Wohnen im Weltall: Häuser aus Eis und Staub

Wie könnten As­tro­nau­t:in­nen auf dem Mars leben? Space-Architekt:innen designen Gebäude aus Mondsand und ringen mit kosmischer Strahlung.

Illustriertes Haus auf dem Mars

Architektur unter Extrembedingungen: ein mögliches Habitat auf dem Mars Illustration: SEArch+

Wie riesige Muscheln aus Stahl glitzern die Häuser vor den Kratern des Mars im Sonnenlicht. Ihre gewölbte panzerartige Fassade schützt die As­tro­nau­t:in­nen vor der Strahlung und Kälte des Alls. Was klingt wie eine Science-Fiction-Fantasie, wird tatsächlich immer greifbarer: Von einer Raumstation in der Umlaufbahn des Mondes aus plant die Nasa mit der Artemis-Mission erste As­tro­nau­t:in­nen auf den Mars zu schicken. Auf der Mondoberfläche soll dafür eine Forschungsbasis errichtet werden – ein Zuhause für For­sche­r:in­nen in der Ferne. Folgen irgendwann auch Gebäude auf dem Mars?

Michael Morris beschäftigt sich damit, wie solche Gebäude aussehen können. Der 60-jährige Space-Architekt teilte seine Leidenschaft für das Weltall mit seiner verstorbenen Frau Yoshiko Sato. Gemeinsam etablierten sie die Diszi­plin Space-Architektur an der Columbia University in New York und brachten damit die Fächer Ingenieur­wesen und Astrophysik mit Innendesign und planetarer Geologie zu­sammen.

Nach Satos Tod wollte Morris das Erbe seiner Frau fortsetzen. Mit ehemaligen Studierenden gründete er das Architekturbüro SEArch+, das ­daran arbeitet, dass Menschen auf ­anderen ­Planeten nicht nur über­leben, ­sondern wohnen – und sich wohl­fühlen.

Für den ersten menschlichen Außenposten auf dem Mond hat sich die Nasa den wasserreichen Südpol ausgesucht. Während im Innern des Kraters völlige Finsternis und eisige Kälte herrschen, ist es an der Oberfläche heiß. Dazu kommt tödliche galaktische Strahlung. Wie macht man es sich an so einem Ort gemütlich?

„Den Prozess, aus einem Habitat ein Zuhause zu machen, nennen wir Outfitting. Dabei versuchen wir die menschlichen Bedürfnisse nach Sicherheit, aber auch nach individuellem Ausdruck und Ästhetik zu erfüllen“, sagt Michael Morris. Er und seine Kol­le­g:in­nen haben dafür zum Beispiel ein schneckenförmiges Treppenhaus entworfen, das gleichzeitig als Garten dient. Die Pflanzen produzieren nicht nur Sauerstoff, sondern sollen auch eine beruhigende Wirkung auf die Be­woh­ne­r:in­nen haben und sie an die Natur der Erde erinnern. Mit den Entwürfen hat SEArch+ 2019 den Architekturwettbewerb der Nasa gewonnen.

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Auch das Ice House, ein Gebäude aus gefrorenem Wasser, in dem Menschen wohnen und Pflanzen züchten könnten, verbindet Komfort und überlebenswichtige Funktionen: „Wasser bildet einen natürlichen Schutzschild vor der galaktischen Strahlung und lässt gleichzeitig natürliches Licht in den Lebensraum eindringen, so dass die Menschen, die in dieser Welt Aliens sind, immer noch mit unserer Sonne verbunden sind“, sagt Morris’ Kollegin Christina Ciar­dullo über ihren Lieblings­entwurf.

Morris’ verstorbene Frau Yoshiko Sato prägte die Entwürfe mit den Prinzipien der japanischen Architektur: kleine, flexibel nutzbare Räume, Minimalismus und eine übersichtliche, harmonische Farbpalette. Anders als im traditionellen japanischen Design gibt es in den Weltall-Habitaten aber keine scharfen Ecken und Kanten, weil sich Bakterien in Nischen wohlfühlen. Die runden Wände sind schneeweiß: So wirkt eine Kajüte optisch größer – aber auch ziemlich kalt.

Regisseure beeinflussen die Weltraum-Architektur

Die großen filmischen Vorbilder für Space-Design aus den 1960ern und 1970ern, „Odyssee im Weltall“ von Stanley Kubrick und „Solaris“ von Andrei Tarkowski, beeinflussen die Weltall-Architektur bis heute, sagt Morris. Andrei Tarkowski war kein Fan von Kubricks sterilen, krankenhausartigen Raumschiffen und grellen Lichtern, stattdessen spielte der russische Regisseur mit Texturen und Farben. Entsprechend gibt es auch im russischen Teil der Internationalen Raumstation Grün- und Brauntöne, Aquarellmuster und religiöse Ikonen. Morris vermutet, dass „Farbe und interkulturelle Perspektiven beim Design für das Weltall eine immer größere Rolle spielen werden“.

Barbara Imhof glaubt nicht, dass auf Sterilität im All verzichtet werden wird. Die Mitgründerin der Firma Liquifer in Wien ist eine ehemalige Schülerin von Yo­shi­ko Sato. Die Space-Architektur ist eine kleine Welt, jeder kennt jeden. Mit ihren Kol­le­g:in­nen arbeitet Imhof an Designs für die Raumstation des Mondes. „Wir haben schon mit aufblasbaren Modulen experimentiert, aus Textilien wie Gore-Tex, deren Faltstruktur wir anhand einer Farbigkeit aus Blautönen abbilden wollten, um ein Muster zu erzeugen“, erzählt Imhof. „Aber eine Farbe hat man schnell satt. Wie macht man es allen recht?“

Viele As­tro­nau­t:in­nen würden weiße Wände bevorzugen: Auf hellen Flächen erkennt man Schimmel am schnellsten. Im Weltall kann das Leben oder Tod bedeuten. Statt farbigen Wänden könnten virtuelle Fenster und Lichtprojektionen für persönlichere Räume sorgen.

Dreck im 3D-Drucker

Aber woraus baut man die Weltallhabitate? Materialien von der Erde ins All zu schleppen, würde Platz und Energie verbrauchen – und Mond und Mars mit fremden Substanzen kontaminieren. Deshalb arbeitet SEArch+ mit Stoffen, die sich auf der Oberfläche von Mars und Mond finden. Im Wesentlichen: Dreck. Aus dem Mond- oder Marssand werden Ziegel geschmolzen, die durch 3D-Druck in Form gebracht werden.

Dazu kommt die Frage, ob wir durch den Bau der Weltraumhäuser nicht wieder unsere Spuren hinterlassen, die fremden Himmelskörpern schaden könnten. Michael Morris hat das bedacht: „Alle Gebäude auf Mars und Mond müssen temporär gedacht werden, nicht für die Ewigkeit. Sie müssen im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft funktionieren und abbaubar sein, ohne die Oberfläche der Planeten zu schädigen.“ Als Ire, dessen Land jahrhundertelang von England ausgebeutet wurde, sei es ihm wichtig, kein koloniales Erbe zu hinterlassen.

Für ihre Habitate bauen SEArch+ und Liquifer gerade Prototypen auf der Erde, in denen Testpersonen das Leben im Weltall simulieren sollen. Ob ihre Entwürfe einmal im Weltall stehen werden, ist nicht klar. Die komplexe Technologie und die immer größer werdende Anzahl von Wettbewerbern im Rennen ums All machen Architekturprojekte zu einem Generationenprojekt. Morris stört das nicht: „Wir verstehen uns als eine Art Thinktank. Wir wollen, dass mit unseren Ideen Menschen noch lange nach uns weiterarbeiten können.“

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