Migrationspakt und die Folgen: Das wird sich wirklich ändern

Am Montag wollen 180 Staaten den UN-Migrationspakt verabschieden. Die taz hat mit Menschen gesprochen, die einzelne Ziele des Pakts in der Praxis umsetzen müssten.

Das UN-Symbol ist auch im Migrationspakt-Dokument zu sehen: eine in einem Kreis angeordnete Weltkarte von zwei Olivenzweigen umschlossen auf einer hellblauen Flagge

Der UN-Migrationspakt wird für die 180 Staaten nicht rechtlich bindend sein Foto: imago/Panthermedia

Rund 180 Staaten, darunter Deutschland, wollen am Montag bei einer Konferenz in Marrakesch in Marokko den „Globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ verabschieden. Seine Regelungen sollen vor allem die Lebensbedingungen von ArbeitsmigrantInnen verbessern. Deren Zahl schätzt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) laut einer am vergangenen Freitag veröffentlichten Studie auf derzeit 164 Millionen Menschen – ein Anstieg um fast zehn Prozent gegenüber 2013. Vor zwei Wochen hat die taz den Vertragstext dokumentiert und ExpertInnen um eine Erläuterung gebeten.

Jetzt haben unsere KorrespondentInnen mit Menschen gesprochen, die die konkreten Ziele des Paktes in der Praxis umsetzen müssten. Wir wollten von ihnen wissen, was der Pakt für sie ändern würde, ob sie die vorgeschlagenen Reformen für sinnvoll halten – oder ob die vorgesehen Regelungen längst umgesetzt sind.

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Hier eine kurze Inhaltsübersicht mit Links, die Sie direkt zu dem jeweiligen Text bringen:

Weniger öffentliches Geld für diskriminierende Medien – Migrationspakt, Ziel 17: In Teilen Skandinaviens gibt es eine öffentliche Presseförderung. Die Idee, diese an die Art der Berichterstattung zu knüpfen, stößt bei der norwegischen JournalistInnengewerkschaft nicht auf Zustimmung. Zum Text „Problematische Formulierungen“.

Billigere Rücküberweisungen – Migrationspakt, Ziel 20: Derzeit werden bei Bargeldsendungen aus Deutschland nach Afrika mit Western Union etwa 10 Prozent Gebühren fällig. Eine globale Deckelung dieser Kosten lehnt der Marktführer ab – viele andere Aspekte des Paktes aber kommen ihm äußerst gelegen. Zum Text „Western Union freut sich“.

Rentenansprüche mitnehmen – Migrationspakt Ziel 22: Lisa Simons ist Sprecherin der niederländischen Sociale Verzekeringsbank (SVB) und unter anderem zuständig für Auszahlung der staatlichen Rente. Der Migrationspakt sieht bilaterale, regionale oder multilaterale Verträge vor, damit ArbeitsmigrantInnen Zugang zu Sozialschutz haben. Die Niederlanden haben solche Verträge jedoch schon längst. Zum Text „Wir haben ohnehin schon Verträge“.

Qualifikationen anerkennen – Migrationspakt Ziel 18: 140.000 Menschen aus Nicht-EU-Staaten leben in Irland. Viele haben praktische Berufserfahrungen, können diese aber auf dem Arbeitsmarkt nicht nutzen. Deshalb stellen Arbeitgeber lieber Einheimische ein, sagt Patrick Bamming von der German-Irish Chamber of Industry and Commerce. Zum Interview „Der Migrant aus Nigeria muss bei Null anfangen“.

Brain Drain vermeiden – Migrationspakt, Ziel 2: Aus keinem Nicht-EU-Staat kamen 2017 mehr ArbeitsmigrantInnen nach Deutschland als aus Bosnien-Herzegowina – insgesamt waren es 7.504 Menschen. Für das Land ist die massenhafte Abwanderung nach Westeuropa längst ein großes Problem. Der Migrationspakt sieht Maßnahmen gegen solche Entwicklungen vor – die im Fall Bosniens dringend notwendig sein dürften. Zum Text „Bleibt nur der Weg nach Norden“.

Einleitung & Inhalt: Christian Jakob. Umsetzung: Juliane Fiegler.

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Migrationspakt, Ziel 17: „Problematische Formulierungen“

Weniger öffentliches Geld für diskriminierende Medien – Migrationspakt, Ziel 17: In Teilen Skandinaviens gibt es eine öffentliche Presseförderung. Die Idee, diese an die Art der Berichterstattung zu knüpfen, stößt bei der norwegischen JournalistInnengewerkschaft nicht auf Zustimmung. Zum Text „Problematische Formulierungen“.

„Das sind ganz klar problematische Formulierungen“, sagt Reidun Kjelling Nybø, stellvertretende Generalsekretärin von Norsk Redaktørforening, der norwegischen RedakteurInnengewerkschaft zum 17. Ziel des Migrationspakts, laut dem Regierungen Medien mitunter mit finanziellem Druck auf Diskriminierungsfreiheit einschwören sollen.

Ziel 17 des UN-Migrationspaktes soll Rassismus bekämpfen durch „... Einstellung der öffentlichen Finanzierung oder materiellen Unterstützung von Medien, die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern...“

Auch wenn das grundsätzlich „unter voller Achtung der Medienfreiheit“ geschehen soll, könne die Regierung in Oslo nach Einschätzung der Redaktørforening ein solches Dokument nur unterzeichnen, wenn eindeutig klar sei, dass dieses juristisch nicht bindend sei und „unter der selbstverständlichen Voraussetzung, dass norwegische Behörden das nicht wortwörtlich nehmen“.

Ansonsten würde die Regelung mit dem Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention ebenso kollidieren wie mit der norwegischen Verfassung und „allen Traditionen, die in Norwegen das Verhältnis zwischen Behörden und freien, unabhängigen Medien prägen“, sagt Kjelling Nybø. Offenbar habe die UN zwar „gute Absichten“ gehabt und der fragliche Artikel sei „im Ansatz vernünftig“ – aber so wie er jetzt dastehe, könne er „eher kontraproduktiv“ wirken.

Norwegen hat eine öffentliche Presseförderung, aufgrund derer Medien, die bestimmte formelle Voraussetzungen erfüllen, staatliche Gelder erhalten. Eine Inhaltskontrolle findet nicht statt. Ähnlich ist die Situation in Schweden. Hier hatte zwar bereits eine Reformkommission vor zwei Jahren vorgeschlagen, diese inhaltliche Neutralität durch eine „Demokratieklausel“ zu ersetzen und nur noch Publikationen zu fördern, die „vom Prinzip des gleichen Werts aller Menschen geprägt sind“, beispielsweise aber nicht mehr solche, die „unterschwellig Hass predigen, um eine bestimmte Gruppe von Menschen in Misskredit zu bringen“.

Doch verschwand dieser Vorschlag schnell wieder in der Schublade. Kritiker wie Nils Funcke, Sekretär des parlamentarischen Pressefreiheitskomitees warnte seinerzeit: Die Geschichte sei reich an abschreckenden Beispielen, wie Staaten direkt oder subtil versucht hätten Medien zu lenken.

Der schwedische Journalistenverband SJF, der schon die damalige „Demokratieklausel“ ablehnte, äußert nun zum Migrationspakt ähnliche Bedenken wie die norwegischen KollegInnen. Inhaltliche Prinzipen theoretisch aufzustellen sei leicht, „aber es ist schwieriger, sie in der Praxis umzusetzen“, sagt der SJF-Vorsitzende Jonas Nordling.

Man solle sich vor einem „Meinungsgerichtshof“ hüten: „Langfristig wird damit die Pressefreiheit untergraben.“ Und auch Norwegens linke Tageszeitung „Klassekampen“ bezeichnete es vergangene Woche als „Irrweg“, wolle der Staat versuchen, den Inhalt der öffentlichen Debatte in eine bestimmte Richtung zu steuern: „Demokratie heißt, dass die Volksmeinung auf den Staat einwirken soll und nicht umgekehrt.“

Der Migrationspakt werde keine Auswirkungen auf die Medienpolitik des Landes haben, verspricht die norwegische Kultusministerin Trine Skei Grande: Er verpflichte zu nichts, norwegische Gesetze und Regeln würden sich nicht ändern. Ähnlich beruhigte Lars Westbratt, Staatssekretär im schwedischen Migrationsministerium: Der Pakt sei nicht bindend und es gebe „kein Risiko“, dass er in Zukunft bindend werde. (Reinhard Wolff, Stockholm)

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Migrationspakt, Ziel 20: Western Union freut sich

Billigere Rücküberweisungen – Migrationspakt, Ziel 20: Derzeit werden bei Bargeldsendungen aus Deutschland nach Afrika mit Western Union etwa 10 Prozent Gebühren fällig. Eine globale Deckelung dieser Kosten lehnt der Marktführer ab – viele andere Aspekte des Paktes aber kommen ihm äußerst gelegen. Zum Text „Western Union freut sich“

Western Union „freut sich, als Vertreter des Privatsektors an den Verhandlungen zum Migrationspakt“ beteiligt gewesen zu sein, sagt ein Sprecher auf Anfrage der taz. Die Freude dürfte damit zu tun haben, dass das Unternehmen durch den Pakt auf die Befreiung von Steuern hofft, die viele Länder zur Zeit auf Bargeldtransaktionen erheben.

Solche Steuern widersprächen den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Goals“, kurz SDGs), sagt Western Union – und jenen wolle der Pakt schließlich zur Durchsetzung verhelfen. Tatsächlich findet sich im Migrationspakt ein Passus, der „Steuerbefreiungen oder -anreize in Bezug auf Rücküberweisungen“ verlangt.

Ebenfalls angetan ist Western Union davon, dass MigrantInnen in Zukunft moderne Ausweise bekommen sollen, was die Sicherheit der Geldtransfers erhöhen könnte. Auch die „Anbindungen zu Finanzdienstleistungen außerhalb der Bank“ – etwa per Mobiltelefon – will der Migrationspakt fördern – schließlich haben viele ArbeitsmigrantInnen im globalen Süden zwar kein Girokonto, aber ein Handy.

Und auch davon, dass Regeln, „die zusätzliche Kosten verursachen, aber keinen Verbrauchermehrwert bieten“ reduziert werden sollen, ist im Migrationspakt die Rede. Dass die Bargeldtransferindustrie bei den Verhandlungen mit am Tisch saß, ist dem Text anzumerken.

Ziel 20 des UN-Migrationspakt will „...einen Fahrplan erstellen, um bis 2030 (...) die Transaktionskosten für Rücküberweisungen von Migranten auf weniger als 3 Prozent zu senken“.

Die wichtigsten Forderungen des Paktes begeistert das Unternehmen allerdings weniger: Von der rigorosen Gebührendeckelung auf drei Prozent hält Western Union nichts. Das Kostenziel sei als „one size fits all“ gedacht, „ohne die Komplexität bei der Erbringung von Dienstleistungen“ zu bedenken“ erklärt das Unternehmen dazu. Schließlich würden Maßnahmen wie Geldwäschebekämpfung, Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung oder Überweisungssteuern die Kosten hochtreiben.

Im weltweiten Schnitt lägen sie bei etwa 5 Prozent des gesendeten Betrags, der durchschnittliche Betrag, der 2017 versandt wurde, liege bei etwa 300 US-Dollar je Transfer. Die erhobenen Gebühren „spiegeln Dynamiken zwischen einem Entsende- und einem Empfängerland wider“, erklärt Western Union: Verbraucherschutz, Währungsschwankungen, solche Dinge würden je nach Region eben unterschiedliche Kosten verursachen.

Insgesamt aber seien die Überweisungskosten „seit mehr als einem Jahrzehnt im Rahmen der natürlichen Evolution eines sich entwickelnden Marktes“ gesunken. Soll heißen: Wenn die Staaten wollen, dass die Überweisungen billiger werden, dann sollen sie diese schwächer regulieren und geringer besteuern – so sieht es die Finanzindustrie. (Hermannus Pfeiffer, Christian Jakob)

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Migrationspakt, Ziel 22: „Wir haben ohnehin schon Verträge“

taz: Wie regelt sich die Rentenauszahlung an Menschen, die nicht mehr in den Niederlanden wohnen? Hat das Herkunftsland darauf Einfluss?

Lisa Simons: Für uns ist das Herkunftsland eines Empfängers nicht relevant, nur das aktuelle Wohnland. Bei der Zuweisung des staatlichen Rentenbetrags unterscheiden wir zwischen Ländern, mit denen es einen Vertrag über soziale Sicherheit gibt, dies betrifft neben den EU- Staaten 35 weitere Länder, darunter Marokko, Türkei, Surinam und Indonesien.

Wie viele Empfänger wohnen denn überhaupt außerhalb der Niederlande ?

Im zweiten Quartal 2018 wohnten 328.406 Renten-Empfänger im Ausland. 20 Prozent davon in Belgien, 14 Prozent in Deutschland, 13 Prozent in Spanien und 16 Prozent in anderen EU- Ländern. Der übergroße Teil von Empfängern aus anderen Vertragsländern (36,1 Prozent) wohnt in Auswanderungsländern wie Australien, Kanada und den USA. 3.402 Empfänger wohnen in Ländern, mit denen kein Vertrag zur sozialen Sicherheit abgeschlossen wurde.

Was wird in diesen Verträgen geregelt?

Es handelt sich um bilaterale Abkommen über den Export von Leistungen, die Möglichkeiten der Ausführung sowie den Austausch von Daten.

Und diese bilateralen Abkommen unterscheiden sich voneinander?

Die Höhe der Renten-Auszahlungen ist immer gleich, unabhängig vom Herkunftsland. Unterschiedlich ist, wie die Abkommen im jeweiligen Land umgesetzt werden. Dabei geht es um die jeweilige Gesetzgebung, oder Fragen, ob es etwa ein Geburtenregister gibt oder nicht. Insofern hat jedes Land seinen eigenen Vertrag.

Wie hoch sind die Auszahlungen?

Bei der Höhe der staatlichen Rente unterscheiden wir zwischen Alleinstehenden und Verheirateten. Letztere empfangen einen niedrigeren Betrag, 50 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns. Alleinstehende bekommen einen höheren Betrag, nämlich 70 Prozent des Mindestlohns. Die SVB muss kontrollieren können, ob eine Person wirklich alleinstehend ist. Bei Ländern, mit denen kein Vertrag existiert, exportieren wir nur den risikolosen niedrigen Betrag. Wenn irgendwo mehr als 100 Renten-Empfänger wohnen, probieren wir, in Zusammenarbeit mit dem Arbeits- und Sozialministerium Vereinbarungen zu treffen.

Ziel 22 des UN-Migrationspaktes soll Regelungen schaffen für die „... Übertragbarkeit der Sozialversicherungs- und erworbenen Leistungsansprüche von Arbeitsmigranten (...) wie Renten, Gesundheitsversorgung oder andere erworbene Leistungen".

Wird sich durch den Global Compact in Ihrer Arbeit etwas ändern?

Nein, im Prinzip nicht. Mit allen wesentlichen Migrationsländern haben wir ohnehin Verträge.

(Interview: Tobias Müller)

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Migrationspakt Ziel 18: „Der Migrant aus Nigeria muss bei Null anfangen“

taz: Der Migrationspakt will ausländische Qualifikationen leichter für den Arbeitsmarkt nutzbar machen. Was heißt das konkret für Irland?

Patrick Bamming: Die Ausbildung von Handwerkern ist in Irland nicht so streng geregelt wie in Deutschland. Die Vorschriften für die verschiedenen Berufe sind nicht sonderlich strikt. Zum Beispiel kann ein Friseur ohne einen Meistertitel arbeiten, und man kann auf dem Bau arbeiten, wenn man einen Sicherheitsausweis hat. Andererseits ist es bei qualifizierteren Berufen sehr genau geregelt, zum Beispiel beim Maschinenbau.

Ein Migrant aus Nigeria, zum Beispiel, hat in seinem Heimatland zehn Jahre lang als Elektriker gearbeitet. Nun kommt er nach Irland. Was erwartet ihn hier, wenn er keine Qualifikation nachweisen kann?

Die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen in Irland ist selbst bei innerhalb der Europäischen Union erworbenen Qualifikationen problematisch. Die Unternehmen stellen wegen des unpraktikablen Anerkennungsprozesses lieber irische Arbeiter ein. Der Migrant aus Nigeria müsste also bei Null anfangen. Migranten, die sich innerhalb von Irland weitergebildet haben, konnten feststellen, dass dies ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich erhöht hat.

Kann der UN-Migrationspakt es dem nigerianischen Maurer leichter machen?

Das Gesetz in Irland unterscheidet zwischen hochqualifizierten Migranten und Asylbewerbern. Letztere dürfen erst seit Juli 2018 unter bestimmten Voraussetzungen arbeiten. Sie müssen seit mindestens neun Monaten auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag warten und dann einen Antrag beim Justizministerium auf Ausstellung einer Arbeitserlaubnis stellen. Die Arbeitserlaubnis ist dann für sechs Monate gültig, endet aber, sobald eine endgültige Entscheidung über den Asylantrag ergeht.

Was muss Irland tun, um die Richtlinien umzusetzen? Wie lange wird das dauern?

Wie lange das dauern wird, kann man nicht genau vorhersagen. Das eben angesprochene Gesetz zur Erlangung einer Arbeitserlaubnis für Asylbewerber beispielsweise erging knapp ein Jahr nach einer Entscheidung des obersten Gerichtshofs, die das Arbeitsverbot für Asylbewerber für verfassungswidrig erklärte.

Der Pakt soll Ausbeutung durch unethische Rekrutierungsagenturen, die Menschen zur Arbeit in anderen Ländern anwerben, einen Riegel vorschieben. Wie groß ist das Problem der Ausbeutung von Migranten in Irland?

Arbeitsmigranten und ihre Ausbeutung spielen keine große Rolle in der öffentlichen Debatte. Normalerweise wird der Mindestlohn eingehalten, er steigt am 1. Januar auf 9,80 Euro pro Stunde für Erwachsene. Es gibt allerdings Ausnahmen. Der Guardian hat vor drei Jahren die Ausbeutung von Arbeitsmigranten in der Fischerei-Industrie aufgedeckt. Daraufhin hat die irische Regierung das sogenannte Atypische Arbeitszeitmodell eingeführt, um eine 39-Stunden-Woche mit Mindestlohn im Fischereigewerbe durchzusetzen.

(Interview: Ralf Sotscheck, Dublin)

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Ziel 18 des UN-Migrationspaktes soll „...in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Industrien Standards und Leitlinien für die gegenseitige Anerkennung ausländischer Qualifikationsabschlüsse und nicht formal erworbener Fertigkeiten in verschiedenen Sektoren erarbeiten“.

Migrationspakt Ziel 2: „Bleibt nur der Weg nach Norden“

Der ungeheizte Warteraum in der Ambulanz im Zentrum Sarajevos ist täglich überfüllt. Die Patienten müssen geduldig sein und warten. Schon wieder, so raunt die Krankenschwester, will einer der Ärzte nach Deutschland gehen. „Dann wissen wir gar nicht mehr, wie wir hier das alles noch schaffen sollen.“ In anderen Krankenhäusern in Bosnien und Herzegowina sind schon ganze Abteilungen geschlossen worden.

Die seit dem letzten Krieg der 90er Jahre ohnehin zerbrechliche staatliche Krankenversorgung beginnt, vollständig zu kollabieren. Ärzte und Krankenschwestern wissen, dass sie in Deutschland und Österreich mit Kusshand genommen werden.

Seit Deutschland die Berufsabschlüsse auch für andere Berufe akzeptieren will, machen sich auch Ingenieure, Maschinenbauer und alle Experten vom Bau berechtigte Hoffnungen auf einen Job im gelobten Ausland. Die Frauen und Männer, die sich zutrauen, als Altenpfleger in den deutsch sprechenden Ländern zu arbeiten, überfüllen die Deutschkurse in den Abendschulen. Die Kurse am Goethe-Institut in Sarajevo sind seit Jahren ausgebucht.

Ab 2019 und der weiteren Lockerung von Arbeitsrestriktionen in Deutschland wollen auch andere Bevölkerungsgruppen nach Norden ziehen. Der 34-jährige Edin ist Busfahrer und hat bisher für die größte Transportfirma in dem Land gearbeitet. „Für 600 bis 800 Konvertible Mark im Monat (300-400 Euro), wie kannst du da deine Familie ernähren?“ Die Stadtwerke von Sarajevo haben berechtigte Angst, dass ihnen das Personal davonläuft. Zuverlässige Handwerker zu finden ist ohnehin nur mit „guten Beziehungen“ möglich.

Über 60.000 jüngere Fachkräfte haben nach jüngsten Schätzungen 2018 den Weg nach Norden gefunden, 2019 werden das noch mehr Menschen sein. Nicht nur aus dem 3,4 Millionen Einwohner zählenden Bosnien fliehen Zehntausende. Auch in Serbien klagen Regierungsstellen über ähnliche Phänomene. Selbst aus dem EU-Land Kroatien ziehen viele Fachkräfte nach Norden.

Noch gelingt es den Kroaten, mit Menschen aus den südlicher liegenden Ländern ein paar Lücken zu füllen. Nur im Kosovo würde man sich bei 60 Prozent Arbeitslosigkeit freuen: Doch für die ist die EU versperrt, denn Kosovaren brauchen nach wie vor Visa.

Der Brain Drain auf dem westlichen Balkan hat so bedrohliche Ausmaße angenommen, dass jetzt sogar die Ausbeuter des seit dem Krieg etablierten Raubtierkapitalismus reagieren müssen. Plötzlich machen Firmen ihren Angestellten Angebote. Die Transport-Firma Centro Trans in Sarajevo will jetzt höhere Löhne für ihre Fahrer bezahlen – Edin hörte von 500 bis 600 Euro pro Monat. „Aber auch das ist doch viel zu niedrig, da müssen sie schon mehr bieten.“ Die Hoffnung als bosnischer Staat in die EU aufgenommen zu werden, ist wegen der Blockadepolitik der nationalistischen Parteien der Serben und Kroaten zerstoben. „Bleibt nur der Weg nach Norden.“

(Erich Rathfelder, Sarajewo)

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Der UN-Migrationspakt: Der vollständige Vertragstext – kommentiert von ExpertInnen für Migration.

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