Präsidentschaftswahl in Aserbaidschan: Neues Narrativ gesucht

Bergkarabach hat sich Aserbaidschan bereits einverleibt. Für die kommende Amtszeit muss sich Dauerpräsident Alijew eine andere Legitimation überlegen.

Ein Unterstützer von Amtsinhaber Ilham Alijew sitzt lachend im Auto und hält freudig eine Flagge Aserbeidschans aus dem Fenster

Siegesjubel in Aserbaidschan – aber wofür eigentlich?

Viel mehr geht nicht: Über 90 Prozent der Stimmen für Amtsinhaber Ilham Alijew lautet das Ergebnis der aserbaidschanischen Präsidentenwahl vom Mittwoch. Doch von einer freien und fairen Abstimmung in der Südkaukasusrepublik kann keine Rede sein. Die Veranstaltung war, wie alle Wahlen seit Dekaden, eine Farce.

Die politische Opposition boykottierte den Urnengang. Sechs sogenannte Mitbewerber feierten den Autokraten als Sieger ab, dem es gelungen sei, mit der Rückholung von Bergkarabach im vergangenen Herbst die Souveränität Aserbaidschans über sein gesamtes Staatsgebiet wiederherzustellen. Der für Baku erfreuliche Begleitumstand dabei ist, dass rund 100.000 Ar­me­nie­r*in­nen die Region fluchtartig verlassen haben. Dank massiver Repressionen sind die wenigen noch verbliebenen regierungskritischen Medien zum Schweigen gebracht.

Nun also weitere sieben Jahre Alijew, die glorreiche neue Ära kann beginnen. Doch Obacht: Die Zeiten für den Dauerpräsidenten, dem mittlerweile auch das Image seines Regimes im Ausland egal zu sein scheint, könnten ungemütlich werden. Bislang war das Narrativ, den Feind Armenien in die Knie zu zwingen und die Kontrolle über Bergkarabach zurückzuerlangen. Jetzt braucht es, um die eigene Macht zu legitimieren, eine neue Erzählung.

Sollbruchstellen im Land werden sichtbar

Und genau da liegt das Problem. Denn Bergkarabach, wohin die Regierung horrende Summen für den Wiederaufbau pumpt, macht die Menschen nicht satt. Die Wirtschaft Aserbaidschans stagniert, die Arbeitslosigkeit in den ländlichen, abgehängten Gegenden ist hoch. Auch das Gesundheits- und Bildungswesen ist ausbaufähig. Alle diese Sollbruchstellen werden sicht- und spürbarer, je mehr sich die Siegeseuphorie verflüchtigt. Sie könnten entsprechende Unmutsbekundungen nach sich ziehen.

Um von der innenpolitischen Misere abzulenken, bieten sich für Aserbaidschans Staatsführung weitere militärische Abenteuer an. Der Süden Armeniens oder ein Korridor nach Nachitschewan – eine aserbaidschanische Kleinstrepublik, die von Armenien umschlossen ist. Die traurige Gewissheit ist, dass die westlichen Staaten – viele von ihnen mit Baku gut im Gas- und Ölgeschäft auch dann wieder tatenlos zusehen werden.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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