Anklage wegen Vergewaltigung: Prozess ohne Zeugin

Das mutmaßliche Opfer einer Gruppenvergewaltigung im Görlitzer Park erscheint nicht vor Gericht. Ohne ihre Aussage könnte der Prozess platzen.

Richter und Anwälte beim Prozessbeginn wegen einer mutmaßlichen Vergewaltigung im Görlitzer Park im Kriminalgericht Moabit

Richter und Anwälte im Görli-Prozess. Verhandelt wird in einem der größten Säle am Kriminalgericht Moabit Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Nun hängt alles an der Zeugin. Denn noch immer ist unklar, was genau in der Nacht zum 21. Juni im vergangenen Jahr im Görlitzer Park passiert ist. War es eine Gruppenvergewaltigung, wie die Zeugin in derselben Nacht noch gesagt hatte? Oder einvernehmlicher Sex, wie die Angeklagten behaupten?

Derzeit sitzen drei Männer seit mehreren Monaten in Haft. Besonders schwere Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung und besonders schwerer Raub wirft die Staatsanwaltschaft ihnen vor. Die mutmaßliche Tat hatte eine Debatte über Sicherheit im Görli ausgelöst, nun soll ein Zaun kommen. Doch der Prozess, der die Geschehnisse aufklären soll, steht aktuell auf der Kippe.

Denn die Zeugin, die eigentlich am Montag hätte aussagen sollen, war nicht vor Gericht erschienen. Sie hat die georgische Staatsbürgerschaft und lebt inzwischen wieder dort. Alles sei vorbereitet gewesen für ihre Reise nach Berlin, erklärt der Vorsitzende Richter Thilo Bartl. Anfang Februar habe sie dann aber gesagt, dass sie nicht kommen werde. Sie sei von der Situation überfordert, mit dem Verfahren, ihrem Mann und ihrer Familie. Und sehe sich gesundheitlich nicht in der Lage, auszusagen. Sie sei aber bereit, sich über die deutsche Botschaft in Georgien vernehmen zu lassen.

Das kann allerdings dauern: Denn dafür müsste Deutschland bei Georgien um Rechtshilfe ersuchen. Mit einer Antwort sei der Erfahrung nach erst sechs Monate später zu rechnen, so Richter Bartl. „Georgien ist in der Hinsicht weit weg und bürokratisch äußerst gründlich“, sagt er. Denkbar sei auch, dass Georgien das Gesuch ablehne.

Vorladung per Post

Dabei geht es im Prinzip nur darum, einen Brief zuzustellen. Denn um sie in der deutschen Botschaft zu vernehmen, müsste Deutschland die Zeugin offiziell – also per Post – vorladen. So eine Ladung fällt aber unter die Hoheitsrechte eines jeden Landes. Aus diesem Grund müssten das die georgischen Behörden in die Wege leiten.

Richter Bartl machte am Montag klar, dass er so ein Vorgehen im laufenden Verfahren für zu langwierig hält. Das habe die Zeugin „zu spät initiiert“. Aus seiner Sicht gäbe es zwei Szenarien: Entweder könnte das Gericht das Verfahren aussetzen und in der Zeit das Rechtshilfegesuch an Georgien stellen. Oder die Zeugin könne erklären, dass sie sich nicht vernehmen lassen werde. Dann könnte das Gericht ihre bisherigen Aussagen verwenden und im Gericht verlesen. In dem Fall wäre der Prozess möglicherweise ziemlich schnell vorbei.

Vorbei heißt allerdings nicht aufgeklärt. Zu Prozessbeginn war ein neuer Beweis aufgetaucht: Ein Video, wohl gefilmt von einem der Angeklagten, das die Zeugin in der Tatnacht im Görlitzer Park zeigen soll. Und zwar bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen mit einem der weiteren Tatverdächtigen und im Beisein ihres Mannes. Doch weder die Zeugin noch ihr Mann hatten bei der Polizei darüber berichtet. Aus Sicht der Verteidiger entlastet dieses Video mindestens einen der Tatverdächtigen. Der hatte nämlich wiederum erklärt, dass das Ehepaar ihn angesprochen und zu Sex mit der Frau aufgefordert hatte.

Das Video ist nur wenige Sekunden lang. Die Ermittler stufen es als echt ein, doch was davor oder in den rund zehn Minuten danach bis zum Eintreffen der Polizei passiert ist, zeigt es nicht. „Ich bin davon überzeugt, dass etwas passiert ist“, sagt Roland Weber. Er ist ehrenamtlicher Opferbeauftragter des Senats und Anwalt der Zeugin. Dafür würden die Aussagen der Zeugin sprechen, die Verletzungen, die bei ihr dokumentiert wurden, und auch die Anwohner, die Hilfeschreie aus dem Park gehört und die Polizei gerufen hatten. „Die Frage ist: Was ist nach dem Video passiert, wer ist wie involviert?“, sagt Weber.

Verteidiger fordern Haftprüfung

„Ohne Zeugenaussage kann das Gericht das nicht aufklären.“ Und wenn die Kammer das nicht könne, sei nach seiner rechtlichen Auffassung ein Freispruch „zwingend“. Weber bekräftigte, dass er die Zeugin noch am Montag über ihre Optionen informieren wolle und sie erneut bitten werde, nach Berlin zu kommen. „Ich hätte sie gern durch dieses Verfahren begleitet und ich hätte ihr eine Menge Hilfe zukommen lassen können“, sagt er.

Am Donnerstag soll der Prozess fortgesetzt werden. Die Verteidiger kündigten an, dann eine Haftprüfung zu beantragen. Die Strafkammer müsse darüber zügig entscheiden, drängen sie.Damit könnten ihre Mandanten demnächst freikommen. Der Richter machte deutlich, dass auch ihm eine baldige Haftprüfung wichtig sei.

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