Andere Welten in Kiel ausgestellt: Kissenschlacht und Selbstbau-Hütte

In der Kieler Stadtgalerie widmet sich die Ausstellung "Other Worlds" derzeit zeitgenössischer Kunst aus Finnland - mit einigen sehr unterschiedlichen Ansätzen.

Natur, wuchtig in Szene gesetzt, wie es bei einer Finnland-Ausstellung wohl kaum vermeidbar ist: Ilkka Halso, "Island Cove" (2013). Bild: Stadtgalerie Kiel

KIEL taz | Normalerweise stellt Kaarina Kaikkonen großflächige Skulpturen her, die sie mitten im städtischen Alltag verortet: Spannt schon mal drei Dutzend Leinen über eine belebte Straße und hängt darauf Hunderte von gebrauchten, frisch gewaschenen Herrenoberhemden dicht an dicht auf. Oder sie bedeckt die breiten Stufen, die steil hinaufführen zur Kathedrale von Helsinki, mit Herrenjackets.

Im Vergleich dazu ist Kaikkonens Arbeit „Als Birke betrachte ich die Welt gelassen“, die jetzt in Kiel zu sehen ist, sehr still, beinahe in sich zurückgezogen: Der Besucher schaut auf eine senkrechte Reihung von leicht bläulichen, verwaschen wirkenden Hemden – ja, wiederum Hemden – die jeweils die Arme eng an sich gedrückt halten. Das Oberhemd als Totempfahl? Und was ist aus denen geworden, die diese Hemden mal getragen haben – vielleicht sogar voller Tatendrang und Zuversicht?

Blick über die Ostsee

„Other Worlds“ nennt sich die Gruppenausstellung mit zeitgenössischer finnischer Kunst, in der Stadtgalerie Kiel, die ja immer wieder den Blick über die Ostsee Richtung Nordosten schweifen lässt, nicht nur, wenn wieder eine Präsentation des Ostseeraum-Kunst-Netzwerks „Ars Baltica“ ansteht.

Skulpturales wird jetzt gezeigt, auch Malerei, was bemerkenswert ist, denn die galt in in den vergangenen Jahren auch in Finnland nicht immer als aktuelles Darstellungsfeld und hatte es entsprechend schwer. Videoarbeiten sind vertreten, etwa Tuomas A. Laitinens traumverwobener Clip einer in sachter Zeitlupe ausgetragenen Kissenschlacht, zu der eine gestrenge, fast automatische Stimme Anweisungen gibt, wie man sich in einem Schlafsaal zu verhalten hat – Ordnung halten, nicht laut herumrennen, den Anweisungen folgen!

Sehr präsent ist in der Ausstellung Fotografie. Ilkka Halso etwa zeigt wuchtige Bildnisse von Naturinszenierungen, was in Finnland wohl naheliegt, wirbt das Land doch unverdrossen mit mindestens tausend Seen und angeblich endlosen Wäldern. Bei Halso dagegen liegt die Natur mal in alle Einzelteile zerlegt in scheinbar endlosen Regalen griffbereit, um an beliebigen Orten auf- und wieder abgebaut zu werden. Mal aber auch wird sie mitten im urbanen Raum aufwändig als scheinbare Naturidyllik reinszeniert – als erhabenes Seen-Porträt mitsamt Fels und Baumgruppe auf einer Großleinwand.

Kunstvoll gebaute Verschläge

Sehr spannend ist auch die Fotoserie „In Situ“ von Ari Saarto, der Obdachlosen-Hütten in der Metropole Tokio denen in Finnlands Hauptstadt Helsinki gegenüberstellt. Er kam auf das Thema, als er vor einigen Jahren nach Japan eingeladen war, um dort die damals schnell gehypte junge finnische Fotografie vorzustellen. Ihm seinerseits fielen die erstaunlich kunstvoll gebauten Verschläge auf, mit denen sich wohnungslose Japaner unter Brücken oder im Schatten von Bürotürmen ein eigenes Heim zu schaffen suchten, aus schnödem Gebrauchtholz und aus meist blauen Plastikplanen. Was ihn ebenfalls erst irritierte und dann immer mehr beschäftigte: dass seine Gastgeber diese sehr sichtbaren Wohnstätten nicht wahrzunehmen schienen oder nicht wahrnehmen wollten.

Eher intuitiv schoss Saarto ein paar Bilder, fuhr zurück nach Helsinki und begann sich dort systematisch mit der heimischen Wohnungsnot zu beschäftigen. Auch dort stieß er auf Hütten, in denen Wohnungslose ein normales Leben zu leben versuchen, anders als in Tokio allerdings kaum mitten im Zentrum gelegen, sondern im Gegenteil weit entfernt am Stadtrand oder absichtlich versteckt am Rande von Gleisanlagen oder Gewerbehöfen.

So wechselt seine Serie nicht nur gekonnt zwischen Konzept- und seriell anmutender Dokumentarfotografie, sie stellt auch Fragen nach der Präsenz des Nicht-Sichtbaren, dass dennoch seine Spuren hinterlässt – und seien es längst verfallene Hütten, deren Reste weit verstreut auf einer Brache liegen und die so etwas von Ruinenfeldern ausstrahlen, die auf den modernen Großstadtarchäologen zu warten scheinen.

„Other Worlds“: bis 8. Februar 2015, Stadtgalerie Kiel
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