Air Berlin verlässt Mallorca: Malle mía!

Ab 2017 fliegt das Unternehmen nicht mehr auf die Insel. Das wird die Bundesrepublik verändern – profitieren gar die vergangenheitsverliebten Populisten?

ein Strand mit Gästen und Sonnenschirm

The Germans stay at home: nie mehr Liegestühle ‚reservieren‘! Foto: dpa

Damit endet eine Ära“, klagen unisono Bild und die Mallorca Zeitung, von der Erstere die Formulierung ja auch abgeschrieben hat. Was muss da nur geschehen sein, wenn zwei Presseorgane, denen normalerweise das Pathos so fremd wie nüchterne Recherche Pflicht ist, sich zu solchen Worten genötigt sehen?

Man denkt, die SPD wurde verboten oder der FC Bayern aufgelöst, doch es ist viel schlimmer: Air Berlin stellt im Rahmen seiner Restrukturierungsmaßnahmen seine Flüge nach Mallorca ein. Mit dem Sommerfahrplan 2017 wird endgültig Schluss sein, dann heißt es statt „Hasta la vista, La Palma“ nur mehr „Adiós und auf Nimmerwiedersehen“.

Um das Ausmaß des Dramas wenigstens annähernd zu begreifen, muss man wissen, dass Air Berlin die Urlaubsinsel seit 1979 anfliegt. Da steckte der Massentourismus per Flugzeug noch in den Kinderschuhen.

Die Passagiere latschten mit Bomben, Haustieren und riesigen aufblasbaren Krokodilen einfach ungehindert in den Doppeldecker. Man konnte, nein, man mussterauchen, es gab gratis Schnaps bis zum Abwinken.

Air Berlin wurde mit dem Mallorca-Geschäft überhaupt erst groß und bildete zusammen mit Neckermann und der Deutschen Bundesbahn eine untrennbare und sprichwörtliche Dreifaltigkeit der Urlaubsreise. Air Berlin war Mallorca.

Nun ist es vorbei, bye-bye Junimond, it’s all over now, Baby blue – man muss nicht erst die Musikgeschichte bemühen, um zu erkennen, dass die Nostalgie mit der Eifersucht um den Rang der gleichzeitig überflüssigsten, schäbigsten und stärksten aller Empfindungen wettstreitet. Generationen von Urlaubern verbinden wie konditionierte Meerschweinchen untrennbar die Begriffe Air Berlin und Urlaub, Wirtschaftswunder, Opel Kadett und vierzehntägige Pauschalflucht aus der Zeche Zollverein in die Sonne des Südens.

Trauer und Wut

Die Leute sind verstört und traurig. Ihre Ordnung ist aus dem Gleichgewicht geraten, ihr persönliches Koordinatensystem in den Grundfesten erschüttert.

Wenn Air Berlin nicht nach Mallorca fliegt, ist das, als würde der Nikolaus nicht mehr kommen. Oder, schlimmer noch, er kommt zwar, aber in Gestalt eines glitschigen, grünen Monsters mit schrecklichen Hauern, das unerträglich laut in eine billige Plastiktröte bläst. Denn so wird sich das für die Fluggäste in Zukunft anfühlen, wenn wie geplant ein reichlich undurchsichtiges Konglomerat aus der Schwestergesellschaft Niki, dem Großaktionär Etihad und Tuifly die Route übernommen haben wird.

Und hinterher ist das Geschrei über den nun zwangsläufig anlaufenden Automatismus wieder groß: dass die Rattenfänger Zulauf erhalten, die sich als Bewahrer der „alten Werte“ gerieren, wie sie die Aufrechterhaltung jeglicher Form von ungerechtfertigter Dominanz gern nennen – Parteien wie AfD und CSU oder Religionen wie Islam und Christentum.

Vielleicht denkt man bei Air Berlin ja doch noch einmal über alles nach?

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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