Florian Schroeder über das Böse: „Der Begriff ‚böse‘ erklärt nichts“

Putin, Hamas, Nazis: Sind wir wieder im Kampf Gut gegen Böse? Der Satiriker Florian Schroeder sagt: Nein. Dieses Denken sei kontraproduktiv.

Der Satiriker Florian Schroeder vor einer Wand in Clärchens Ballhaus in Berlin

Florian Schroeder in Clärchens Ballhaus, Berlin-Mitte. Der Satiriker wehrt sich dagegen, irgendjemanden als böse zu klassifizieren Foto: Sophie Kirchner

An einem Wintertag zur Mittagszeit betritt Florian Schroeder ein ruhiges Restaurant in Berlin-Mitte und setzt sich an einen Fensterplatz. Offenbar ist er als erfolgreicher Fernseh- und Bühnensatiriker intellektuell nicht ausgelastet, denn nun hat er ein sehr ernstes Buch über das Böse geschrieben („Unter Wahnsinnigen“).

wochentaz: Herr Schroeder, ist Christian Lindner böse?

Florian Schroeder: Nein.

Ist Friedrich Merz böse?

Nein.

Wladimir Putin?

Nein.

Aber Adolf Hitler?

Nein.

Nicht mal Hitler? Das müssen Sie erklären.

Ich wehre mich dagegen, irgendjemanden als böse zu klassifizieren. Was nichts relativiert an dem, was derjenige getan hat. Da denke ich jetzt mehr an Hitler als an Lindner. Den Zusammenhang haben Sie mit Ihrer Reihenfolge hergestellt, nicht ich.

Für die Ansicht, dass Hitler nicht böse ist, werden Sie wenig Zustimmung finden.

Der Mensch

Satiriker, Autor und Moderator. Sein wöchentliches Satireformat „Schroeder darf alles“ läuft donnerstags in der ARD und in der Mediathek. Geboren 1979 in Lörrach, Baden-Württemberg. Lebt in Berlin.

Das Buch

„Unter Wahnsinnigen. Warum wir das Böse brauchen“. dtv 2023, 299 Seiten, 24 Euro.

Ich halte Hitler für den grausamsten Verbrecher der Menschheit. Alles, was er getan hat, ist unvergleichbar schrecklich, keine Frage. Aber der Begriff böse erklärt nichts. Er ist eine Form der Scheinimmunisierung. Wir sind auf der anderen Seite, wir sind die Guten. In Wahrheit geben wir jemandem Macht über uns, wenn wir ihn als böse qualifizieren.

Was wäre besser?

Wir sollten versuchen, die Figur zu erklären und uns zu fragen: Warum konnte sie so faszinierend sein? Und könnte sie es heute auch? Und wenn nicht sie, weil sie tot ist – wer dann?

Sie sind ein erfolgreicher Satiriker. In den letzten Jahren haben Sie zudem für ein Buch über das Böse recherchiert. Nun sind wir ja nach Jahrzehnten der Entspannung und Enthärtung auf dem Weg, das Böse doch wieder zu etablieren. Putins Angriffskrieg, der mörderische Terror der Hamas, da kann man schon das Gefühl kriegen, es kämpfe Gut gegen Böse.

Ja, es gibt eine ungeheure Renaissance des Bösen, aber noch mal: Diese binären Codes von Gut/Böse, Freund/Feind helfen überhaupt nicht. So können wir nur, um mit Niklas Luhmann zu sprechen, unseren grenzenlosen Moralüberschuss produzieren. Aber wir haben damit eben nichts erklärt. Und wir sind auch nicht in einem Miteinander, ausschließlich in einem Gegeneinander. Ich glaube, dass diese Begriffe nur zur Verhärtung beitragen und immer Kennzeichen eines Vorkriegszustands sind. Das scheint spätestens seit dem 7. Oktober noch zugespitzter der Fall zu sein als vorher schon.

Wenn die Taten der Hamas nicht böse sind, was sind Sie dann?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Auch wenn es brutal klingt – sie sind menschlich. Nur wenn wir das Grausamste als Möglichkeit menschlichen Handelns anerkennen, können wir damit entsprechend umgehen. Diese Taten als barbarisch abzutun, ist zweifellos richtig – aber zu einfach. Das Unmenschliche als Teil des menschlichen – darum geht es. Das öffnet ein Fenster zu neuen Einsichten. Die Hamas hat ihre Ziele ja schon in ihrer Charta 1988 beschrieben. Das Ziel ist: die absolute Vernichtung aller Juden. Aber auch da würde ich nicht sagen: böse, sondern abgrundtief schlimm, grausam und unverzeihbar. Und darin eben menschlich.

Was heißt das?

Das Entscheidende ist für mich, dass man es nicht als böse qualifiziert, aber eben keinen Millimeter davon abweicht, dass es unverzeihbar ist. Die Relativierung finde ich grauenhaft, hier Harvard, da Greta, diese Versuche, den glorifizierenden Opfermythos fortzusetzen, den sich Teile der sogenannten progressiven Linken seit Jahrzehnten auf die Fahnen geschrieben hat und damit der Hamas mehr oder weniger das Wort zu reden. Ich habe manchmal den Eindruck, bei Corona haben sich die ganzen rechten Spinner ge­outet. Und im Nahostkonflikt outen sich nun die linken Spinner und zeigen ihre unmenschlichen Züge.

Sie haben für Ihr Buch mehrfach mit Horst Mahler gesprochen, dem früheren 68er Linken, RAF-Anwalt und heutigen Rechtsradikalen und Holocaust-Leugner. Wofür steht er?

Dieser alte Horst Mahler hat eine spannende Aktualität bekommen, denn er hat sich ja 1967 von der PLO ausbilden lassen, um mit der RAF den Guerillakrieg vorzubereiten. An ihm lässt sich der Stimmungswechsel der Linken scharfstellen. Erst war es: Israel ist unser Land, Kibbuz, alles links, unterstützen wir, nie wieder Täter sein. Und dann wendet sich das 1967 durch den Sechstagekrieg, und plötzlich stehen alle auf der anderen Seite. Mahler nennt das den Holocaust-Schuldkomplex.

Ein jetzt wieder erschreckend aktueller Begriff: Wenn man gefühlt lebenslang und sogar darüber hinaus schuld ist an einem Verbrechen, das eine andere Generation begangen hat – und dann in den Opfern der eigenen Taten handstreichartig die Täter identifizieren kann. Ich glaube, diese psychologische Entlastungsfunktion spielt eine Rolle, die wir in ihrer Bedeutung noch gar nicht erfasst haben.

Mahler ist sich insofern treu geblieben, als er immer gegen den angeblichen Mainstream gekämpft hat, erst von links, dann von rechts aus ge­sehen.

Das ist die Diagnose, die auf sehr viele Linke zutrifft. Großteile des Spektrums zeigen gerade in unterschiedlichen Schattierungen, dass offenbar ihr größtes Anliegen war, das Dagegen-Sein zum Prinzip zu erheben. Das sieht man an Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer und ihrer schlecht verhohlenen Putin-Apologie. Das sind zwei, die immer davon lebten, dauer­haft im Widerstand zu sein. Man dachte, es gebe konkrete Adressaten dieses Widerstands, aber heute sehen wir: Dort, wo wir Veränderung des Bestehenden unterstellten, stand womöglich der Selbstzweck stärker im Zen­trum, als wir dachten.

Jetzt, da sich die Vorzeichen in kurzer Zeit radikal verändert haben, taugen die alten Maßstäbe nicht mehr. Statt dieser Realität inne zu werden, stoßen viele weiter in die Gegenrichtung, die ihnen vertraut ist – gegen irgendeinen Mainstream, gegen ein unterstelltes Establishment. Bei Jüngeren wie Greta Thunberg oder vielen der identitären Linken zeigt sich das jetzt in der Palästinafrage. Die Ideologie ist bedeutend größer als die Differenzierung, für die man sich immer selbst belobhudelt hatte.

Was sind die Folgen?

Wenn man immer nur dagegen ist, landet man irgendwann in dem Modus: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Das passiert Teilen der Linken gerade. Sie zerstört sich selbst und ihre Verbündeten gleich mit. Und das empfinde ich als dramatische Diagnose in einer Zeit, in der der Rechtspopulismus international solche Erfolge feiert.

Wir sind nun aber doch tatsächlich in verschiedenen Bereichen in einem sehr aggressiven Gegeneinander. Der russische Angriffskrieg auf Europa hat das sichtbarer gemacht.

Ohne Frage, ja. Aber gerade bei Putin kann man sehr schön meinen Punkt sehen, dass es nicht darum geht, den anderen zum Bösen zu erklären, sondern ihn zu verstehen. Wir haben bis zum Februar 2022 nicht verstanden, dass Putin ein offenes Buch war, und all das, was er jetzt getan hat, immer angekündigt hat.

Wir haben aber auch nicht verstanden, dass er für Wandel durch Handel nur sehr bedingt ansprechbar ist, weil dafür der Erfahrungshorizont und damit der Resonanzraum fehlt – und dass sein Thema ein ganz anderes ist, nämlich das, was Ivan Krastev Identitätspanik nennt – die Angst davor, keine eigene Identität zu haben oder sie zu verlieren. Was ich im Moment für eine grundlegende Diagnose für sehr viele Konflikte halte.

Hätte das Verstehen von Putin den Krieg verhindert?

Das wahrscheinlich nicht. Vielleicht aber wäre eine andere Deeskalation möglich gewesen, wenn man Putins geniales Spiel für einen Moment anerkannt hätte: Dem Westen den Spiegel seiner eigenen Selbstreflexion vorzuhalten. Putin hat dem Westen den Gefallen getan, sich so zu sehen, wie er sich selbst wahrnimmt. Um es einfacher zu sagen: Als Jugendlicher haben sich meine Mutter und ich häufig gegenseitig parodiert. Wir konnten so lernen, wie der andere einen sieht, und das mit dem eigenen Selbstbild und dem Bild des anderen abgleichen. Am Ende lösten sich tiefe Konflikte im Raum des Lachens. Übertragen auf die große Bühne hätte das bedeutet: Man hätte den Anfang eines anderen Verständnisses gehabt für das andere, nämlich für Osteuropa und Russland.

Sie sagen, dass es das Böse nicht gibt und dass wir es trotzdem brauchen.

Das Böse ist in erster Linie der Spiegel unserer Ohnmacht. Es erzählt uns etwas über uns selbst, es sagt uns etwas über unsere Ängste, über das, was sich unserer Kontrolle entzieht.

Sie selbst sind der Sohn eines Kriminellen, der wegen Betrugs mehrere Jahre im Gefängnis war. Ihr Vater wollte Sie auch zum Kriminellen machen, schreiben Sie. Wie hat sich das auf Sie ausgewirkt?

Ich habe versucht, bloß nicht so zu werden wie er. Das war das, was über meiner Kindheit und Jugend schwebte. Ich habe alles, was ihn ausmacht, weit von mir gewiesen und gar nicht gemerkt, wie es mich von hinten einholte, dass ich ganz ähnliche Züge hatte wie er, ähnliches Verhalten, ähnliche Selbstüberschätzung, Arroganz, ein subtiler Hang zur Selbstzerstörung.

Moment: In dem ich das Schlechte externalisiere und komplett von mir stoße, wird es Teil von mir?

Genau. Ich schließe es weg, packe es in den Keller oder in eine Schublade. Die mache ich zu. Denke ich. Aber das funktioniert nicht. Das, was ich wegpacke, muss ich kontrollieren und bin heimlich beherrscht davon. Erst in dem Moment, in dem ich das annehme und sage: Ja, ich habe die Züge, kann ich sie damit einordnen und in Griff kriegen, weil ich nicht mehr beherrscht bin von ihnen.

Was ist denn am Begriffspaar Gut und Schlecht besser als an Gut und Böse?

Sehen Sie: Keine Wissenschaft kennt das Böse. Wenn Sie mit Psychotherapeuten sprechen oder mit Psychiatern, selbst mit Kriminologen: Es gibt im Strafgesetzbuch nicht einmal das Wort böse; nur zweimal den Begriff bösartig, einmal bei der Vernachlässigung von Kindern aus bösartiger Absicht und einmal im Volksverhetzungsparagrafen.

Und das Schlechte?

Das Schlecht ist nicht moralisch aufgeladen. Das Schlechte ist ein ethischer Wert. Und das Schlechte läuft immer auf Veränderbarkeit hinaus. Das Böse dagegen ist endgültig und ein rein theologischer Begriff. Es geht dann eben nicht darum, zu erkennen, dass ich relativ gut oder relativ schlecht sein kann. Sondern es geht immer darum: Wenn die anderen böse sind, bin ich gut. In dem Moment, in dem ich das anerkenne, dass ich selbst manchmal auch viel Schlechtes tue, weiß ich auch, dass andere Schlechtes tun, aber darum noch lange nicht böse sind. Diese Grauschattierungen können wir im Moment kaum als produktiv wahrnehmen, das ist Teil des Problems.

Was sagt das über uns?

Das zeigt, dass wir längst nicht so aufgeklärt sind, wie wir glauben, sondern eher in dogmatisch religiösen Zügen denken und leben, da wir derart theologisch aufgeladene Begriffe so scharf stellen. Und das ist ja nun eigentlich das, was wir überwunden zu haben glaubten.

Ich wollte gerade sagen: Vielleicht ist ja Religion das Böse.

Auch das möchte ich nicht gelten lassen, auch wenn die Verführung groß ist. Aber die monotheistische Religion hat unseren Begriff vom Bösen wesentlich in Anschlag gebracht und auch tiefenpsychologisch so verheerend in uns verankert. Diese Erbsünde-Geschichte und die ganze Schöpfungsgeschichte schreit ja nur so vor lauter Gut und Böse-Dichotomien. Das wirkt bis heute nach.

Zum Beispiel gelten Fliegen, Autofahren, Fleisch essen, gerade im erzieherischen Ökosprechen als „Klima­sünden“.

Und damit gibt die Bewegung ihren größten populistischen Kritikern recht, die immer von einer Klimasekte sprechen oder einer Religion. Dieses Comeback der Religion in tief säkularen Zusammenhängen finde ich beunruhigend. Schuld und Sünde sind furchtbare Begriffe aus einer dunklen, präsäku­laren Zeit. Eigentlich geht es doch darum, Verantwortung zu übernehmen und nicht schuld an etwas zu sein.

Es läuft gerade wirklich nicht gut für die liberale Demokratie. Die Ostbundesländer sind das eine, aber es stehen auch wichtigere Wahlen in der EU und den USA an. Was ist für Sie für 2024 die Herangehensweise, die nicht in ein simpel-spalterisches Gut-Böse-Schema reinrutscht?

Auf die Gefahr hin, jetzt als naiv klassifiziert zu werden: Eine produktive Neugierde und ein produktives Staunen, das nicht versucht, Dinge sofort einzuordnen, sondern das im besten Sinne des Wortes beweglich ist.

Heißt?

Ich kann einen Rechtsextremisten voll und ganz verurteilen für sein Weltbild. Trotzdem kann ich – nicht in einem politischen, aber in einem psychotherapeutischen Sinne – fragen, worüber sich die Leute Sorgen machen, die Rechtsextremisten wählen. Aber schon das ist derzeit nicht mehr möglich: Wenn du die Ängste der Leute ernst nimmst, bist du ein AfD-Verharmloser, wenn du sagst, dass Leute Nazis sind, die AfD und Höcke wählen, dann bist du jemand, der diese Leute beschimpft.

Wie mache ich es besser?

Ich kann die Leute bei ihrer Verantwortung packen und sagen: Wenn du Rechtsextremisten wählst, dann machst du dich mit ihnen gemein und bist selbst ein Fascho – egal was der Grund deiner Wahl ist. Und zugleich ist es wichtig, sich – von den lupenreinen Faschos abgesehen – die Ängste von AfD-Wählern anzugucken. Vieles hat wohl zu tun mit der Angst vor Statusverlust, davor, dass das eigene Leben einer unkontrollierbaren Veränderung der Welt geopfert wird. Globalisierung ist da nur der nützliche Pappkamerad.

In Ihrer ARD-Sendung „Schroeder darf alles“ und auf der Bühne praktizieren Sie eine Form von Satire, die Ihre Zuschauer nicht nur bestätigt – anders als Böhmernann hier und Nuhr da –, sondern auch verunsichert, mich zum Beispiel. Darf ich lachen, liege ich richtig, bin ich wirklich der Gute?

„Das ist so ein linker Impuls: Alles, was nicht da sein soll, soll keine Plattform bekommen. Bei den Rechten wäre es wahrscheinlich der Wunsch nach dem physischen Tod. So weit geht die Linke zum Glück nicht“

Wenn Satire in der Zeit der Eindeutigkeiten und Scheinsicherheiten eine letzte Aufgabe hat, dann die, zu verunsichern, Selbstverständlichkeiten zu brechen, Konventionen infrage zu stellen – insbesondere die zwischen Publikum und Künstler. Dazu gehört auch, die Vision eines besseren Lebens zu verabschieden, das häufig mit der sogenannten Kunst assoziiert wird. Im Gegenteil, ich habe häufig das Gefühl, dass Kunst genau dann schlecht wird, wenn sie den Anspruch hat, die Welt zu verbessern.

In dem Zusammenhang müssen wir über die Satirikerin Lisa Eckhart sprechen, deren Bühnenfigur Leute mit dem potenziell Abgründigen in sich selbst konfrontiert. Das wird aber verweigert, indem der Mensch Eckhart als Antisemitin gelabelt wird.

Das ist ja an sich ein spannender psychologischer Reflex.

Das ist auch ein Kernthema Ihres Buchs?

Wie Sigmund Freud sagt: Das Unheimliche ist das heimlich Vertraute. Das, was wir am weitesten von uns wegschieben, ist das, was uns eigentlich am nächsten ist. Ich mag diese Kunstform, sich selbst zum Bösen zu machen. Aber das ist eine schwierige Position geworden, weil wir dabei sind, den Kampf um die Anführungszeichen zu verlieren. Die Bereitschaft, Ironie und überhaupt Mehrdeutigkeit zu verstehen, tendiert gegen null. Da wird es schwierig für Leute, die ambivalenter agieren.

Ambivalenz ist für manche Leute fast nicht aushaltbar. Die soll auch weg, indem das Böse eindeutig konstruiert wird, so habe ich Sie verstanden.

Ja, das gibt es. Das ist auch so ein linker Impuls: Alles, was nicht da sein soll, soll keine Plattform bekommen. Bei den Rechten wäre es wahrscheinlich gleich der Wunsch nach dem physischen Tod. So weit geht die Linke zum Glück in ihrer Mehrheit nicht. Aber es ist albern zu sagen: Kritik, die mir zu viel wird oder mir nicht gefällt, soll keine Plattform geboten werden. Das ist keine Strategie, um sich gegen die Herausforderungen der Zeit zu immunisieren.

Sondern?

Immunisieren heißt, sich konzertiert und konzentriert zu vergiften mit den Substanzen, um dann immun gegen sie zu sein. Wenn ich aber alles wegschiebe, was mich infizieren könnte, wenn ich das immer alles als böse qualifiziere, dann ist das die Antiimmunisierung. Je weniger Immunität ich aufbaue, umso schneller kippt mein Immunsystem. Ich meine, wir leiden darum gesellschaftlich an einem gewaltigen Abwehrkräftemangel.

Neben Putin, Rechtsextremisten, einem pädophilen Sexualstraftäter behandeln Sie im Buch auch die Klimaaktivisten Letzte Generation. Warum?

Mir geht es darum, dass sich unsere Gesellschaft laut Umfrage zu 90 Prozent entschieden hat zu sagen: Die sind der Feind. Das ist böse, wie die sich festkleben. Wenn eine Protestgruppe so viel Antipathie auslöst, muss sie ja – systemisch gesprochen – etwas richtig machen. Die Frage ist dann einfach: Was tun die genau? Und größer: Was sehe ich über mich, wenn ich sie als Feinde sehe? Und zweitens: Wie viel Dunkles – ich sage nicht Böses – steckt vielleicht auch in den bedingungslos Guten?

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