Wegen RAF-Äußerung: Kulturzentrum wirft Rote Hilfe raus

Göttinger KAZ zieht Ausstellungszusage zum 100-jährigen Jubiläum zurück. Grund ist eine Stellungnahme zur Festnahme der RAF-Terroristin Klette.

Demonstrationsaufruf der Roten Hilfe: Plakat mit gereckten Fäusten

Eckt notwendigerweise an: Plakat der Roten Hilfe Foto: Jürgen Ritter/imago

GÖTTINGEN taz | Kurz vor der geplanten Eröffnung hat das Göttinger Kulturzentrum KAZ eine Ausstellung zum 100-jährigen Bestehen der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe abgesagt. In einer kurzen Mitteilung begründeten die KAZ-Geschäftsführerinnen Suse Köwing und Anne Moldenhauer die Entscheidung mit einer Stellungnahme von Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe zur Festnahme des früheren mutmaßlichen RAF-Mitglieds Daniela Klette am 27. Februar in Berlin.

Sommerfeld hatte die Festnahme als Ergebnis „einer jahrzehntelangen Verfolgungswut und dem staatlichen Rachebedürfnis (sic!) gegen ehemalige Mitglieder der Stadtguerilla-Gruppen“ bezeichnet. Sie befürchte, dass in einem neuen RAF-Verfahren „sämtliche rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt werden, um eine möglichst hohe Haftstrafe zu erreichen und Reuebekundungen zu erpressen“.

Zu erwarten sei ein „politisch motivierter Gesinnungsprozess“. Schon in früheren RAF-Prozessen seien allen Beschuldigten sämtliche Taten während der Zeit ihrer Mitgliedschaft zur Last gelegt worden.

Nach den Worten von Köwing und Moldenhauer steht die in Sommerfelds Einlassung zum Ausdruck kommende Haltung gegenüber gewalttätigen und kriminellen Terroristen nicht im Einklang mit den Werten des KAZ: „Aus diesem Grund haben wir uns gegen das Zeigen der Ausstellung in den Räumen des KAZ entschieden, das ist keine nachträgliche Distanzierung zu den Inhalten der Ausstellung über die 100-jährige Geschichte der Roten Hilfe.“

Absage stößt auf Unverständnis

Die Ausstellung und ein im Rahmenprogramm laufender Film sollen nach den Worten von Mitorganisator Mohan Ramaswamy einen Bogen von der Anfangszeit der Roten Hilfe in der Weimarer Republik über die Illegalität während der NS-Zeit und die Neugründung in den frühen 1970er-Jahren bis heute schlagen.

Die Organisation war am 1. Oktober 1924 offiziell gegründet worden. Ende 2023 waren knapp 15.000 Frauen und Männer Mitglieder des eingetragenen Vereins. Die Rote Hilfe hat etwa 40 Orts- und Regionalgruppen, eine Bundesgeschäftsstelle in Göttingen und einen Literaturvertrieb in Kiel.

Das „Kommunikations- und Aktionszentrum“ KAZ besteht seit 1976. Es ging aus der alternativen Kulturbewegung hervor und wird von der Stadt Göttingen gefördert, 2023 mit 151.000 Euro. Es erhält zudem einen Zuschuss des Landschaftsverbandes Südniedersachsen und des Landkreises Göttingen. Rund 50 KAZ-Gruppen nutzen das Zentrum vor allem für kulturelle Aktivitäten.

Bei mehreren Organisationen stößt die Absage der Ausstellung auf Unverständnis. Die Rote Hilfe sei als 100-jährige Hilfs- und Solidaritätsorganisation sicherlich nicht fehlerfrei, eine historische Ausstellung sei jedoch „eine Dokumentation und keine Propagandashow“, so die autonome Gruppe redical [M]. Im Übrigen merke Rote Hilfe-Vorständlerin Sommerfeld völlig zu Recht an, dass bei künftigen RAF-Prozessen wieder politisches Strafrecht zum Zuge komme.

Der Kreisverband der „Partei“ dachte zunächst „an einen raffinierten Gag zur Eröffnung“

„Wir leben nicht mehr im Deutschen Herbst“, stellt die redical [M] fest. Heute zögen sich die Spuren brennender Flüchtlingsunterkünfte und der Mordserie des NSU durch das vereinigte Deutschland. „Wer sich gerade jetzt auf vermeintlich ‚Linksextreme‘ stürzt und gleichzeitig wieder Unterkünfte brennen, Menschen sterben und die AfD mit hohen Prozentzahlen in Landtage einzieht, hat den Gong nicht gehört.“

Der Göttinger Kreisverband der „Partei“ dachte zunächst „an einen raffinierten Gag zur Eröffnung der Ausstellung, denn die Begründung konnte eigentlich nur satirisch gemeint sein“. Anders sei nicht zu erklären, dass man einer Organisation, deren Aufgabe die Unterstützung von linken Ak­ti­vis­t:in­nen gegen Staatswillkür sei, vorwerfe, dass sie der Festnahme und der zur erwartenden Behandlung Klettes Skepsis entgegenbringe“.

„Partei“-Schatzmeister Marcel Orth sattelt noch drauf: „Wer bei der Thematik RAF nicht sofort eine Hinrichtung der gefährlichen Links­ter­ro­ris­t:in­nen fordert, macht sich im bürgerlichen Lager grundsätzlich verdächtig“, meint er. „Wenn man dann auch noch Zweifel hinsichtlich der rechtsstaatlichen Standards in den RAF-Verfahren hegt, ist man quasi schon selbst Mitglied einer linken Zelle und plant insgeheim den nächsten Anschlag.“

Dabei sei eben die Kritik an den Justizbehörden und der Polizei hinsichtlich des unterschiedlichen Umgangs mit linker und rechter Gewalt das Kernthema sowohl der Roten Hilfe, als auch dieser Ausstellung. Die Absage sei „eine verpasste Chance, zu zeigen, dass sich etwas geändert hat“. Die „Partei“ rief dazu auf, Räume zur Verfügung zu stellen, damit die Ausstellung doch noch stattfinden kann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.