Africa Women Journalism Project: „Viele Frauen üben Selbstzensur“

Frauen in Afrika werden besonders heftig belästigt, wenn sie sich politisch äußern, sagt Journalistin Catherine Gicheru. Sie beobachtet vermehrt Cyberstalking.

Journalistin Catherine Gicheru mit Mikrofon bei einer Veranstaltung.

Catherine Gicheru aus Kenia leitet das Africa Women Journalist Project Foto: Christoph Hardt/imago

taz: Jour­na­lis­t:in­nen sind überall auf der Welt Anfeindungen ausgesetzt. Doch afrikanische Frauen in der Medienbranche haben es besonders schwer. Warum ist das so, Frau Gicheru?

Catherine Gicheru: Es sind vor allem kulturelle Normen, die Frauen daran hindern, beruflich voranzukommen. Konservative Ansichten über die Rolle der Frau in der Gesellschaft schränken ihren Zugang zu Ressourcen ein und begrenzen ihre Mobilität. Journalistinnen sind mit festgefahrenen Geschlechterstereotypen konfrontiert, die ihre Fähigkeit infrage stellen, über bestimmte Themen zu berichten oder in einem schwierigen Umfeld zu arbeiten. Die patriarchalische Dynamik in den Redaktionen verschärft das noch. Frauen werden nur selten über bestimmte Ebenen hinaus befördert. Es gibt eine gläserne Decke oder, im Falle afrikanischer Journalistinnen, eine Betondecke. Das verhindert beruflichen Aufstieg und führt häufig zu ungleicher Bezahlung. Zudem leidet die Karriere von Journalistinnen stark, wenn sie Mütter werden – ein allgemeines Problem auf der ganzen Welt. Sie haben auch mit sexueller Belästigung, Beleidigungen und Sexismus am Arbeitsplatz und bei der Ausübung ihrer Arbeit zu kämpfen. Was ich aber am meisten hasse, ist die Online-Belästigung, die Frauen, insbesondere Journalistinnen, aus diesen Bereichen verdrängt.

Weshalb?

Es ist ein allgegenwärtiges Problem, aber speziell Journalistinnen in Afrika und Kenia werden belästigt, wenn sie sich zu einem bestimmten Thema äußern. Viele dieser Angriffe gehen auf das Konto von Trollen, die von Organisationen oder Politikern gegen Bezahlung für Online-Attacken angeheuert werden. Aus einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage geht hervor, dass etwa drei von vier Journalistinnen aufgrund der Themen, über die sie berichten, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Geschlechts wegen online belästigt worden sind. Trotzdem gelingt es den Redaktionen nicht, die Journalistinnen angemessen vor solchen Angriffen zu schützen. Diese Normalisierung der Online-Belästigung ermutigt frauenfeindliche Personen, hasserfüllte Inhalte zu verbreiten und sich darauf zu berufen, dass sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen. Darüber hinaus bieten die Redaktionen den Frauen nur sehr wenige oder gar keine Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung. So fragen sich viele, was sie da eigentlich hält – und gehen.

ist Investigativjournalistin und Direktorin des African Women Journalism Project. Zuvor war sie Gründungs-Chefredakteurin von „The Star“, Kenias am schnellsten wachsender Zeitung. Sie wurde mit dem Courage in Journalism Award der International Women's Media Foundation ausgezeichnet.

Welche Art der Übergriffe beobachten Sie häufig?

Cyberstalking, Mobbing, unerlaubtes Fotografieren und Verleumdung sowie die Einrichtung von Parodiekonten sind häufige Formen des Angriffs. Die Parodie-Konten verbreiten falsche Nachrichten, meist sexueller Natur. Diese oft frauenfeindlichen Angriffe gehen in der Regel unter die Gürtellinie, indem sie die Arbeit von Journalistinnen untergraben, ihre Meinung ablehnen, in ihre Privatsphäre eindringen, ihre Motive infrage stellen und alle möglichen anderen unsinnigen Vorwürfe erheben. Diese Angriffe richten sich nicht nur gegen Journalistinnen, sondern auch gegen andere Frauen, die es wagen, im Internet und zunehmend auch offline ihre Meinung zu sagen. Wenn sie ihre Meinung äußern, werden sie beschuldigt, sexuelle Beziehungen zu jemandem zu haben, oder es wird ihnen unterstellt, sexuelles Interesse zu haben. Es ist immer irgendwie auf das Sexualleben gerichtet.

Welche Folgen hat das?

Die Folge ist ganz klar. Es gibt zu wenige und immer weniger weibliche Stimmen in der Öffentlichkeit. Viele Frauen wollen sich nicht mehr äußern, üben Selbstzensur. Je häufiger das geschieht, desto größer ist der Verlust für die Gesellschaft insgesamt. Was bleibt, sind Echokammern, in denen Männer mit Männern reden.

Wir sind nicht dabei, 51 Prozent der Gesellschaft reden nicht mit. Das ist traurig. Neulich etwa hat man das besonders gut im kenianischen Fernsehen gesehen. Da gab es eine Talkrunde zu der Frage, ob die Steuer auf Menstruationsprodukte gesenkt werden solle – und es redeten nur Männer und auch in den Beiträgen wurden nur Männer befragt. Sogar zu diesem Thema! Was wissen die denn darüber? Wenn man dann die zuständigen Journalisten fragt, warum sie keine Frauen in die Talkrunde eingeladen haben, sagen sie, dass es keine Frauen gab, die sich äußern wollten.

Glauben Sie das?

Natürlich gibt es für Journalisten keine Entschuldigung dafür, verschiedene Stimmen und Meinungen nicht zu berücksichtigen. Es stimmt, dass Journalisten immer unter Zeitdruck arbeiten und immer mehr Zeit brauchen. Aber sie sollten dafür sorgen, dass verschiedene Stimmen in ihren Berichten die Regel sind, nicht die Ausnahme. Bedauerlicherweise sind einige Journalisten nicht daran interessiert, die Stimmen von Frauen zu verstärken.

Wo ist die Lage am schlimmsten?

Laut The Chilling, einer globalen Studie über Online-Gewalt gegen Journalistinnen, stuften viele Facebook als die am wenigsten sichere Social-Media-Plattform ein. Es ist jedoch offensichtlich, dass X, ehemals Twitter, heute die frauenfeindlichste Plattform ist. Das Umfeld hat sich dort erheblich verschlechtert, sodass es für Frauen immer schwieriger wird, ihre Ansichten frei zu äußern. Das erstreckt sich auch auf geschlossene Chaträume. Es frustriert mich, dass der Rückzug aus diesen Plattformen bedeutet, dass Frauen die Teilnahme an dem so wichtigen globalen Gesprächen verpassen. Es ist für sie aber weder gesund noch produktiv, sich weiterhin in solch feindlichen Umgebungen zu engagieren.

Welche Schuld haben die Unternehmen an dieser Lage?

Die neuen Medien unterstützen die negative Darstellung von Frauen und tun nichts oder nur sehr wenig, um diese schädlichen Stereotype zu beseitigen. Frauen stark objektiviert, vor allem durch Memes. X und andere Tech-Unternehmen reagieren nicht auf Meldungen oder Anträge auf Entfernung und behaupten, die Drohungen würden nicht gegen ihre Community-Regeln verstoßen. Von dieser Inkonsequenz sind Journalistinnen unverhältnismäßig stark betroffen, was sie anfälliger für Online-Belästigungen macht. Die Unternehmen könnten den Bedenken von Journalistinnen aus dem Globalen Süden mehr Aufmerksamkeit schenken. Es ist frustrierend, zu versuchen, beleidigende oder gefährliche Beiträge zu entfernen. Meistens klappt es nicht.

Ihre Kritik wird seit einiger Zeit durchaus hörbar vorgebracht. Hat sich etwas gebessert?

In anderen Regionen, aber nicht in meiner. Trotz der Absicht, sichere und gleichberechtigte Räume zu schaffen, zeigen soziale Medienplattformen keine Motivation, die vorherrschenden Ungleichheiten anzusprechen. Sie behalten Doppelstandards bei, die Journalistinnen im Globalen Süden unverhältnismäßig stark benachteiligen.

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