Debatte um den Industriestrompreis: Kollektive Verdrängung ist teuer

Der Industrie­strompreis wird Unternehmen in Deutschland auf lange Sicht nicht helfen. Die müssten eigentlich ihren Standort wechseln.

Nachtaufnahme von der BASF in Ludwigshafen mit dem Rhein im Vordergrund

Die Chemieindustrie, wie BASF in Ludwigshafen, braucht viel Strom – der ist in Deutschland teuer Foto: Udo Herrmann/imago

Deutschlands Industrie braucht Energie, Energie, Energie. Aber wo soll sie herkommen? Und zu welchen Kosten? Diese Debatte nimmt jetzt Fahrt auf, das Projekt heißt „Industriestrompreis“.

Vereinfacht gesagt: Der grüne Wirtschaftsminister Habeck schlägt vor, dass energieintensive Industriebetriebe maximal 6 Cent pro Kilowattstunde Strom zahlen sollen – wenn sie sich im internationalen Wettbewerb befinden. Gemeint sind also vor allem Branchen wie die Chemie-, Stahl-, Metall-, Glas- oder Papierindustrie. Zukünftig kommen noch Batteriefabriken und die Photovoltaik-Produktion hinzu.

Diese Subventionen sollen bis 2030 gelten, könnten 25 bis 30 Milliarden Euro kosten und sollen danach auslaufen. Das Ende im Jahr 2030 ist nicht zufällig gewählt. Zumindest Habeck glaubt, dass bis dahin so viel Ökostrom vorhanden ist, dass sich die Industrie günstig selbst versorgen kann. Vor allem Windräder auf See sollen massenhaft billigen Strom liefern. Wörtlich steht in Habecks Papier: „Die günstigsten Energiequellen sind erneuerbar.“

Richtig ist, dass so schnell wie möglich in Solarpaneele, Windräder und Stromnetze investiert werden muss. Gewagt ist jedoch die These, dass Öko-Energie immer billiger und im Überfluss vorhanden sein wird.

Die Chemieindustrie ist ein gutes Beispiel. Die Branche hat bereits ausgerechnet, wie viel Strom sie benötigen würde, wenn sie gänzlich klimaneutral produzieren soll – und kam auf 685 Terawattstunden im Jahr. Das ist weit mehr, als derzeit ganz Deutschland an Strom verbraucht. Diese Unmengen an Ökostrom wird es nicht geben, auch wenn jedes denkbare Windrad und Solarpaneel installiert wird. Die allermeisten Studien kommen daher zu dem Ergebnis, dass sich die Chemieindustrie halbieren muss.

Magisches Denken

Dieser Einschnitt wäre nicht das Ende der Chemieindustrie, aber die betroffenen Firmen müssten Deutschland verlassen und dort produzieren, wo sich mehr Ökostrom herstellen lässt. Als Standort würde sich beispielsweise Namibia anbieten, das mehr Sonnenschein und Wind aufweist.

Der richtige Weg wäre also, diesen Umzug schon jetzt vorzubereiten – statt teuer den Strompreis für Firmen zu subventionieren, die mittelfristig sowieso keine Perspektive in Deutschland haben. Eine drängende Frage wäre etwa: Was soll aus Ludwigshafen werden, wenn ein Teil der Chemieproduktion abwandern muss? Aber diese Diskussion ist tabu.

Das ist keine Kritik an Habeck. Als Politiker muss er sich an der Stimmungslage orientieren, und es ist nun mal ein Fakt, dass die allermeisten Deutschen immer noch hoffen, dass „grünes Wachstum“ möglich ist. Da unterscheiden sich CSU-Wähler nicht von grünen Anhängern. Wenn Habeck jetzt beginnen würde, den Chemiestandort Deutschland infrage zu stellen, würden die Grünen zur „Verbotspartei“ gestempelt und rasante Verluste erleiden.

Aber diese kollektive Verdrängung ist teuer. Milliardenschwer werden Unternehmen subventioniert, die langfristig sowieso nicht bleiben können – und gleichzeitig fehlt dieses Geld dann, um den klimaneutralen Umbau zu finanzieren.

Das Projekt „Industriestrompreis“ ist eine Form des magischen Denkens. Früher haben die Menschen intensiv gebetet, damit es regnet. Das hat die Tiefdruckgebiete aber nicht interessiert. Jetzt sollen Milliarden zum Fenster hinausgeworfen werden, auf dass das „grüne Wachstum“ komme. Leider wird es nicht wahrscheinlicher, nur weil wir es uns so dringend wünschen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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