+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: USA warnen vor Fall von Awdijiwka

Noch hält die ukrainische Armee die Kleinstadt Awdijiwka. Doch unter russischen Dauerangriffen droht nun die Niederlage. USA: Artilleriemunition geht aus.

Zwei Männer über eine Karte gebeugt

Am 14.02.2024 in Awdijiwka: Olexander Tarnawskyj (r), Befehlshaber des südostukrainischen Frontabschnitts „Taurien“, erläutert Verteidigungsminister Rustem Umjerow (l) die Lage Foto: Ukrainisches Verteidigungsministerium/dp

US-Regierung: „Der Kongress muss sofort handeln“

Die USA warnen vor einer unmittelbar bevorstehenden Einnahme der seit Monaten umkämpften ukrainischen Stadt Awdijiwka durch die russische Armee. „Awdijiwka läuft Gefahr, in russische Hand zu geraten“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, am Donnerstag (Ortszeit) in Washington. „Dies geschieht zu einem großen Teil, weil den ukrainischen Streitkräften vor Ort die Artilleriemunition ausgeht.“ Russland schicke Wellen von Wehrpflichtigen, um ukrainische Stellungen anzugreifen. Da der US-Kongress das entsprechende Zusatzgesetz für weitere Ukraine-Hilfen noch nicht verabschiedet habe, könnten der Ukraine die dringend benötigten Artilleriegeschosse nicht geliefert werden.

Die Lage in Awdijiwka wird auch nach Einschätzung ukrainischer Beobachter immer schwieriger. Durch das Vordringen russischer Kräfte drohen die Verteidiger eingekesselt zu werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Donnerstag: „Wir tun das Maximale, damit unsere Soldaten ausreichend administrative und technologische Möglichkeiten haben, um so viele ukrainische Leben wie möglich zu retten.“ Die fast vollständig zerstörte Stadt gilt als Tor zum nahe gelegenen Donezk. Die ukrainische Regionalhauptstadt war 2014 von russisch unterstützten Kämpfern eingenommen und später unrechtmäßig von Moskau annektiert worden.

Kirby sagte, die russischen Streitkräfte erreichten jetzt die ukrainischen Schützengräben in Awdijiwka und begännen, die ukrainischen Verteidigungsanlagen zu überwältigen. „Der Preis für die Untätigkeit des Kongresses ist hoch.“ Der Streit werde auf den Schultern der ukrainischen Soldaten ausgetragen. „Der Kongress muss sofort handeln.“

Nach wochenlangen Verhandlungen hatte der US-Senat vor wenigen Tagen einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. Ob der Entwurf aber auch in der anderen Parlamentskammer, dem Repräsentantenhaus, durchkommen wird, ist noch völlig offen. Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner eine knappe Mehrheit, und Abgeordnete vom rechten Rand der Partei stemmen sich seit längerem gegen weitere US-Hilfen für die Ukraine. In dem Paket sind rund 60 Milliarden US-Dollar (knapp 56 Milliarden Euro) an Hilfen für die Ukraine vorgesehen, der Großteil davon für militärische Unterstützung (dpa)

Heftige Kämpfe in Awdijiwka

In der von Russland seit Monaten angegriffenen Stadt Awdijiwka in der Ostukraine wird die Lage für die ukrainischen Verteidiger immer schwieriger. „In der Stadt finden heftige Kämpfe statt. Unsere Truppen setzen alle verfügbaren Kräfte und Mittel ein, um den Feind zurückzuhalten“, teilte der kommandierende General für diesen Frontabschnitt, Olexander Tarnawskyj, mit Tagesanbruch am Freitag mit. Er nannte die Lage „schwierig, aber unter Kontrolle“.

Die ukrainischen Verteidiger wehrten sich unter „unmenschlichen Bedingungen“, schrieb der Pressedienst der in Awdijiwka eingesetzten 110. Brigade der ukrainischen Armee am Freitag auf Facebook. „Heute wirft der Feind enorme Kräfte in Form von Personal, gepanzerten Fahrzeugen und Flugzeugen in Richtung Awdijiwka.“

Russische Truppen seien von mehreren Seiten vorgerückt, analysierte das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) in seinem Tagesbericht für Donnerstag. Durch Fotos sei belegt, dass russische Truppen von Norden her an der großen Kokerei von Awdijiwka vordringen. Im Süden der Stadt sei eine wichtige befestigte Verteidigungsanlage der Ukrainer erobert worden. „Russische Truppen können die Einkesselung einiger ukrainischer Kräfte vollenden, wenn die ukrainischen Truppen sich nicht zurückziehen oder erfolgreiche Gegenangriffe unternehmen“, folgerten die Beobachter.

Die ukrainische Seite hatte am Donnerstag berichtet, dass ihre Truppen sich aus einigen vorgeschobenen Stellungen zurückziehen. Brigadegeneral Tarnawskyj sprach davon, dass noch Verstärkungen in bedrohte Gebiete gebracht würden. Aber er sagte auch, dass neue Stellungen vorbereitet würden. „Wir schätzen jedes Stück ukrainischen Bodens, aber der höchste Wert und die höchste Priorität für uns ist es, das Leben der ukrainischen Soldaten zu retten“, schrieb der General auf Telegram.

Russische Truppen versuchen seit Oktober 2023 unter hohen Verlusten, Awdijiwka zu erobern. Die ehemalige Industriestadt war seit 2014 Vorposten der Ukraine in unmittelbarer Nähe zu Donezk, der russisch beherrschten Hauptstadt des Kohle- und Stahlreviers Donbass. Eine Eroberung der Stadt durch russische Truppen sei zwar strategisch nicht bedeutend, sie lasse sich aber vom Kreml propagandistisch ausschlachten vor der russischen Präsidentenwahl im März, schrieben die ISW-Experten. Zuletzt hatte die Ukraine im Frühjahr 2023 die ebenfalls monatelang umkämpfte Stadt Bachmut aufgeben müssen. (dpa)

Bericht: EU müssten Ukraine-Militärhilfe verdoppeln

Die Europäische Union (EU) muss ihre Militärhilfe für die Ukraine einem neuen Bericht zufolge verdoppeln, um einen möglichen Ausfall der USA zu ersetzen. Es sei ungewiss, ob die Vereinigten Staaten im laufenden Jahr weitere Militärhilfe leisten werden, erklärte das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) am Freitag. Demnach haben die Vereinigten Staaten der Ukraine Stand 15. Januar zwischen Februar 2022 und Dezember 2023 Militärhilfe in Höhe von 42,2 Milliarden Euro bereitgestellt – etwa zwei Milliarden Euro im Monat.

Die EU habe seit Kriegsbeginn 49,7 Milliarden Euro Militärhilfe zugesagt. Bislang seien jedoch nur 35,2 Milliarden Euro zugewiesenen worden. „Europa wird seine derzeitige militärische Unterstützung verdoppeln müssen, falls die Vereinigten Staaten keine weitere Hilfen leisten“, erklärte Christoph Trebesch, Leiter des Teams, das den Ukraine Support Tracker erstellt. „Das ist eine Herausforderung, aber letztlich eine Frage des politischen Willens.“

Die EU-Länder gehörten zu den reichsten der Welt. „Bisher haben sie nicht einmal ein Prozent ihrer 2021 Wirtschaftsleistung für die Unterstützung der Ukraine ausgegeben.“ Insgesamt wurden der Ukraine seit Februar 2022 265,1 Milliarden Euro zugesagt. Davon sind 141,3 Milliarden Euro für Finanzhilfe, 107,5 Milliarden Euro für Militärhilfe und 16,3 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe. Die größten Geber sind mit 144,1 Milliarden Euro die EU und ihre Mitgliedstaaten, gefolgt von den USA mit 67,7 Milliarden Euro und dem Vereinigten Königreich mit 15,7 Milliarden Euro.

Es gibt jedoch eine große Kluft zwischen den Zusagen und den tatsächlich zugewiesenen Mitteln, insbesondere bei der EU. Diese hat zwar 144 Milliarden Euro zugesagt, bislang jedoch nur 77,2 Milliarden Euro zugewiesen. Diese Diskrepanz ist darauf zurückzuführen, dass die von der EU zugesagten Mittel in der Regel über mehrere Jahre verteilt sind. (afp)

Putin: Russische Familien mit mindestens zwei Kindern

Russische Familien sollten nach Darstellung von Präsident Wladimir Putin mindestens zwei Kinder haben, um das ethnische Überleben des Landes zu sichern. „Wenn wir als ethnische Gruppe – oder als ethnische Gruppen, die in Russland leben – überleben wollen, müssen es mindestens zwei Kinder sein“, sagte Putin am Donnerstag vor Arbeitern in einer Panzerfabrik in der Ural-Region. Wenn jede Familie nur ein Kind hätte, würde die Bevölkerung schrumpfen. „Und um zu expandieren und sich zu entwickeln, braucht man mindestens drei Kinder.“

Die genauen russischen Verluste im Ukraine-Krieg sind nicht bekannt, gelten unter Experten jedoch als vergleichsweise hoch. Hunderttausende Bürger haben zudem seit Kriegsbeginn vor etwa zwei Jahren das Land verlassen. Das staatliche Statistikbüro schätzte die Bevölkerung zu Beginn 2023 auf 146,4 Millionen. Dies ist ein Rückgang von fast 149 Millionen im Vergleich zum Stand von vor 20 Jahren, jedoch ein Anstieg vom Tiefstand von etwa 143 Millionen von 2007 bis 2012. (rtr)

Russland: Fünf ukrainische Drohnen abgewehrt

Russland hat in der Nacht zum Freitag fünf ukrainische Drohnenangriffe im Grenzgebiet und über dem Schwarzen Meer gemeldet. Eine Drohne sei in der südwestrussischen Region Belgorod nahe der Grenze zur Ukraine und vier weitere über dem Schwarzen Meer von der russischen Flugabwehr abgeschossen worden, teilte das russische Verteidigungsministerium laut Nachrichtenagentur Tass mit. Über mögliche Opfer und Schäden war zunächst nichts bekannt.

Ob wirklich alle Geschosse im Anflug abgewehrt werden konnten, war zunächst nicht unabhängig überprüfbar. Die russische Seite, die seit mittlerweile knapp zwei Jahren einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland führt, meldet im Fall ukrainischer Drohnenattacken oft nur vermeintliche Erfolge der eigenen Luftverteidigung.

Bei ihrem Abwehrkampf gegen die russische Invasion beschießt die Ukraine auch immer wieder russisches Staatsgebiet – sowohl in der Grenzregion als auch im Hinterland. Opferzahlen und Schäden stehen dabei allerdings in keinem Verhältnis zu den schweren Kriegsfolgen in der Ukraine.

Am Donnerstag waren beim Beschuss der russischen Großstadt Belgorod Behördenangaben zufolge mehrere Menschen ums Leben gekommen. Ersten Erkenntnissen zufolge wurden fünf Menschen getötet und 18 weitere verletzt. Unter den Opfern soll auch ein Kind sein. (dpa)

Selenskyj kündigt neue Sicherheitsarchitektur an

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor seinem Besuch in Deutschland und Frankreich an diesem Freitag eine neue Sicherheitsarchitektur für sein Land angekündigt. Es würden mit den Partnern neue Vereinbarungen geschlossen, um die Ukraine langfristig stark zu machen. „So etwas hatte die Ukraine noch nie, obwohl es schon immer gebraucht wurde“, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft am Donnerstag, die er diesmal in einem Zugabteil aufnahm. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt Selenskyj an diesem Freitag in Berlin.

Es wird erwartet, dass Deutschland und die Ukraine ein bilaterales Sicherheitsabkommen abschließen. Am Abend wird Selenskyj auch in Paris erwartet, wo er mit seinem französischen Kollegen Emmanuel Macron ebenfalls eine solche Vereinbarung treffen will. Die Abkommen sollen die Zeit überbrücken, bis die Ukraine Mitglied in der Nato wird. Eine Aufnahme in das Militärbündnis ist für das von Russland angegriffene Land bisher nicht in Sicht. Eine erste bilaterale Sicherheitsvereinbarung hatte bereits Großbritannien mit der Ukraine geschlossen.

„Bald werden wir unsere Verteidigung gegen den russischen Terror noch verstärken“, sagte Selenskyj nach den jüngsten Raketenangriffen, die von den ukrainischen Luftstreitkräften abgewehrt wurden. Der ukrainische Präsident wird an diesem Samstag auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz erwartet, wo er einmal mehr bei den westlichen Verbündeten um Waffen- und Munitionslieferungen sowie finanzielle Unterstützung werben will.

Seiner Videobotschaft zufolge ließ sich Selenskyj am Donnerstag auch vom neuen Oberkommandierenden der Streitkräfte, Olexander Syrskyj, und von Verteidigungsminister Rustem Umjerow über die Lage an der Front unterrichten – besonders in der umkämpften Stadt Awdijiwka und im Osten insgesamt. Awdijiwka könnte bald unter russische Kontrolle geraten. „Wir tun das Maximale, damit unsere Soldaten ausreichend administrative und technologische Möglichkeiten haben, um so viele ukrainische Leben wie möglich zu retten“, sagte Selenskyj. Details zur Lage in Awdijiwka nannte er nicht. (dpa)

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