Ein Jahr nach Beginn der Proteste: Iran? Es ist beschämend!

Die deutsche Iran-Politik lässt zu wünschen übrig. Die Protestbewegung wird nicht unterstützt. Ein Beitrag des ehemaligen Bundesumweltministers.

Die iranische Flagge.

Der Hintergrund ist wichtig: Hier flattert die iranische Flagge vor dem IAEA-Gebäude in Wien Foto: reuters

Vor fast genau einem Jahr wurde Jina Mahsa Amini von den Schergen des Regimes der Islamischen Republik Iran ermordet. Seitdem lehnen sich die Menschen im Iran, angeführt von mutigen Frauen, gegen das Unrechtsregime auf. Das Kopftuch ist zum Symbol der Unterdrückung von Frauen im Iran geworden.

Todesmutig legten Iranerinnen es massenweise ab und gingen auf die Straße, nachdem die Kurdin Jina Mahsa Amini wegen eines falsch sitzenden Kopftuchs zu Tode geprügelt wurde. Ihnen geht es um nicht weniger als den Fall des Re­gimes. Freiheit oder Terror ist die Alternative, vor der die Menschen im Land stehen.

Für ihren Freiheitskampf verdienen sie den größten Respekt und jede Unterstützung, die Deutschland und die Europäische Union leisten können. Aber trotz vollmundiger Versprechungen während der Hochphase der Proteste ist die deutsche und die europäische Iran-Politik der vergangenen zwölf Monate ein beschämendes Beispiel grundlegend fehlgeleiteter und unehrlicher Außenpolitik.

Während uneingeschränkte Solidarität versprochen wurde, bekamen die Menschen im Iran Minimalsanktionen, die weder die Mullahs noch die Iranerinnen und Iraner beeindruckt haben und auch nicht beeindrucken sollten.

Was versprochen wurde und was tatsächlich kam

Die Diskrepanz zwischen dem, was versprochen wurde, und dem, was dann tatsächlich an Einsatz kam, ist besonders eklatant mit Blick auf die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Sie nimmt für sich eine feministische Außenpolitik in Anspruch, die den Einsatz gegen systematische Unterdrückung von marginalisierten Gruppen einer Gesellschaft ins Zentrum der eigenen Politik rücken will. Wo, wenn nicht im Iran, einem Land, in dem sich ein ganzes Volk, angeführt von Frauen, gegen ein brutales Machtregime auflehnt, könnte es einen offensichtlicheren Anwendungsfall für feministische Außenpolitik geben?

Aber anstatt den Frauen im Iran ihre Stimme zu leihen und damit die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf die Proteste zu lenken, war die Außenministerin auffallend zurückhaltend. Das hat einen einfachen Grund: Die Bundesregierung und die Europäische Union haben sich dazu entschieden, die revolutionäre Bewegung im Iran zugunsten von neuen Atomverhandlungen mit dem Regime auszusitzen.

Die Bundesregierung mag noch so lange behaupten, dass mit dem Iran nicht verhandelt werde. Die Treffen vor allem von Diplomaten der E3, also Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands, mit dem iranischen Vize-Außenminister zeichnen ein anderes Bild. Auf der Ebene der Politischen Direktoren, die schon den Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) verhandelt hatten, sind mindestens drei Treffen in diesem Jahr bekannt: Zwei im E3-Format, eines auf EU-Ebene. Wie der EU-Repräsentant twitterte, ging es dabei explizit auch um das weitere Vorgehen beim JCPoA.

Neue Vereinbarungen?

Es wäre wünschenswert, dass die Ziele der deutschen und europäischen Außenpolitik wenigstens ehrlich benannt würden. Denn nur dann kann man sie auch diskutieren. So wird der Elefant im Raum schlicht ignoriert, der darin besteht, dass das Regime nachweislich kein Interesse mehr am JCPoA hat und sämtliche Vorschläge einer Wiederbelebung im Sommer 2022 abgelehnt wurden.

Warum sollte Teheran auf einmal seine Meinung geändert haben und neue Vereinbarungen anstreben? Zumal das Regime seine Atomwaffenfähigkeit inzwischen so weit gesteigert hat, dass es mindestens kurz davor ist, glaubwürdig mit der Atombombe drohen zu können. Dieses Drohpotenzial werden die Mullahs sich nicht mehr nehmen lassen. Sie spielen mit uns Katz und Maus und schauen genüsslich zu, wie Deutschland und die EU ihnen auf den Leim gehen.

Statt das Regime zu isolieren, wird ihm durch Treffen und Gespräche, die der iranische Außenminister anschließend prompt auf Twitter verbreitet, Legitimation verliehen. Das Regime nutzt dies als Waffe gegen das eigene Volk. Die Botschaft lautet: Seht her, ihr könnt euch noch so sehr auflehnen, Europa wendet sich nicht von uns ab.

Die rote Linie der Mullahs: die Terrorlistung

Dabei hätte die EU es in der Hand, den Mullahs zu zeigen, auf wessen Seite sie steht, indem sie mit der Terrorlistung der Islamischen Revolutionsgarden Ernst macht. Die Terrorlistung wird von den Mullahs als rote Linie begriffen, die – davon muss man ausgehen – zu einem Ende der Atomgespräche führen würde. Darum findet sie nicht statt. Denn rechtlich ist die Terrorlistung der Revo­lu­tions­garden, anders als vom Auswärtigen Amt wieder und wieder behauptet, machbar. Sie ist sogar überfällig.

Allein die Ermittlungen und Anklage des deutschen Generalbundesanwalts im Fall der Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen würden ausreichen. Hinzu kommen Ermittlungen in vielen anderen EU-Staaten und Drittstaaten, die ebenfalls zur Beweisführung herangezogen werden können. Statt immer neue Ausreden anzuführen, sollte sich Außenministerin Baerbock endlich eindeutig und aktiv für dieses Ziel in der EU einsetzen.

Wenn ein ganzes Volk im Hass gegen die Herrschenden geeint ist, dann lässt es sich nicht dauerhaft unterdrücken. Ich habe daher weiterhin Hoffnung, dass es den Menschen im Iran gelingen wird, sich aus der Unterdrückung der Mullahs zu befreien. Darum sind sie es, die wir unterstützen sollten, indem wir mit den Mitteln, die wir haben, dem Regime das Leben so schwer wie möglich machen.

Ein Erfolg der Revolution im Iran, ob heute, morgen oder in einigen Jahren, wäre ein Weltereignis im positiven Sinne. Millionen Menschen würden sich aus der Unterdrückung befreien, Israel wäre ein Stück sicherer und die Dynamik der ganzen Region, in die das Regime Terror exportiert, würde sich zum Positiven verändern. Dass die deutsche und die europäische Außenpolitik diese Chance nicht sehen und auf der falschen Seite der Geschichte stehen, ist ein riesiges Versäumnis. Aber die Iranerinnen und Iraner werden es notfalls auch ohne Hilfe schaffen.

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ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestags. Von 2005 bis 2009 war Röttgen Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/ CSU-Bundes-tagsfraktion, von 2009 bis 2012 Bundesumweltminister. Mittlerweile versteht er sich als außenpolitischer Experte

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