Queere Institution in Prenzlauer Berg: Kastanienallee soll tuntig bleiben

Nach einem Eigentümerwechsel droht dem legendären Tuntenhaus in Prenzlauer Berg das Aus. Die Be­woh­ne­r*in­nen fordern das Vorkaufsrechts.

Das Tuntenhaus auf der Kastanienallee. An der Hausfasade steht Kapitalismus tötet, zerstört

Klos auf halber Treppe und Ofenheizung: das Tuntenhaus an der Kastanienallee im Bengaloschein Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Es ist eine Institution in Berlins queerer Szene, deren Anfänge bis in die Wendezeit zurückreichen. „Kapitalismus normiert, zerstört, tötet“, steht in großen weißen Lettern an der Fassade des Hauses. Seit Kurzem hängt daneben das Banner „Tuntenhaus retten“. Denn das Wohnprojekt Tuntenhaus in der Kastanienallee 86 in Prenzlauer Berg ist verkauft worden.

Nicht nur die Be­woh­ne­r*in­nen drohen verdrängt zu werden. Berlin könnte bald auch eine weitere seiner ohnehin schwindenden alternativen Adressen verlieren. „Wir sind eines der letzten nicht durchsanierten Häuser auf der Castingallee“, sagt Stefanie Gras, eine der Bewohner*innen, zur taz. Mit Blick auf die aufgrund der vielen hippen Be­su­che­r*in­nen Castingallee geschimpften Kastanienallee müsse man sich nur einmal auf Immobilienplattformen die Kauf- oder Mietpreise für Wohnungen anschauen. „Dann ist klar, was uns droht“, sagt Gras.

Seit Mitte Februar liegt dem Bezirk Pankow der Kaufvertrag vor. An wen das Haus verkauft worden ist, darüber werden von offizieller Stelle keine Angaben gemacht. Allen ist zugleich bewusst: Ein unsaniertes Haus in einer attraktiven Lage wie dieser bietet erhebliche Renditemöglichkeiten, etwa wenn im Zuge einer Sanierung und Aufteilung des Hauses Eigentumswohnungen entstehen.

„Wir sind eine queere, diverse 36-köpfige Gruppe, die auf dieses Haus angewiesen ist, weil wir uns weder hohe Mieten leisten können noch vor Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sicher sind“, sagt Stefanie Gras. Sie selbst wohne seit 20 Jahren im Tuntenhaus. Auch ihre Art des Zusammenlebens als große Wohngemeinschaft stehe auf dem Spiel, falls aus dem Haus lauter Ein- oder Zweizimmerwohnungen gemacht würden, befürchtet sie.

Art des Zusammenlebens steht auf dem Spiel

Die Hausgemeinschaft fordert deshalb vom Bezirk, das Vorkaufsrecht für das Haus auszuüben. Das würde bedeuten, dass ein gemeinwohlorientierter Dritter wie eine Genossenschaft oder ein landeseigenes Wohnungsunternehmen anstelle des eigentlichen Käufers in den Kaufvertrag eingesetzt wird. Dafür gibt es keine Erfolgsgarantie. Ganz im Gegenteil müssen zunächst viele Hebel in Bewegung gesetzt werden. Und die Zeit drängt. Mitte Mai läuft die Frist aus.

Am vergangenen Mittwoch fand zusammen mit dem Bezirksamt bereits eine Besichtigung des Hauses statt. Zwar werde bei jedem Grundstück standardmäßig eine Prüfung durchgeführt: „Dem Bezirksamt Pankow ist die Besonderheit des Hauses und seiner Be­woh­ne­r*in­nen aber natürlich bekannt und es wäre sicherlich wünschenswert, dieses Leuchtturmprojekt, das in besonderem Maße für Berlin als einer Stadt der Vielfalt steht, erhalten zu können“, teilt Pankows zuständiger Bezirksstadtrat Cornelius Bechtler (Grüne) der taz mit.

Damit das Vorkaufsrecht überhaupt ausgeübt werden kann, muss das Haus einen „städtebaulichen Missstand“ darstellen, konkreter formuliert: in einem schlechten Zustand sein. Toiletten auf halber Treppe, Ofenheizung, fehlende Bäder: Dass das Haus nicht die gängigen Wohnstandards erfüllt, liegt auf der Hand. „Der bisherige Eigentümer hat bislang nichts in das Haus investiert, deshalb gibt es einen erheblichen Sanierungsstau“, sagt Stefanie Gras.

Die Mängel werden aktuell im Bezirksamt ausgewertet. Auch wenn diese Voraussetzung gegeben sein sollte, ist der Vorkauf kein Selbstläufer. Eine Hürde könnte das Finden eines sogenannten Drittkäufers darstellen, der in der Lage ist, den Kaufpreis aufzubringen und „die gegebenenfalls vorliegenden erheblichen baulichen Missstände unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Grundstücks und vor allem unter Berücksichtigung der Interessen der Mie­ter*in­nen zu beseitigen“, so Grünen-Politiker Bechtler.

Tunten mit langer Widerstandsgeschichte

Zwar ist über den Kaufpreis bislang nichts bekannt. Letztlich dürfte ein Vorkauf, falls ein landeseigenes Wohnungsunternehmen zum Zug kommt, wahrscheinlich nicht ohne Zuschüsse möglich sein. Die Senatsfinanzverwaltung teilt auf taz-Anfrage gleichwohl aber bereits mit, dass sämtliche Mittel, die für die Ausübung von Vorkaufsrechten zur Verfügung standen, „vollständig verausgabt oder durch verbindliche Zusagen bereits gebunden“ seien.

Es wäre nicht das erste Mal, dass das Tuntenhaus kurz vor dem Aus steht. Die Anfänge des heutigen Tuntenhauses gehen zurück auf die Hausbesetzungen in der Mainzer Straße nach der Wende 1990. Haus­be­set­ze­r*in­nen vor allem aus Westberlin übernahmen damals im Osten der Stadt ein Dutzend Häuser in dem Friedrichshainer Straßenzug. Das Tuntenhaus mit der Hausnummer 4 war eines der ersten, das damals bewohnbar gemacht wurde, und zugleich das Aushängeschild für die Hausbesetzer in der ganzen Straße. Auch vor der Räumung der Mainzer Straße im November 1990, samt Straßenschlacht, verhandelten Ver­tre­te­r*in­nen des Senats mit den Be­set­ze­r*in­nen im Tuntenhaus. Genutzt hatte es nichts.

Jeden Samstagnachmittag Proteste

Ein Teil der Be­woh­ne­r*in­nen zog nach der Räumung in die Kastanienallee 86. Die Wohnverhältnisse wurden legalisiert. Durch die Rückübertragungen in der DDR enteigneter Grundstücke und einen anschließenden Verkauf landete das Haus schließlich bei einer Eigentümergesellschaft. Auf Angebote der Be­woh­ne­r*in­nen, das Haus für 2 Millionen Euro selbst zu kaufen, ging der Eigentümer in den vergangenen Jahren nicht ein.

„Wir sind immer noch eine Institution für einen großen Teil der Szene“, sagt Stefanie Gras. Zusammen mit dem „Café Morgenrot“ und dem „Buchladen zur schwankenden Weltkugel“ sei das Haus eine Anlaufstelle im Kiez. Bereits am vergangenen Samstag hatten Gras und ihre Mit­be­woh­ne­r*in­nen vor dem Haus mit einer Kundgebung protestiert.

Jeden Samstagnachmittag will man das jetzt wiederholen. Am 14. April wollen die Tun­ten­häus­le­r*in­nen zudem mit einer Tanzdemonstration auf ihren Fall aufmerksam machen. Denn das Beispiel des erfolgreichen Vorkaufs in der Neuköllner Weichselstraße 52 im November vergangenes Jahr hatte gezeigt: Es braucht Druck, um politische Unterstützung zu erhalten.

Das erste Kapitel Tuntenhaus endete in Berlin mit der vom Senat brutal durchgezogenen Räumung. Damit das zweite Kapitel nicht mit den Verwertungsinteressen eines Investors endet, wird es dieses Mal die Unterstützung des Senats brauchen.

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