Deutschland-Ticket grenzt Arme aus: Die Konto-Hürde

Das Deutschland-Ticket können nur Menschen kaufen, die ein Konto haben. Das kann gravierende Folgen haben, berichten Hamburger Sozialarbeiter*innen.

Eine Hand hält ein hell leuchtendes Smartphone, darauf steht "D-Ticket"

Ausgerechnet hier soll Digitalisierung durchgezogen werden: Deutschland-Ticket auf einem Smartphone Foto: Fabian Strauch/dpa

HAMBURG taz | Über die „Zugangspolitik zu Fahrkarten“ hat sich der Sozialarbeiter Jonny Schanz beim Hamburger Verkehrsverbund (HVV) beschwert. Denn das Deutschland-Ticket für 49 Euro erhielten nur Personen, die ein Konto haben. „Das ist bei vielen, die in Armut leben, nicht der Fall“, sagt Schanz.

Vor seinem Schreibtisch in der Hamburger Drogenberatungsstelle Abrigado saß eine Klientin, die ganz dringend ein Monatsticket braucht, weil sie an einem anderen Ort in dieser großen Stadt eine „Arbeit statt Strafe“-Stelle antreten muss. Doch telefonisch kam der Sozialarbeiter beim HVV nicht durch. „Eine unserer Klientinnen wird nun in Haft gehen müssen, weil es keine Möglichkeit gibt, ein irgendwie finanzierbares HVV-Ticket gegen Bargeld zu kaufen“, schrieb er verzweifelt der taz, nachdem er schon 20 Minuten in der Warteschleife gehangen hatte.

Früher – also bis Mai 2023 – gab es in Hamburg am Schalter oder Automaten noch die „CC-Karte“ für 34 Euro. Die war zwar zur Rush-Hour zwischen 6 und 9 Uhr sowie 16 bis 18 Uhr nicht gültig, aber günstig. Nun aber – seit dem Start des Deutschland-Tickets – gibt es als Hamburg-Monatskarte nur noch eine für 69 Euro.

„Das Deutschland-Ticket schließt arme Menschen aus“, sagt auch Sozialarbeiterin Isabel Kohler vom Straßenmagazin Hinz & Kunzt. Zwar zahle Hamburg fürs 49-Euro-Ticket 30 Euro Sozialrabatt. Aber so ein 19-Euro-Ticket sei an Voraussetzungen geknüpft. „Menschen ohne Konto und Menschen mit Schulden beim HVV haben keine Chance, es zu bekommen.“

Zudem seien EU-Bürger, die hier leben und keinen Leistungsanspruch haben, vom Sozialrabatt ausgeschlossen. „Die, die hier vom Betteln leben, erhalten den Sozialrabatt nicht, aber mobil müssen diese Menschen sein“, sagt Kohler. Dafür hätten sie die alte CC-Karte nutzen können.

Isabel Kohler, Sozialarbeiterin beim Straßenmagazin Hinz&Kunzt

„Wir fordern, dass die Menschen das 19-Euro-Ticket analog am Automaten kaufen können“

Nun aber liefen die Menschen Gefahr, auf ihren täglichen Wegen zu Aufenthaltsstätten, Treffpunkten und Beratungsstellen beim Schwarzfahren erwischt zu werden und ins Gefängnis zu müssen. Schwierig sei auch, dass das Ticket digital über Handy vertrieben wird. „Das überfordert viele“, sagt Kohler. „Wir fordern, dass die Menschen das 19-Euro-Ticket analog am Automaten kaufen können.“

HVV-Sprecher Rainer Vohl sagt, dass das Deutschlandticket nur im Abo und über ein Konto bezogen werden kann, sei eine „bundesweite Vorgabe“ und keine Idee des HVV. Es gebe aber die Möglichkeit, das Abo über das Konto einer anderen Person oder einer Beratungsstelle zu bezahlen. Er gehe davon aus, dass das praktiziert wird und „Lösungen gefunden wurden“. Da habe es Gespräche mit der Caritas gegeben.

Bei der Caritas weiß man indes nichts davon. Die Kollegen der Wohnungslosenhilfe könnten sich nicht vorstellen, wie das laufen soll, sagt Sprecher Timo Spiewak. „Es gibt dort viele Anfragen.“ Die einzige Möglichkeit, den Menschen zu helfen, wäre, ein Konto einzurichten, falls sie verschuldet sind, ein pfändungsfreies. Auch andere Beratungsstellen erklären, ein Konto zu stellen, sei schwierig und schaffe neue Abhängigkeiten, müsse man doch von den Klienten das Geld einsammeln.

Die Sozialbehörde erklärt, Personen ohne Konto könnten doch besagte Monatskarte für 69 Euro kaufen, die für das ganze Netz des HVV gilt. Auch auf diese werde ein Sozialrabatt von 30 Euro gewährt. „Somit würden dann nur noch 39 Euro an Eigenbeteiligung entstehen“, sagt Sprecher Wolfgang Arnhold. Das Deutschland-Ticket sei von den Vorgaben des „Bundesministeriums für Digitales und Verkehr“ geprägt, weshalb der Fokus dort auf „digitalen Zugangsformen“ liege. Die Nutzung der Konten von Dritten sei eine „praktikable Lösung“, für die die Behörde sich eingesetzt habe.

Auch die grüne Sozialpolitikerin Mareike Engels sieht, dass die digitale Form des Deutschlandtickets „Schwierigkeiten provozieren“ könne, weshalb es ja diese 69-Euro-Karte „auch mit Sozialrabatt“ am Schalter gebe. Für die Teilhabe aller Menschen wären jedoch „weitere pragmatische Lösungen wünschenswert“.

Laut HVV-Sprecher Vohl ist der Kauf so einer um 30 Euro vergünstigten Monatskarte an jeder der rund 70 Servicestellen möglich. Das Antragsformular sei dort oder auf hvv.de, sowie in Jobcentern, Grundsicherungsämtern und den Sozialen Dienstleistungszentren erhältlich. Da manche Menschen nicht wüssten, nach welchem Gesetz sie Sozialleistung beziehen, werde empfohlen, auch den Bewilligungsbescheid dafür mitzubringen. „Grundsätzlich wird der Rabatt aber auch ohne Vorlage des Bewilligungsbescheids in allen HVV-Servicestellen gewährt“, sagt Vohl. Vorausgesetzt, es liege ein Ausweis vor.

Nun hilft nur noch eine private Lösung

„Das ist noch keine Hilfe für die Menschen, die keine Leistungen beziehen“, sagt indes Isabel Kohler. Manche würden aufgrund von gestiegenen Anforderungen, Sanktionen oder anderer negativer Erfahrungen mit dem Jobcenter „nichts mehr zu tun haben wollen“ und deshalb keine Leistungen beziehen. Sie müssen die 69 Euro zusammenkratzen. Denn sollte jemand unberechtigt den Rabatt benutzen, so steht es im Formular, wird das wegen Betrugs verfolgt. Zudem hätten viele Obdachlose und Wohnungslose keinen Ausweis oder würden „wegen fehlender Sprachkenntnisse an Schaltern abgewiesen“.

Sozialarbeiter Jonny Schanz, der am HVV-Telefon nach Möglichkeiten fragen wollte, legte übrigens nach 30 Minuten in der Warteschleife auf. Seiner Klientin hätte der Sozialrabatt eh nicht geholfen, sagt er, da auch sie keinen Leistungsanspruch habe. Schanz sucht nun eine private Lösung, „damit sie nicht ins Gefängnis kommt“.

Arbeit statt Strafe gibt es in Hamburg an rund 400 Einsatzstellen, an denen in diesem Jahr schon 605 Menschen Dienst taten. Nach der naheliegenden Lösung gefragt, ob die Stadt den Klienten, damit sie kommen, nicht HVV-Tickets in die Hand drücken kann, windet sich die zuständige Sozialbehörde. Es gebe zwar „im Bedarfsfall Einzelscheine“, aber keine „vollständige Übernahme der Fahrtkosten“.

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