Rechtsextremismus-Studie: Die Mitte wankt

Die neuen Zahlen zu rechtsextremen Einstellungen sind alarmierend. Der Kurs der Union erscheint vor diesem Hintergrund noch fataler.

Der Bundesadler im deutschen Bundestag

Adlerauge sei wachsam: Das Vertrauen zur parlamentarischen Demokratie schwindet in der Mitte der Gesellschaft Foto: Thomas Trutschel/photothek.de/imago

Es gerät nicht etwas ins Rutschen in dieser Gesellschaft – wir sind längst mittendrin. Die von Rechtsextremen durchsetzte AfD segelt von Umfragehoch zu Umfragehoch. Die CDU scheut sich zumindest in Thüringen nicht, ihre Vorhaben mit den Stimmen von rechts außen gegen die Landesregierung durchzubringen. Bei Protesten gegen die Bundesregierung stehen Bürgerliche mit Rechtsextremen auf der Straße. Das Vertrauen in die Parteipolitik und die Demokratie erodiert, politisch motivierte Gewalt liegt auf einem Allzeithoch.

Untermauert wird das nun mit Zahlen der neuen Mitte-Studie der Universität Bielefeld im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. 8 Prozent der Befragten zeigen darin ein manifestes rechtsextremes Weltbild – in den Vorjahren waren es 2 bis 3 Prozent. 34 Prozent glauben, Geflüchtete kämen nur nach Deutschland, um das Sozialsystem auszunutzen. Ein Fünftel wähnt sich „mehr in einer Diktatur als Demokratie“.

Und 13 Prozent finden es berechtigt, dass Wut gegen Po­li­ti­ke­r*in­nen in Gewalt umschlägt. Jeder dieser Befunde ist alarmierend. Und er lässt sich auch nicht, wie in den Vorjahren, mit Methodenkritik wegwischen. Rechtsextrem ist laut Studie, wer für einen Führer plädiert oder zwischen „wertvollem“ und „unwertem“ Leben unterscheidet – völlig zutreffend. Es ließe sich diskutieren, ob Populist ist, wer findet, dass Parteien „alles zerreden“. In einem Cluster mit Aussagen wie jenen, dass nicht allen gleiche Rechte gewährt werden könnten, ist aber auch das schlüssig.

Die Zahlen zeigen, wie anschlussfähig die Rhetorik der Ressentimenttreiber inzwischen ist. Es ist nicht so, dass „die Mitte“ bisher davor gefeit gewesen wäre. Inzwischen nun aber sind die Ressentiments offen aussprechbar. Es reicht nicht, dafür die Dauerkrisen anzuführen, die derzeit diese Gesellschaft fordern – die Pandemie, der Krieg, die Klimakrise. Nichts davon muss zwangsläufig in den Rechtsextremismus führen.

Ansprechbar für rechte Rhetorik

Der Befund, dass Zeiten der Unsicherheit eine Sehnsucht nach Sicherheit und einfachen Antworten befördert, ist schnell gemacht. Aber nur ein Drittel der Befragten erklärt, selbst von Krisen betroffen zu sein. Und eine Mehrheit zeigte nach Kriegsausbruch, teils bis heute, Hilfsbereitschaft, nicht Ausgrenzung. Offensichtlich aber ist: Ein wachsender Anteil anderer ist ansprechbar für rechtsextreme Agitatoren, die sich durch diese Krisen beflügelt sehen. Und es ist mehr als beunruhigend, dass unter jüngeren Befragten sogar 12 Prozent ein rechtsextremes Weltbild aufweisen.

Gerade weil die Mitte wankt, ist es fatal, dass Demokraten wie die Union Positionen von ganz rechts außen übernehmen oder hier gar Kooperationen eingehen – und Ressentiments so weiter normalisieren. Auch und gerade dort muss die Grenze zum Rechtsextremismus klar sein. Auf der anderen Seite zeigen die Befunde, wie abwegig es ist, wenn über Kürzungen in der politischen Bildung oder im Sozialbereich diskutiert wird. Genau das Gegenteil ist nötig. Es braucht gerade alles und alle, um die Demokratie zu stärken.

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort, seit 2014. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Bis 2014 vier Jahre lang Teil des Berlin-Ressorts der taz. Studium der Publizistik und Soziologie.

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