Kriegstüchtigkeit und Verteilungskämpfe: Das Popcorn ist jetzt schon alle

Der Bundesverteidigungsminister und der Generalinspekteur der Bundeswehr sprechen von „Kriegstüchtigkeit“. Die durchzubuchstabieren ist unerfreulich.

Boris Pistorius und Carsten Breuer

Verteidingungsminister Boris Pistorius und Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr Foto: Florian Gärtner/photothek/imago

Wie gut, dass es die taz-Podcasts gibt. Sie zwingen mich, wenn ich zur Aufzeichnung eingeladen werde, zur vertieften Beschäftigung mit einem wichtigen Thema. So kam ich diese Woche dazu, mir die Rede anzuschauen, die Deutschlands oberster Soldat, Generalinspekteur Carsten Breuer, im Juli im „Cyber Innovation Hub“ der Bundeswehr gehalten hat.

Das mit dem Cyber können Sie gleich wieder vergessen. Die Rede war gar nicht auf den Rahmen und den Anlass zugeschnitten, sondern weit darüber hinaus gedacht. Breuer wählte die Gelegenheit, den Begriff der „Kriegstüchtigkeit“ in die Welt zu setzen, der aktuell überall widerhallt, weil Verteidigungsminister Boris Pistorius ihn im Fernsehen verwendet hat: „Wir müssen kriegstüchtig werden, wir müssen wehrhaft sein und die Bundeswehr und Gesellschaft dafür aufstellen“, sagte Pistorius Ende Oktober im ZDF, und leider hakte die Moderatorin nicht ein, sondern schwenkte auf Nahost.

Breuer hatte das Wort von der Kriegstüchtigkeit im Hochsommer noch bloß „für die Streitkräfte“ in Anspruch genommen. „Für die Bundeswehr bedeutet das: Alle müssen zu uns in die Arena kommen. Platz auf den Zuschauerrängen gibt es nicht. Und Popcorn ist auch alle.“ Wer Breuers Idee von „Mentalitätswandel“ bis dahin noch nicht verstanden hatte, dem dürfte spätestens bei dieser komplett ungeneralinspekteurhaften Metaphernwahl aufgefallen sein, dass da jemand ganz neue Maßstäbe an die Truppe anlegen will.

Was Pistorius nun auf die Gesellschaft erweitert wissen möchte. Nach dem Appetithäppchen im ZDF führte er im ARD-Gespräch aus, dass zur „Zeitenwende“ auch eine ganz neue Wahrnehmung von Bedrohung gehöre. Nach 30 Jahren ohne besondere Vorkommnisse in der Nachbarschaft (das zerfallende Jugoslawien wird dabei ja stets weggeblendet) hätten wir es angesichts des Verhaltens Russlands mit neuen Gefahren zu tun. „Sie können Abschreckung nur wirklich gewährleisten, wenn Sie auch sagen, ich werde mich verteidigen, ich kann es, und ich will es auch.“ Kriegstüchtigkeit zu fordern, sagte Pistorius, heiße natürlich nicht, einen Krieg führen zu wollen: „Das ist das Letzte, was ich will.“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Sollte man dem Minister glauben, finde ich. Doch gibt es auch ohne die immer schon groteske Unterstellung, irgendeinE DemokratIn in der Republik wolle unbedingt Krieg, genug Sorgen, die man sich jetzt machen darf. Darunter: Geopolitische Bedrohungen haben es an sich, dass es kein gesichertes Wissen darüber gibt, wie groß sie eigentlich sind. Es werden also Ängste entfacht, denen nur wenig Aufklärung entgegenzusetzen ist.

Die Bedrohung einfach zu leugnen, ist dabei ausgesprochen schwer, und ebenso schwer ist es zu fordern, es mögen sich doch bitte andere kümmern – das sei doch seit Weltkriegsende immer so gewesen. So sind wir zur Einschätzung der Gefahr dann unter anderem darauf angewiesen, was unsere Geheimdienste den PolitikerInnen so sagen – und finden Sie mal jemanden, der zuletzt mit der Erkenntnislage des BND zufrieden war.

Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen sind dabei erkennbar nur der Anfang einer ganz neuen Aufrüstungsära. Es bricht ein weiteres Zeitalter an, in dem ungeheuer teures Rüstungsgerät bestellt wird – das dann zwanzig oder dreißig Jahre später in eine komplett andere Weltlage hinein geliefert kommt. Und wo das Geld dafür fehlen wird, muss ich hier nicht ausführen.

Es ist mit der Kriegstüchtigkeit deshalb wie immer mit der Symbolpolitik: Einerseits ist es nur ein Wort. Andererseits stecken darin all die Verteilungskämpfe der Zukunft, die bereits begonnen hat. Und um Carsten Breuer zu zitieren – das Popcorn ist jetzt schon alle.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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