Anwalt über neues Staatsbürgerrecht: „Riesenangriff auf Kinderrechte“

Der Entwurf für ein neues Staatsbürgerrecht verschlechtere teils die Lage, sagt Jan Sürig. Armen Kindern werde der Weg zum deutschen Pass versperrt.

Hände halten einen deutschen Reisepass

Deutscher Reisepass Foto: Nikito/imago

taz: Herr Sürig, Sie kritisieren den Entwurf für ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz. Dabei sieht der vor, dass Aus­län­de­r*in­nen schneller eingebürgert werden. Der Doppelpass wird möglich, und ehemalige Gast­ar­bei­te­r*in­nen sollen leichter an den Pass kommen. Wo ist das Problem?

Jan Sürig: Die schnelleren Einbürgerungen und die neuen Regelungen für ehemalige Gast­ar­bei­te­r*in­nen begrüße ich natürlich. Das Problem ist, dass im Entwurf auch eine deutliche Verschärfung der Ausnahmeregelungen für Personen steckt, die Sozialleistungen beziehen. Wer solche Leistungen erhält, kann sich prinzipiell nicht einbürgern lassen. Das war bisher so und wird auch so bleiben. Aber bisher gibt es Ausnahmen für Personen, die staatliche Leistungen beziehen, dies aber „nicht zu vertreten haben“, wie es im Gesetzestext heißt. Diese Stelle fehlt im neuen Entwurf.

Was bedeutet das?

ist 57 Jahre alt und arbeitet seit 24 Jahren als Anwalt zu Migrations­fragen.

Es geht darum, wem der Leistungsbezug nicht vorgeworfen werden kann. Im Moment können Kinder auch dann eingebürgert werden, wenn sie Sozialleistungen empfangen, etwa weil ihre Eltern alleinerziehend oder chronisch krank sind. Diese Kinder haben es nicht zu vertreten, dass sie Sozialleistungen empfangen und deshalb steht das einer Einbürgerung derzeit nicht im Weg. Der neue Entwurf sieht diese Ausnahme aber nicht mehr vor. Ein Riesenangriff auf die Kinderrechte.

Kinder werden dafür bestraft, dass ihre Eltern arm sind?

Es entsteht ein Kreislauf, bei dem arme Eltern ohne deutsche Staatsbürgerschaft diesen Status an ihre Kinder weitergeben. Und weil die Kinder ohne deutschen Pass sehr viel schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, drohen sie selbst arm zu bleiben und Sozialleistungen beziehen zu müssen. Das verhindert dann die Einbürgerung und immer so weiter. So wird das Problem auf die nächste Generation übertragen.

Statt dem alten Zusatz, dass Leis­tungs­be­zie­he­r*in­nen eingebürgert werden können, wenn sie es nicht zu vertreten haben, formuliert der neue Entwurf ja einige neue explizite Ausnahmen.

Das stimmt. Nur fallen diese neuen Ausnahmen bisher alle schon in die Gruppe derjenigen, die es nicht zu vertreten haben, Sozialleistungen zu beziehen. Das einzig wirklich Neue sind die Ausnahmen vom schriftlichen Sprachtest für ehemalige Gastarbeiter. Das ist wirklich eine Verbesserung. Aber dafür gibt es eben viele andere Gruppen, für die sich die Lage verschlechtert, da geht es nicht nur um Kinder.

Zum Beispiel?

Es fallen Ausnahmen für chronisch Kranke und Menschen weg, die Angehörige pflegen. Auch sie haben es nicht zu vertreten, wenn sie Sozialleistungen empfangen. Ich habe eine Mandantin, die iranische Staatsbürgerin ist und ihren Sohn pflegt, der ist praktisch rund um die Uhr betreuungsbedürftig. Deshalb kann sie nicht arbeiten und empfängt Bürgergeld. Würde der Gesetzentwurf beschlossen, wie er ist, könnte sie nicht mehr eingebürgert werden.

Ein anderes Beispiel sind Menschen in Ausbildung oder während eines freiwilligen sozialen Jahrs. Die haben oft ein so niedriges Einkommen, dass sie nebenher mit Leistungen vom Staat aufstocken. Das sie künftig nicht mehr eingebürgert werden könnten, ist absurd: Der Staat will doch, dass junge Menschen sich engagieren. Aber wenn junge Aus­län­de­r*in­nen das tun, werden sie dafür bestraft.

Verfolgt die Ampel mit dem Gesetzentwurf das Ziel, armen Menschen die Staatsbürgerschaft zu verwehren? Geht es da um eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Logik?

Mitte Mai haben sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf einen Entwurf für das neue Staatsbürgerschaftsgesetz geeinigt. Das Kabinett hat noch nicht zugestimmt.

Der aktuelle Entwurf sieht vor, dass Aus­län­de­r*in­nen statt acht nur noch fünf Jahre in Deutschland leben müssen, bevor sie eingebürgert werden können. Bei sogenannten besonderen Integrationsleistungen wie etwa guten Sprachkenntnissen soll das sogar schon nach drei Jahren möglich sein. Geplant sind auch Erleichterungen für ehemalige Gast­ar­bei­te­r*in­nen und Vertragsarbeiter*innen. Personen über 65 Jahren sollen nur noch mündliche Sprachkenntnisse nachweisen müssen. Ebenfalls im Entwurf steht die einst umstrittene doppelte Staatsbürgerschaft. Geplant sind außerdem bessere Prüfverfahren auf antisemitische, rassistische und sexistische Einstellungen.

Die FDP betont zwar gern, dass es die deutsche Staatsbürgerschaft nur für Menschen geben soll, die finanziell für sich selbst sorgen. Aber dass sie arme Kinder so bestrafen will, wie es der Entwurf vorsieht, kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, die zuständigen Politiker agieren im Moment einfach kopflos. Man hat das nicht zu Ende gedacht.

Bloße Naivität?

Die Änderungen widersprechen ja teils auch den sonstigen Zielen der Bundesregierung. Zuletzt gab es wieder viele Berichte darüber, dass 25 Prozent der Viertklässler nicht richtig lesen können. Daran will die Politik unbedingt etwas ändern. Gleichzeitig droht man aber mit dem neuen Staatsbürgerrecht den Druck auf die ausländischen Kinder zu erhöhen, sie dauerhaft auszuschließen, wenn sie aus armen Familien kommen. Das sorgt natürlich für Konzentrationsschwächen und schlechtere Lern­ergebnisse.

Dann ist da der Arbeitskräftemangel, der für alle im Alltag offensichtlich ist: Busse fallen aus, Restaurants haben nicht genug Kellner*innen, von Fachkräften gar nicht zu reden. Gleichzeitig verschärft die Regierung Einbürgerungsregeln und signalisiert denselben Leuten, die als Arbeitskräfte gesucht werden, dass sie als Staatsbürger unerwünscht sind, sobald sie auch nur einen Euro Anspruch auf Jobcenterleistungen haben.

Was halten Sie von den im Entwurf vorgesehenen Hürden, die etwa An­ti­se­mi­t*in­nen an der Einbürgerung hindern sollen?

Das scheint eine gute Idee, die aber in der Praxis zu einem Bürokratiemonster werden könnte. Schon jetzt ist es ja so, dass Menschen kaum Chancen auf eine Einbürgerung haben, wenn sie zu Strafen von über 90 Tagessätzen verurteilt wurden. Wer wegen antisemitischer Beleidigung verurteilt wird, erhält in den allermeisten Fällen eine Strafe, die darüber hinausgeht. Es dürfte sich also nicht allzu viel ändern. Aber die Staatsanwaltschaften müssten wohl eine ganze Menge neuen Personals einstellen, um Infos über Antisemiten an die Ämter zu übermitteln, wie es der Entwurf vorsieht.

Immerhin die obliagtorischen Einbürgerungszeremonien sind doch aber eine schöne Idee?

Das klingt zunächst nur nach lächerlicher Folklore. In der Praxis könnten die Feiern aber zu noch längeren Wartezeiten führen. Schon jetzt dauert es ja oft unverschämt lange, meist Jahre, bis der Einbürgerungsprozess abgeschlossen ist. Wenn die Behörden nun auch noch geeignete Räume für die Feiern organisieren müssen, wird das noch schlimmer. Ich prophezeihe, dass die Einbürgerungsfeiern drei bis sechs Monate Wartezeit zusätzlich bedeuten, bis die Menschen tatsächlich ihre Urkunde haben. Und erst ab dann sind sie ja rechtlich Staatsbürger.

Verbände bemängeln auch die fehlenden Verbesserungen für Staatenlose im neuen Entwurf.

Diese Menschen sind ja in den meisten Fällen gar nicht wirklich staatenlos, sondern haben nur nicht die richtigen Papiere und kommen aus failed states, von denen sie die richtigen Dokumente einfach nicht beschaffen können. Da bräuchte es eigentlich großzügigere Regelungen, damit etwa Geschwister die Identität solcher Personen bestätigen können. Davon steht im neuen Gesetzentwurf aber nichts.

Dabei ist das eine wirklich dringende Baustelle, weil die in Deutschland geborenen Kinder von Personen aus Ländern wie Syrien, Eritrea, Somalia oder Afghanistan mit ungeklärter Identität oft selbst nur Geburtsregistereinträge bekommen, in denen neben den Namen der Eltern der Zusatz „Identität nicht nachgewiesen“ steht. Damit bleibt auch die Identität der Kinder ungeklärt, der Status vererbt sich gewissermaßen.

Gibt es noch mehr Probleme?

Auch für Menschen mit humanitärer Aufenthaltserlaubnis verbessert der Entwurf die Lage nicht. Nehmen wir als Beispiel eine Roma­familie aus dem Kosovo. Die Mutter hat wegen antiziganistischen Angriffen eine posttraumatische Belastungsstörung. Weil die in ihrem Herkunftsland nicht richtig behandelt werden kann, haben sie und ihre Familie eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Die Kinder können aber erst die Staatsbürgerschaft beantragen, wenn sie 16 Jahre alt werden, weil sie erst dann eine Niederlassungserlaubnis bekommen können. Das gilt auch, wenn die Kinder schon ihr ganzes Leben in Deutschland sind und hier geboren wurden.

Haben Sie denn Hoffnung, dass der Entwurf noch angepasst wird?

Bisher ist es ja nur ein Referentenentwurf, zu dem nun erst mal Verbände Stellung nehmen. Von denen sind natürlich viele entsetzt. Auch Teile der SPD sind unglücklich mit dem aktuellen Entwurf. Der Bundestagsabgeordnete Hakan Demir hat etwa schon öffentlich gefordert, bisher bestehende Ausnahmen auch in den neuen Gesetzentwurf aufzunehmen. Ich habe also Hoffnung, ja.

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