Training mitbringen müssen. Dass Alter und Begleiterkrankungen das Training erschweren oder unmöglich machen könnten. Dass eine Operation immer ein Risko birgt. Dass die Alltagstauglichkeit der Schnittstellen erst noch erprobt werden muss. Dass sich manchmal um die Gehirnelektroden Narben bilden, die die Funktionsfähigkeit beeinträchtigen können.

Elon Musk dagegen hat schon bei der Beschleunigungsfähigkeit des Tesla-Cybertrucks übertrieben und bei dem Video eines wäschefaltenden Roboters der gleichen Firma verschwiegen, dass dieser die Bewegungen nicht autonom durchführen kann, sondern nur mit Steuerung. Für alle Pa­ti­en­t:in­nen bleibt zu hoffen, dass Neuralink auf redlicheren Wegen unterwegs ist.

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schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.

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