Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Die nervöse NPD

In Sachsen-Anhalt braucht die Partei dringend Erfolge. Die Neonazis sind vor der Landtagswahl unruhig geworden. Das belegen interne Mails.

In Sachsen-Anhalt formiert sich Widerstand gegen die Rechten. Bild: dapd

Die NPD weiß, was sie will: in den Landtag von Sachsen-Anhalt. Und sie weiß, wer sie wählen könnte: Nicht "Jin/Jang und Azül", sondern "Kevin und Mandy", wie Landeschef Matthias Heyder im November in einer internen Mail an NPD-Kameraden schreibt. Arm oder arbeitslos: in diesem Milieu vermutet die rechtsextreme Partei noch Stimmenpotenzial. Gezielt sollen deshalb soziale Brennpunkte mit NPD-Material versorgt werden und Tafeln von Wahlkampf-Trucks angesteuert werden.

Die Leitung der Kampagne in Sachsen-Anhalt hat einer der wichtigsten Kader der Partei übernommen: Holger Apfel, Fraktionsvorsitzender der NPD im sächsischen Landtag, wo der Partei 2009 erstmals der Wiedereinzug in ein Parlament gelungen ist. Apfel soll einen straff geführten, professionellen Wahlkampf organisieren - doch dann hakt es oft schon im Kleinen. "Scheiße", schimpft Apfel in einer E-Mail, als er von einem NPD-Mann erfährt, dass eine Druckerei keine Flyer mehr für die Partei liefern will - "auch nicht mehr an Deckadressen".

Über 60.000 E-Mails aus der rechtsextremen Partei sind der taz und anderen Medien zugespielt worden. Die allermeisten wurden zwischen März 2010 und Januar 2011 verschickt. Die taz und Experten außerhalb unserer Zeitung haben die Mails sowohl technisch als auch inhaltlich geprüft. Es gibt keinen Zweifel an ihrer Echtheit. Die NPD wollte sich am Freitag nicht konkret zu den E-Mails äußern und drohte der taz mit rechtlichen Schritten.

Die Mails erlauben tiefe Einblicke in die Strukturen der NPD, ihre Mitglieder, Spender und Unterstützer, ihre dubiosen Finanzpraktiken - und in ihr menschenfeindliches Weltbild.

In einer Dokumentation hat taz.de eine erste Auswahl von NPD-Emails veröffentlicht. Zudem erklären taz-Autoren, wie sie die Mails gesichtet haben und was sie schwärzen mussten.

Hunderte, wenn nicht tausende der E-Mails befassen sich mit dem Wahlkampf in Sachsen-Anhalt, wo kommenden Monat gewählt wird. Das ist kein Zufall. Für die NPD ist die dortige Wahl die wichtigste des Jahres. Die NPD-Bundesspitze will am 20. März in Magdeburg einen Erfolg. Und sie braucht ihn auch. Denn mit dem Einzug in den dritten Landtag würden sich die Rechtsextremen in Ostdeutschland endgültig festsetzen - und gleichzeitig die klammen Kassen aufstocken. Momentan liegen sie in Sachsen-Anhalt in Umfragen mal bei 3, mal bei 4 Prozent. Aber bei rechtsextremen Parteien sind die Zahlen der Wahlforscher ohnehin nie sonderlich präzise. Alles ist offen.

Von einer "Schicksalswahl für die gesamte nationale Bewegung in Deutschland" schwadroniert NPD-Landeschef Heyder in einem Rundschreiben. Der Weg in den Landtag werde aber "nur über eine gigantische Materialschlacht erfolgreich zu beschreiten sein", heißt es in einer anderen Mail vom 12. Oktober 2010.

Wahlkampfleiter Apfel will Helfer aus ganz Deutschland organisieren. Den NPD-Landesverbänden werden "Patenschaften" über die einzelnen Landkreise und Städte in Sachsen-Anhalt übertragen. Die genauen Einsatzgebiete teilen die Landesverbände dann nochmals unter ihren Kreisverbänden auf. "Kameradinnen, Kameraden, ab sofort ist Wahlkampfhilfe in Sachsen-Anhalt zu leisten!", ordnet der niedersächsische Landeschef Adolf Dammann dem Fußvolk in einer E-Mail an. Als Wahlkampfhelfer dienen sich auch neonazistische Kameradschaften an, zum Beispiel "freie Kameraden" aus dem niedersächsischen Lüchow-Dannenberg. Auch an einem 25-jährigen Ausländerhasser, der "mit nationalsozialistischem Gruß" seine Hilfe im Wahlkampf anbietet, zeigt sich die Spitze der sachsen-anhaltischen NPD interessiert.

Wahlkampfleiter Apfel will über jeden Schritt informiert werden. Läuft einmal etwas nicht über ihn, ermahnt er seine NPD-Kameraden harsch. "Ich darf daran erinnern, dass zu Beginn eine der Grundvoraussetzungen war, dass Ausgaben mit mir vorher zu besprechen sind!"

Die Mitgliedszahlen von NPD und DVU von 2003 bis 2009 im Vergleich. Stellen Sie sich Farben und Beschriftung ein und drücken Sie dann den Play-Button. Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz

Besonders wenn es um Wahlkampfzeitungen und Plakate geht, mischt er sich ein. Einmal passt ihm ein Plakatentwurf zu einem NPD-Lieblingsthema, "kriminelle Ausländer raus", nicht. "Eine Horde ,widerwärtig' aussehender Ausländer wäre mir da doch lieber", schreibt er im Dezember.

Doch so großspurig die Rechtsextremisten intern von der "nationalen Erhebung" träumen: In der Realität scheitern sie im Wahlkampf bereits an Kleinigkeiten, geraten im Streit um Übernachtungskosten aneinander und werfen sich "Arbeitsverweigerung" vor. Anfangs erfüllen viele NPD-Landesverbände die eingeforderte "innerparteiliche Solidarität" nicht, melden sich nach Apfels Aufruf zur Unterstützung lange nicht.

Während es den Rechtsextremen noch gelingt, auf den vorderen Plätze der Landesliste vermeintlich vorzeigbares Personal aufzustellen - Typ netter Schwiegersohn, rüstige Rentnerin und kompetenter Handwerker -, klappt es bei der Suche nach Direktkandidaten nicht ganz so gut. So schreibt ein NPD-Mann in einer Mail, dass es "relativ schwierig ist vorzeigbare Kandidaten zu gewinnen".

Vielerorts klappt es überhaupt nicht, die Truppen zu mobilisieren. Aus dem Mansfelder Land erreicht den Bundesvorstand im Dezember ein Hilferuf von Judith Rothe vom "Ring Nationaler Frauen". Es gehe nicht voran, "da alle Mitglieder hier im [sic!] Schlafmodus gefallen sind", schreibt sie. Ein Kreisverband verweigert angeblich komplett die Zusammenarbeit, wie der sachsen-anhaltische Landeschef berichtet. NPD-Bundesorganisationsleiter Jens Pühse rät in der Sache zum "Organisatorischen Notstand".

Auch Anti-rechts-Initiativen in Sachsen-Anhalt beobachten, dass die NPD-Kampagne bisher schwächer ausgefallen ist als von den Rechtsextremen großspurig angekündigt. "Die NPD hat bisher keinen so massiven Wahlkampf geführt, wie befürchtet werden durfte", sagte Pascal Begrich vom Verein Miteinander der taz. Die personelle und finanzielle Situation scheint ihr den Wahlkampf in dem weitläufigen Bundesland zu erschweren.

Rechtsextremismusexperte Begrich warnt aber auch: "Die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt erst nach den Schulferien." Also am kommendem Montag.

In der heißen Phase wollen die Rechtsextremen jetzt noch mal zulegen. Ein 22 Mann starker "Plakatierungstrupp" in "Tag-Nacht-Wechselschicht" soll das Bundesland mit NPD-Propaganda überschwemmen. So steht es in einer Mail von Holger Apfel vom 26. Januar 2011.

Doch in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl in Sachsen-Anhalt wird sich nun die NPD nicht nur mit ihrer Kampagne befassen müssen. Anfang Januar vermutete die Partei, dass interne Informationen nach außen dringen. "Wo also ist das Loch?", schreibt ein Parteikader. Mit einem Loch von mehr als 60.000 Mails werden die Extremisten kaum gerechnet haben.

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