Social Media aus Sicht einer 50-Jährigen: Influencer und andere Krankheiten

Dämliche Youtube-Selbstdarsteller, Beauty-Schrott, Pöbelei und tausende Follower – tut mir leid, ich kann mich einfach nicht an Social Media gewöhnen.

Eine Hand hält ein Handy auf dem ein User-Profil zu sehen ist.

Wer folgt wem und wie hohl ist der Anlass dafür? Social Media wirft viele Fragen auf Foto: Erik Lucatero / Unsplash

Ich weiß wirklich nicht, ob ich mit 50 Jahren schlichtweg zu blöd für das ganze Social-Media-Gedöns bin oder doch umgekehrt. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Bei dem Wort „Status“ denke ich immer noch an Epilepsie – obwohl mein Kind seit mehr als dreizehn Jahren keinen Anfall mehr hatte – und nicht an die Fotos von den Latte macchiatos anderer Leute auf Whatsapp.

Wenn ich höre, dass soundso viele Tausend oder Millionen Menschen jemandem auf Instagram oder Ex-Twitter „folgen“, fehlt mir dafür jegliche Anerkennung. Im Gegenteil, ich denke: „Führer befiel, wir folgen Dir“. Und auf YouTube abonniere ich noch weniger als sonst im Leben.

Besonders schwer fällt es mir, das Phänomen der Influencer nachzuvollziehen. Ich denke bei dem Wort unwillkürlich an Influenza – also an die Grippe. Ich hab’s mal gegoogelt: tatsächlich leiten sich beide Wörter vom lateinischen „influentia“ ab, was so viel wie „Einfluss nehmen“ bedeutet. Ich kann es kaum glauben, wie unverhohlen schon mit der Bezeichnung Influencer zugegeben wird, dass es darum geht, zu manipulieren und ganze Menschenscharen strecken begeistert die Daumen hoch.

Wie kann man sich denn mit Ansage beeinflussen lassen und diesen Narzissten freiwillig virtuell hinterherlaufen, ihre Produkte kaufen oder sogar ihre politische Propaganda glauben? Das ist doch noch viel kranker als Grippe!

Zum Glück bin ich viel zu handyfaul und zu blöd, um zu kapieren, wie das alles geht

Von meinen Verlagen und Kolleginnen höre ich seit vielen Jahren, dass es die Verkaufszahlen von Büchern enorm hebt, wenn Autoren auf Social-Media-Plattformen aktiv sind. Manche behaupten sogar, ohne ginge es heute gar nicht mehr. Das stimmt aber wohl genauso wenig wie meine Annahme, dass sich gute Bücher immer durchsetzen, auch ohne Tamtam. Dass Tiktok nun einen relevanten Verkaufsfaktor auf dem Buchmarkt darstellt, frustriert mich – wenigstens solange es dort nicht um meine Bücher geht. Und dass Verlage mittlerweile angesagte Influencer anfragen, ob sie mit ihnen Bücher veröffentlichen wollen, pisst mich regelrecht an.

Aber wahrscheinlich ist das alles gar nichts Neues: Ich war schon immer neidisch, dass jeder noch so blöde Promi jedes noch so blöde Buch machen konnte, worüber dann massenhaft berichtet wurde, sodass es massenhaft gekauft wurde. Die Influencer sind eben die Popstars von heute, die ich genau so wenig kenne oder ernst nehme, wie meine Eltern früher die Gesichter aus meinen Bravo-Heften.

Dämliche Youtube-Selbstdarsteller und Beauty-Schrott

Ich fläze mich gerne mal ein Weilchen zu meiner Tochter und ihrem Tablet aufs Sofa, um zu schauen, was sie so schaut. Zum Glück schaut sie nicht den ganzen Beauty-Schrott. Es bleibt mir trotzdem ein Rätsel, welchen Reiz es hat, anderen Leuten zum Beispiel beim Spielen von „Minecraft“ zuzuschauen. Menschen beim Werken zu beobachten gefällt mir dagegen – es nervt mich nur total ab, dass in den Videos selbst das komplizierteste Projekt super einfach wirkt – jedenfalls solange man eine Drehbank, einen Winkelschiefer und 100 Liter Epoxidharz zur Hand hat.

In letzter Zeit schaut Olivia Animationen, die aus Daumenkinos entstanden sind. Das sind sehr nette Filme, aber ich verstehe trotzdem nicht, warum sie nicht lieber selber welche macht – ich meine Daumenkinos, nicht Youtube-Filme. Ich persönlich würde Social-Media-Inhalte wahrscheinlich letztlich noch lieber selber kreieren, als sie zu konsumieren. Wenigstens solange, bis in den Kommentaren gepöbelt wird. Also nicht lange.

Zum Glück bin ich viel zu handyfaul und viel zu blöd, um zu kapieren, wie alles geht. Anders natürlich als die meisten Jugendlichen. Sie antworten auf die Frage nach ihrem Berufswunsch in großer Zahl: „Influencer“. Das gibt Hoffnung! Wenn bald alle selber den Larry machen, werden nicht mehr genug Follower da sein und der Hype geht endlich vorbei.

Fragt sich nur, wie sie es in den Schulen schaffen, die vielen egozentrischen Selbstdarsteller bis dahin zu ertragen.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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