Björn Höcke sucht politisches Asyl in Greiz

Bei der Landtagswahl im September tritt Thüringens AfD-Vorsitzender nicht in seinem bisherigen Wahlkreis an. Dort wäre ein Sieg über die traditionell starke CDU sehr unsicher

Will gewählt werden und hat Sorge, dass das im heimischen Wahlkreis nicht klappt: der Rechtsextremist Björn Höcke Foto: Bodo Schackow/dpa

Von Michael Bartsch

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke flieht aus seinem eigenen Wahlkreis. Bei der Landtagswahl am 1. September will er nicht wieder im Eichsfeld im nordwestlichsten Zipfel des Bundeslands antreten. Stattdessen hofft der Rechtsextreme auf das Direktmandat im Luftlinie rund 175 Kilometer entfernten Greiz, das zum sächsisch-thüringischen Vogtland zählt.

Das hat politisches Kalkül. AfD-Landessprecher Torben Braga spricht von wahltaktischen Überlegungen: Es sei nun mal schwer, im Eichsfeld ein Direktmandat zu erringen. Bei der Landtagswahl 2019 holte Björn Höcke im Eichsfelder Wahlkreis nur 21 Prozent der Erststimmen. Sieger blieb der CDU-Aufsteiger Thadäus König mit 49 Prozent.

Trotz des AfD-Umfragehochs kneift nun ihr Thüringer Spitzenkandidat vor dieser immer noch wahrscheinlichen regionalen CDU-Übermacht. Zwar führt Höcke auch die AfD-Landesliste an. Es könnte aber durchaus passieren, dass diese gar nicht ziehen wird: Dann nämlich, wenn die Partei deutlich mehr als die bisherigen elf Direktmandate gewinnt. Dann müsste ein Abgeordneter für Höcke zurückziehen, um ihm eine Peinlichkeit zu ersparen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) spottete denn auch auf der Plattform X: Wie schon bei der Ministerpräsidentenwahl 2020 kneife Höcke in Bewährungssituationen. „Der Ungewählte – nun bekommt der Begriff einen Sinn!“, so Ramelow. Er sei ein „wahrhaft teutonischer Held“, legte Innenminister Georg Maier nach.

Mehrere AfD-Kreisverbände hatten Höcke „Asyl“ angeboten, darunter der Saale-Orla-Kreis und das Altenburger Land. Warum die Wahl auf die 20.000-Einwohner-Stadt Greiz und den dortigen Wahlkreis Greiz II fiel, begründet die AfD nicht.

Zwar hatte sie 2019 dort gegenüber der CDU aufgeholt, der AfD-Bewerber lag nur noch 5 Prozentpunkte hinter dem jetzt erneut antretenden Unionskandidaten Christian Tischner. 2021 holte bei der Bundestagswahl der stellvertretende AfD-Bundessprecher Stephan Brandner im Wahlkreis Gera-Greiz-Altenburger Land mit 29 Prozent das Direktmandat. Tischner aber führt das auf die geringe Popularität des damaligen CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet im Osten zurück.

„Schwarz“ sei Greiz seit 1990 immer gewesen, erinnert Tischner. Seither amtiert Deutschlands dienstälteste Landrätin Martina Schweinsburg hier. Mit 65 Jahren darf sie nicht erneut bei der Kommunalwahl im Mai antreten, deshalb will die CDU-Kandidatin am 1. September nun im Nachbarwahlkreis Greiz I das Direktmandat für den Landtag erringen.

Ein Bündnis „Alle gegen die AfD“ wird es in Greiz zur Landtagswahl nicht geben

Extremistische Spießgesellen findet Höcke in der Region sicherlich. Die taz hatte nach Aufdeckung der geplanten Reichsbürger-Verschwörung Ende 2022 schon über Verstrickungen der Region im ehemaligen Fürstentum Reußen recherchiert. Ein Frank Haußner beispielsweise gilt als führender Kopf der „Patrioten Ostthüringen“ und der Gruppe „Freies Thüringen“. Auch Holger Steiniger, stellvertretender Vorsitzender der Linken im Kreisverband Greiz, spricht von einem „starken rechten Milieu“. Bekannt ist seit Jahrzehnten der 2014 noch von der AfD zur NPD gewechselte ehemalige Kreisrat und Kameradschafter David Köckert.

Sowohl Steiniger als auch Tischner rechnen jedoch auch mit „Protestwahlverhalten“ zugunsten Höckes. Sie beide nennen, jeder aus seiner Sicht, eine „große Unzufriedenheit“ als Auslöser dafür. Der Linke macht auch die rigide CDU-Politik gegen Flüchtlinge verantwortlich, der CDU-Mann das „ostdeutsche Sozialgefüge“ mit Altersarmut und Nachwende-Enttäuschungen, aber auch Gefühle der Gängelei bei den Bürgern, namentlich durch die Berliner Ampel.

Einig sind sich der Linke Steiniger und der CDUler Tischner darin, einen Prestigeerfolg der Höcke-AfD verhindern zu wollen. Ein Bündnis „Alle gegen die AfD“, wie etwa bei der Landratswahl im Saale-Orla-Kreis, wird es aber nicht geben. Tischner lässt durchblicken, dass jedes Kreuz auf dem Wahlzettel, das nicht bei ihm gesetzt werde, aus seiner Sicht eine indirekte Stimme für Höcke sei. „Jeder aus seiner Position“, sagt auch Holger Steiniger. Man könne nicht von allen Linken-Genossen offene Unterstützung für den CDU-Kandidaten Tischner erwarten.