Radrennen in Afrika: Ruanda im Radelfieber

Mit Ruanda ist 2025 erstmals der afrikanische Kontinent Gastgeber der Rad-WM. Ein erster Test ist nun das Profirennen Tour du Rwanda.

Fahrerfeld der Ruanda-Tour von vorne auf einer Anhöhe fotografiert

Zunehmende Leistungsdichte: Die Tour du Rwanda nimmt immer mehr Tempo auf Foto: Xinhua/imago

Ruanda ist ein Fahrradland. Jeden Morgen nehmen Hunderte junger Männer in Ruandas Hauptstadt Kigali ihre Räder und warten an den Straßenecken auf Kundschaft. Es handelt sich um ganz simple Räder, keine Schaltung sorgt für Erleichterung. Hinten ist statt eines Gepäckträgers ein Sitz montiert, mal weich, mal weniger weich.

Auf dem werden Fahrgäste durch die Stadt gefahren, für Bruchteile von einem Euro für kürzere Strecken. Zuweilen werden auch Lasten transportiert. Getränkekästen etwa stapeln sich dann in den Himmel, mal sechs, mal neun, das heftigste, was bisher zu sehen war, war eine Komposition aus elf Kästen mit gefüllten Flaschen. Auch ganze Schränke, Dachlatten, riesige Bündel Feuerholz, einmal sogar ein lebendiges Hausschwein wurden vor den Augen staunender Europäer mittels Pedalkraft fortbewegt.

Die jungen Männer, die dieser Tätigkeit nachgehen, sind entsprechend fit. Manche von ihnen finden über das Arbeitsgerät auch zum Sport. Fahrradtaxifahrer tragen an manchem Wochenende eigene Rennen aus. Besonders motiviert sind sie, wenn sie bei ihrem Transportjob auf die trainierende ruandische Nationalmannschaft treffen. Dann wird noch einmal extra Kraft in die Pedalen gelegt. Eric Nduwayo war so einer. „Ich verdiente während der Schulzeit noch extra Geld mit dem Fahrradtaxi. Einmal fuhr an mir die ruandische Nationalmannschaft vorbei. Ich jagte hinterher, erreichte sie, fuhr etwas mit ihnen“, erzählt er.

Er fuhr wohlgemerkt auf einem schweren Rad mit nur einem Gang, die Sportler hatten damals schon zum Teil High-Tech-Rennräder. Nduwayo hielt so gut mit, dass ihn die Fahrer zum nächsten Training einluden. Ein bisschen dauerte es noch, Nduwayo wollte erst seine Schule fertig machen, aber dann trainierte er doch regelmäßig mit dem Nationalteam und stieg selbst zum Nationalfahrer auf.

2016 bestritt er das erste Rennen im Ausland, die Tour du Cameroun, wurde immerhin Siebter in der Nachwuchswertung und bestritt auch zwei Mal die Tour du Rwanda. „Es ist einfach super, wenn du in deinem eigenen Land Rennen fährst. Die Leute bejubeln dich. Es ist fantastisch. Sie feuern aber auch die Fahrer aus dem Ausland an“, erzählt Nduwayo.

Amerikanischen Radsportenthusiasten

Er gehört zur ersten Generation des ruandischen Straßenradsports. Mitzuverdanken ist sie den amerikanischen Radsportenthusiasten Jonathan Boyer und Kimberly Coats. Sie etablierten Team Africa Rising. Boyer, eine ganz spezielle Figur, war der erste US-Amerikaner bei einer Tour de France (1981), vier Jahre später, noch als Profi, Sieger des Ultramarathons Race Around America. Im Jahr 2002 wurde er wegen Geschlechtsverkehrs mit einer Minderjährigen zu einer Haftstrafe verurteilt. 2007 rief er das Team Africa Rising ins Leben. Coats stieß zwei Jahre später dazu.

Zu den Erfolgen gehören die Olympiateilnahme von Adrien Niyonshuti 2012 als Mountainbikefahrer – als erster Afrikaner überhaupt – und die Siege bei der Tour du Rwanda 2014 und 2015 durch Valens Ndayisenga und Jean Bosco Nsengimana. Ndayisenga wiederholte den Erfolg 2016 wieder, dann aber schon für das südafrikanische Profiteam Dimension Data. In jenem Jahr bestritt Nduwayo seine erste Tour du Rwanda im Team von Coats und Boyer. Über beide verliert er nur gute Worte: „Es war so gut, mit ihnen zu arbeiten. Man lernte jede Menge von ihnen, sie waren super organisiert.“

Das ist deshalb erwähnenswert, weil Boyer und Coats 2017 Ruanda verließen, mit Korruptionsvorwürfen an den Verband, und seitdem – gemeinsam mit ihrem einstigen Schüler Niyonshuti – in Benin für einen neuen Radsportfrühling sorgen. Die Verbandsspitze trat 2019 zurück. Das ruandische FBI, das Rwanda Investigation Bureau, ermittelte wegen Korruption und sexuellem Missbrauch. Ein Trainer wurde ins Gefängnis gesteckt. Die neugewählte Verbandsspitze trat 2023 zurück, auch hier lauten die Vorwürfe Korruption und Nepotismus.

Die neue Führung verspricht Transparenz und neue Erfolge. Sie muss sich an diesen Worten messen lassen. Denn den ersten Höhepunkten vor etwa zehn Jahren folgte nach dem Weggang von Team Africa Rising nach Benin ein Niedergang. Auch Nduwayo beendete seine Straßenkarriere, konzentriert sich jetzt mehr auf Mountainbike und Gravel.

Er nahm auch am Race Around Rwanda teil, einem Ultraradmarathon über 1.000 km quer durch das Land. Die Teilnehmer fahren auf nicht abgesperrten Straßen, sorgen selbst für Unterkunft und Verpflegung und dürfen sich bei Pannen auch nicht helfen lassen. Strenge Regeln, zum Teil wie bei den ersten mythischen Jahren der Tour de France.

14 Fahrer aus Ruanda am Start

Das Race Around Rwanda ist allerdings eher ein Magnet für Radsport­abenteurer aus Europa. Unter den 110 Teilnehmern befanden sich nur acht Amateure aus Ruanda. 18 Starter kamen allein aus Deutschland, 14 aus Belgien, 7 aus den Niederlanden. Insgesamt 22 Nationen waren vertreten, die meisten aus Europa. Das ist bei einem Teilnahmepreis von 275 Euro logisch. Etwa 200 Euro verdient ein Lehrer in Ruanda im Monat, ein Anwalt kommt auf 400 Euro. Da leisten sich nur absolute Enthusiasten oder sehr fitte Mitglieder der aufstrebenden Mittelklasse des Landes den ultimativen Erschöpfungstrip.

Das Profirennen Tour du Rwanda, das am Sonntag startet, ist mit 690 km ein ganzes Stück kürzer als der Marathon der Amateure. Immerhin sind hier die Starter aus dem Gastgeberland in der Überzahl. Drei ruandische Teams nehmen teil, insgesamt 14 heimische Fahrer sind unter den 100 Startern. Für sie ist die Tour du Rwanda weiterhin der absolute Höhepunkt der Saison. „Es ist der Diamant im afrikanischen Radsport“, meint überschwänglich Jean Nepo Bigirimana.

Er nahm im letzten Jahr an der Tour du Rwanda teil, wurde dort wegen Defekten und Stürzen nur Letzter, ist aber stolz darauf, bis zum Ende durchgehalten zu haben. Für ihn war die Begegnung mit den internationalen Profis extrem bereichernd. „Chris Froome ist mein Idol, seit ich mit dem Radsport begonnen habe. Ich habe davon geträumt, ihm mal persönlich zu begegnen. Und dann fuhr ich im Rennen mit ihm, war sogar mit ihm auf Fotos drauf. Für junge Fahrer sind solche Momente einfach gut. Und man lernt auch von den Profis aus dem Ausland“, sagt er.

Erstklassige Fahrer aus Afrika

Froome, der gebürtige Kenianer, war 2023 zum ersten Mal bei der Tour du Rwanda. Er weihte damals auch eine Nachwuchsakademie seines Teams Israel Premier Tech in Ruanda ein und lobte den aufstrebenden afrikanischen Radsport. „Zu meiner Zeit in Kenia gab es solche Infrastrukturen noch nicht. Afrika ist ein Kontinent der Zukunft. In den kommenden Jahren wird man erstklassige Fahrer aus Afrika sehen“, prophezeite er.

Wie hoch die Leistungsdichte jetzt schon ist, verspürte der vierfache Tour-de-France-Sieger am eigenen Leib. Auf der 5. Etappe setzte er zu einer Solofahrt an, 115 Kilometer vor dem Ziel. Es war der Versuch, mal wieder eine epische Leistung zu vollbringen. 75 Kilometer hielt sich Froome auch vor dem Feld. Dann hielt ihn aber eine Panne auf. Und später fiel er wegen eines Sturzes noch aus der Gruppe derer, die ihn eingeholt hatten, heraus und musste neben zahlreichen europäischen Profis auch drei aus Eritrea, zwei aus Südafrika und einen aus Ruanda an sich vorbeiziehen lassen.

Zur aktuellen Auflage haben sich immerhin sieben europäische Teams gemeldet, neben dem deutschen Kontinental-Rennstall Bike Aid unter anderem die Nachwuchsteams von Soudal Quick Step, dsm-firmenich PostNL und Groupama. Anreiz ist auch, dass die erste Etappe schon auf dem Rundkurs ausgetragen wird, der zur Weltmeisterschaft 2025 befahren werden soll.

Partner einer Regierung werden

„Es ist ein harter Kurs, ich bin ihn schon abgefahren. Er wird auch erfahrene Profis mental und physisch fordern“, prognostiziert Ex-Straßenfahrer Nduwayo. Kollege Bigirimana lässt sich davon nicht abschrecken. „Ich will bei der WM Medaillen holen“, sagt er forsch. Für die Tour-du-Rwanda-Teilnehmer wird der WM-Test allerdings erleichtert. Sie bestreiten die Strecke im Modus Teamzeitfahren. Die Rundfahrt endet nach acht Etappen am 25. Februar.

Für die WM im kommenden Jahr bringen sich auch die großen Radsportplayer in Stellung. Tour-de-France-Organisator ASO schloss einen Vertrag mit dem ruandischen Radsportverband zur logistischen Unterstützung der WM ab.

Das ergibt Sinn. Andererseits wird der Weltradsport damit zum Partner einer Regierung, die Oppositionelle im In- und Ausland massiv verfolgen lässt. Sehr detailliert schlüsselt das die 125-seitige Broschüre „Join Us or Die“ von Human Rights Watch aus dem Jahre 2023 auf.

Die Repression konterkariert die bemerkenswerten Erfolge, die Land und Gesellschaft nach dem furchtbaren Genozid von 1994 mit fast einer Million Todesopfern erreicht haben. Je näher die Rennen zur Weltmeisterschaft rücken, desto mehr werden die jüngeren Menschenrechtsverletzungen im Ausrichterland Thema der Berichterstattung werden.

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