Antisemitismus bei Fridays for Future: Geht das noch mit Greta?

Die Klimabewegung löst sich von ihrer Ikone. Gut so, denn mit Antisemitismus gibt es keine Klimagerechtigkeit.

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg (l) steht neben der Palästina-Aktivistin Sara Rachdan auf der Bühne in Amsterdam

Gemeinsamer Auftritt von Greta Thunberg mit Sara Rachdan in Amsterdam am 12.11.2023, die antisemitische Reden hielt Foto: Peter Dejong/dpa

Die Unklarheiten häufen sich. Wusste Greta Thunberg, dass antisemitische Ver­schwö­rungs­my­thi­ke­r*in­nen gern Kraken als Symbol für eine angebliche jüdische Weltverschwörung nutzen, als sie prominent ein Kraken-Kuscheltier in ihrem pro-palästinensischen Instagram-Foto platzierte?

Als sie sich die Bühne und das Mikrofon mit der Aktivistin Sara Rachdan teilte, wusste sie da, dass die auf Instagram kürzlich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler verglichen hatte? War es nur Gedankenlosigkeit, dass sich Thunberg zwar direkt mit den Opfern des aktuellen Konflikts in Gaza solidarisierte, die jüdischen Toten, Entführten, Vergewaltigten des Hamas-Terrors aber zunächst nicht mal erwähnte?

So viele Zufälle kann es eigentlich nicht geben. In mehreren Punkten steuerte Thunberg als Reaktion auf massive Kritik jedoch nach. Das Kraken-Foto ist zum Beispiel gelöscht.

„Auf okkupiertem Land gibt es keine Klimagerechtigkeit“, skandierte Thunberg dann kürzlich auf einer Klima-Demo in Amsterdam, in deutlicher Anspielung auf den Nahostkonflikt: Israel als bloße Besatzungsmacht, die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen als bloße Unterdrückte. Und die deutsche Klima-Szene muss sich wieder damit beschäftigen: Wie geht sie um mit dem Wunderkind der Bewegung?

Angeblich wirre Verbindung

Vor fünf Jahren hat Thunberg im Alter von 15 eine ganze globale Bewegung inspiriert, sprach später vor den Vereinten Nationen, mit Barack Obama, mit Angela Merkel, besuchte Klimagipfel genau wie den Hambacher Forst, konnte sowohl radikale Ak­ti­vis­t*in­nen als auch mittige Nachhaltigkeitsfans für sich begeistern. Jetzt gehört zu dem Phänomen Thunberg eine einseitige Positionierung im Nahost-Konflikt, zuweilen mit möglicherweise versehentlichen antisemitischen Zügen.

Die deutsche Sparte von Thunbergs Fridays for Future hat sich deutlich von ihr distanziert. Es ist ein schwerer Abnabelungsprozess, in dem die Bewegung in Deutschland sich neu sortiert.

Eins ist aber doch wie immer: Die rechte Szene nutzt die Krise für Rundumschläge gegen die Klimabewegung. Der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt provozierte in einem Post auf dem Online-Portal X sogar mit einem Vergleich mit der Hitlerjugend. „Das ist die schlimmste Jugendorganisation nach 1945“, schrieb er über Fridays for Future. Andere machen sich lustig über die angeblich wirre Verbindung, die Thunberg zwischen Klimakrise und Themen wie dem Kolonialismus ziehe.

Es ist ärgerlich, dass die – absichtliche oder unabsicht­liche – Relativierung des Hamas-Terrors davon ablenkt, dass die Verbindung zwischen Kolonialismus und Klimakrise natürlich sehr wohl besteht. Thunberg und vor ihr viele Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen haben recht, wenn sie sagen: Diese Probleme hängen ziemlich direkt zusammen.

Europäische Industrieländer haben schließlich teils jahrhundertelang durch Ausbeutung bis hin zur Versklavung von Menschen und Natur in kolonialisierten Ländern Reichtum angehäuft, auf dem die Industrialisierung fußt, die die Klimakrise ausgelöst hat. Wirtschafts- und Energiesysteme in den ehemaligen Kolonien sind oft heute noch auf diese Zeit zurückzuführen.

Und die neue, klimafreundliche Welt, die wir so dringend brauchen, droht teilweise, solche Strukturen fortzuschreiben. Wenn nämlich Industrieländer zum Beispiel die Produktion von grünem Wasserstoff in sonnenreichen Ländern des globalen Südens vorantreiben, um ihn selbst zu importieren – während die lokale Bevölkerung teils noch nicht vollständig Zugang zu Strom hat.

Beim Klimawandel geht es nicht einfach um Länder, die zufällig viel oder wenig Treibhausgas emittieren. Die Rollen sind historisch gewachsen, haben politische Ursachen. Das herauszustellen, ist nicht absurd. Und der Impuls, sich auf die Seite der in diesem Sinne Unterdrückten zu stellen, ist so nachvollziehbar wie sinnvoll.

Nur: In Bezug auf den Nahostkonflikt passt das Schema eben nicht gut. Ja, Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen gehören zum globalen Süden, die wirtschaftliche Lage ist prekär, der Beitrag zur Klima­krise gering. Aber Gaza wird bislang von einer Terrororganisation beherrscht, die Israel regelmäßig barbarisch angreift. Eine freie und (klima-) gerechte Gesellschaft hat sie zudem auch für die eigene Zivilbevölkerung ganz sicher nicht im Sinne.

Und ja, Israel ist ein wohlhabendes und hochindustrialisiertes Land mit damit verbundenen CO2-Emissionen und einer rechten Regierung, die palästinensische Gebiete besetzt und im aktuellen Konflikt brutal zurückschlägt – aber ein Großteil der Bevölkerung gehört einer religiösen Gruppe an, die seit Jahrtausenden verfolgt und vertrieben wird. Auch jetzt noch sind Ju­den*­Jü­din­nen nicht sicher, das zeigt das Massaker vom 7. Oktober in Israel, zeigen die Davidstern-Schmierereien auf Häusern mit jüdischen Be­woh­ne­r*in­nen, zeigt der massive Anstieg von Hassverbrechen gegenüber jüdischen Menschen in der New Yorker Kriminalitätsstatistik vom Oktober.

Eine Klimabewegung, deren Positionen in irgendeiner Form offen für antisemitische Interpretationen sind, kann keine Klimagerechtigkeit für sich beanspruchen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1991, ist Redakteurin im Ressort Wirtschaft + Umwelt und schreibt dort vor allem über die Klimakrise. Hat ansonsten das Online-Magazin klimareporter° mitgegründet.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.