Die Wahrheit: Boomer-Rant mit Eis

Was macht denn da der Hipster-Eis-Dieler? Das ist doch kein … niemals … auf keinen Fall … so nicht! Das ist ganz sicher nicht die reine Lehre!

Ich habe kürzlich beschlossen, nicht wie andere Männer meiner Generation politisch komplett abzudriften. Mich etwa übers Gendern zu ereifern, eine „Woke-Diktatur“ herbei zu fantasieren, Rassismus kleinzureden, die Grünen nur noch „die Verbotspartei“ zu nennen, Greta Thunberg zur Anführerin der klimapolitischen Roten Garden und die Letzte Generation zur neuen SA zu erklären. Oder was manche meiner Mit-Boomer so machen, wenn die Prostata zwackt.

Ich werde vielmehr politisch vernünftig bleiben und meine reaktionären Altersreflexe in eine andere Richtung lenken, indem ich mich, was junge Menschen betrifft, nur über ganz und gar unwichtige Dinge aufrege. Zum Beispiel über eklige Seventies-Schnurrbärte bei jungen Männern oder die Angewohnheit mancher junger Frauen, wenn sie etwas referieren, nach jedem Aussagesatz nachdenklich „genau“ zu sagen.

Oder über Hipster-Eisläden, die neuerdings auch Spaghetti-Eis anbieten. Aber dabei erstens die traditionelle, ästhetisch gradezu vollkommene, 1969 von Dario Fontanella in Mannheim erfundene Darreichungsform dieses besonderen Eisgerichts ignorieren, indem sie es lieblos in ein Weckglas schlunzen. Und in denen, also in den Hipster-Eisläden, sich zweitens Dialoge wie dieser ereignen:

Ich: „Ein Spaghetti-Eis, bitte.“ Hipster-Eis-Dieler: „Da sind zwei Kugeln Eis drin. Welche Sorten möchtest du?“ Ich: „Äh … es ist’n Spaghetti-Eis! Also Vanille.“ Hipster-Eis-Dieler: „Du kannst auch andere Sorten nehmen.“ Ich: „Nochmal: Es ist ein Spaghetti­-Eis. Ich möchte bitte zwei Kugeln Vanille da rein! So wie es sich gehört.“ Hipster-Eis-Dieler: „Beliebt sind Salted Caramel, Cookie Dough oder …“ Ich: „Vanille!!!“ Hipster-Eis-Dieler: „Ja, is ja schon gut.“

Selbstverständlich weiß ich, dass auch in italienischen Eisdielen inzwischen Spaghetti-Eis-Varianten mit anderen Sorten und Soßen angeboten werden. Die heißen dann: Spaghetti-Carbonara oder Spaghetti-Bonito oder – man mag es kaum hinschreiben – Spaghetti-Müsli …

Wenn man aber in einer italienischen Rialto-Venezia-San-Marco-Eisdiele einfach nur „ein Spaghetti-Eis“ bestellt, bekommt man nach wie vor: Sahne, Vanilleeis, Erdbeersoße, weiße Raspel-Schokolade und eine eingesteckte Rundwaffel. Punkt. Ohne Nachfrage. Hübsch angerichtet auf einem geschmacklosen Buntglasteller, der wiederum auf einem kleinen ovalen Metalltablett steht. Und zwischen Teller und Tablett klemmt die klassische, wasserfeste, null saugfähige und somit komplett sinnlose Papierserviette, die nur für italienische Eisdielen hergestellt wird. So und nicht anders muss das sein!

Fairerweise muss ich aber zugeben, dass das Hipster-Eis im Weckglas durchaus korrekt schmeckte. Obwohl es, ich möchte das nochmal betonen, echt scheiße aussah! Soviel grumpy Boomertum muss erlaubt sein.

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Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)

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kari

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