Weniger Schweine, mehr Glück

Bauer Dirk Hopmann macht das, was Bundesagrarminister Özdemir und Umweltverbände propagieren: weniger Tiere, aber die besser halten. Früher hatte er 7.000 Schweine, jetzt nur 500, Dabei verzichtet er auf synthetische Pestizide und Kunstdünger. Funktioniert das?

Runde Sache: Mit mehr Stallplatz müssen den Schweinen auch nicht die Ringelschwänze gestutzt werden Foto: Daniel Pilar/laif

Aus Sandbek Jost Maurin

Dirk Hopmanns Schweine liegen ruhig im Stroh, dicht an dicht wärmen sich die rosa Körper unter einem Dach auf Hof Sandbek nahe Schleswig. Ab und an steht ein Tier auf und läuft in den nicht-überdachten Teil des Auslaufs oder in den Stall. Sie haben viel Platz: Vier Quadratmeter pro Tier – mehr als fünfmal so viel wie der gesetzliche Mindeststandard in der konventionellen Schweinehaltung.

Bis 2020 hielt auch Hopmann seine Tiere so. 7.000 Schweine hätten in engen Ställen gelebt, seien nie an die frische Luft gekommen, erzählt er. Damit sie sich in der Monotonie und Enge nicht in die Schwänze beißen, wurden ihnen die Schwanzspitzen abgeschnitten, die Eckzähne abgeschliffen. Jährlich fielen 10.000 Tonnen Gülle an, die auf den Feldern verteilt wurden – um die Pflanzen zu düngen, aber auch, um sie einfach loszuwerden. Ein Teil der Nährstoffe geriet ins Grundwasser, in den nahen Fluss Schlei und schließlich in die Ostsee, wo sie das Wachstum von Algen fördern, die andere Wasserpflanzen verschatten. Die Bakterien, die abgestorbene Algen zersetzen, nehmen Fischen den Sauerstoff.

Doch dann entschied Hopmann, ab 2020 alles anders zu machen. Heute hält er nur noch 500 Schweine. Er stellte den Hof auf Bio um. Deshalb muss er nun auf chemisch-synthetische Pestizide und Kunstdünger verzichten, die die Artenvielfalt gefährden können. „So konnte Hof Sandbek die jährlich anfallende Gülle um über 90 Prozent reduzieren und damit seinen Nährstoffeintrag in die Ostsee deutlich verringern“, lobt die Umweltorganisation WWF, die Hopmann nun die Auszeichnung „Ostsee-Landwirt:in des Jahres 2023“ verlieh. Die ist für Betriebe gedacht, die gegen Überdüngung vorgehen.

Weniger Tiere besser halten – Hopmann macht genau das, was der grüne Bundesagrarminister Cem Özdemir und Umweltverbände immer propagieren. Auch führende Agrarwissenschaftler haben in einem Gutachten für die Stiftung Klimaneutralität empfohlen, die Zahl der Tiere zu reduzieren. Denn vor allem die Tierhaltung ist dafür verantwortlich, dass die Agrarbranche laut Umweltbundesamt rund 14 Prozent des Treibhausgasausstoßes in Deutschland (inklusive der Emissionen aus Agrarböden und landwirtschaftlichem Verkehr) verursacht.

Im Wirtschaftsjahr 2021/22 wurden laut Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft 54 Prozent des hierzulande verwendeten Getreides nicht gegessen, sondern verfüttert. Damit könnte man viel mehr Menschen ernähren, wenn sie es direkt äßen, als wenn Tiere es fressen und in Fleisch umsetzen müssen.

Doch der Deutsche Bauernverband etwa wehrt sich vehement dagegen, die Tierhaltung zu reduzieren. Viele Landwirte bestreiten sogar, dass der Agrarsektor zu viel düngt, obwohl sie im Schnitt etwa 2020 dem Bundesagrarministerium zufolge 80 Kilogramm Stickstoff mehr pro Hektar ausgebracht haben, als die Pflanzen absorbieren können.

Hopmann tickt anders. Das liegt auch an seiner Biografie. Er ist zwar auf dem Bauernhof aufgewachsen, seine Familie bewirtschaftet ihn seit sechs Generationen. Doch er hat dem Dorf und der Landwirtschaft lange den Rücken gekehrt, studierte Volkswirtschaft mit Fokus auf Bankbetriebslehre, war dann Unternehmensberater bei Roland Berger. „Ich hatte für mich selbst ursprünglich so eine Managerlaufbahn vor Augen“, erzählt Hopmann, ein hoch aufgeschossener, schlanker 39-Jähriger mit Designer-Hornbrille, Basecap und an einem Handgelenk ein Freundschaftsbändchen. Erst dann entschied er sich für einen Masterstudiengang in Landwirtschaft und übernahm 2013 den Hof von seinem Vater.

Hopmann ist nicht so stark von der Agrarbubble geprägt. Er war nicht bei den großen Treckerdemonstrationen der Bauernprotestbewegung „Land schafft Verbindung“, die sich 2019 gegen mehr Umweltschutz in der Landwirtschaft wandte. Er weiß, dass Gülle zuweilen auch dann auf dem Feld entsorgt wird, wenn die Pflanzen sie nicht aufnehmen können. Er leugnet nicht das Insektensterben oder die Tatsache, dass Menschen den Klimawandel verursachen. Im Gegenteil: Hopmann sagt, dass ihn auch die Klimabewegung Fridays for Future beeinflusst habe.

„Wir finden das alte Geschäftsmodell mit seinen Umweltauswirkungen nicht tragfähig für die Zukunft der Gesellschaft, der Landwirtschaft und unserer Kinder“, sagt Hopmann über die intensive Tierhaltung, von der der Hof bis 2020 lebte. „Gleichzeitig sind wir Eltern geworden, haben drei kleine Kinder jetzt. Das ändert ja auch das Zielbild und den Blick, was man machen will und was man irgendwann hinterlassen will.“

„Land schafft Verbindung“ war Hopmann „ein bisschen zu konfrontativ“. „Da unterscheiden wir uns auch einfach von den Berufskolleginnen und -kollegen. Wir sind einfach sehr offen für Veränderungen und wollen erst einmal bei uns selbst anfangen“, sagt der Bauer. „Mit der Treckerdemo in die Stadt zu fahren war da für mich nicht der richtige Ansatz.“

Was er aber teilt mit den Wutbauern, ist das Bedürfnis nach Wertschätzung. Immer wieder ist von Landwirten zu hören, dass sie sich nicht anerkannt fühlten vom Rest der Gesellschaft, nicht nur, weil sie zu wenig Geld für ihre Produkte bekämen, sondern auch weil sie dauernd ungerechtfertigt kritisiert würden. „Früher war es eher so, dass man sich Sorgen macht, wenn jemand Unbekanntes auf den Hof kommt, weil man denkt so: Wird da irgendetwas kontrolliert oder ist da irgendwas, was beanstandet wird? Jetzt freut man sich einfach über Besuch und kann über alles sprechen“, erzählt Hopmann.

Ethisch bedenkliche Praktiken wie das Kupieren von Schwänzen und das Schleifen von Zähnen – „den Teil sind wir Gott sei Dank ganz los“, sagt der Landwirt. Die Umweltbelastung sei ebenfalls geringer. „Wir können viel besser zu allem stehen, was wir hier machen.“ Auch deshalb sei er viel zufriedener als in den sieben Jahren, in denen er die intensive, konventionelle Tiermast fortführte.

Aber was ist mit dem Geld? Zurzeit verdiene die Familie 30 bis 40 Prozent weniger als vor der Umstellung, sagt Hopmann. Trotz der höheren Preise für Ökofleisch im Vergleich zu konventionellem und trotz der höheren Subventionen für den Biolandbau. Und obwohl seine Frau Bente einen Bioladen gegründet hat, der Hof seit diesem Jahr auch Gemüse produziert und Windkraft- sowie Photovoltaikanlagen Strom liefern. „Das ist auf anderen Höfen vielleicht anders“, vermutet der Landwirt. Denn sein Betrieb habe früher auch im Vergleich zu anderen Schweineerzeugern außergewöhnlich viel verdient. Vielen Konkurrenten geht es aber schlecht, seit 2013 sank die Zahl der schweinehaltenden Betriebe um rund 43 Prozent, hat das Statistische Bundesamt errechnet.

Aber 30 bis 40 Prozent weniger Einkommen ist ein tiefer Einschnitt. Kann Hopmanns Familie noch von dem Hof leben? „Ja“, antwortet er. „Wir haben unseren Lebensstil nicht angepasst tatsächlich.“ Die Hopmanns fahren immer noch regelmäßig in den Urlaub, was in der Landwirtschaft nicht selbstverständlich ist. Sie leben nach wie vor in dem großzügigen, gediegen eingerichteten historischen Wohnhaus des Hofes mit schweren Ledersesseln und einer Schaukel im Vorraum. Aber, sagt Hopmann, er lege jetzt weniger Eigenkapital zurück.

Das ist kaufmännisch gesehen ein Nachteil. Doch das neue Geschäftsmodell sei auch stabiler, sagt Hopmann. Denn der Hof ist nicht mehr so abhängig von nur einer Haupteinnahmequelle, nämlich der Tierhaltung. Wenn ein Betriebszweig schwächelt, sollen die anderen das kompensieren. Er will, dass das Unternehmen langfristig mindestens genauso viel einnimmt wie früher.

Vor allem aber geht es bei der Wende auf Hof Sandbek darum, weniger auf Kosten von Natur und Tieren zu wirtschaften – und so als Bauer glücklicher zu werden. Hopmann läuft zu dem Acker direkt am Haus. Ein starker Wind zerrt an den gelben Roggenpflanzen. Das 30 Hektar große Feld hat Hopmann in mehrere Streifen unterteilt, in denen immer unterschiedliche Pflanzenarten zu unterschiedlichen Zeiten wachsen. Das erhöht die biologische Vielfalt, Insekten können von einem abgeernteten Streifen zum anderen wechseln.

„Das alte Geschäftsmodell ist für die Umwelt nicht tragfähig“

Dirk Hopmann, Landwirt

Auf dem Streifen daneben blüht gerade eine Kleegrasmischung schön lila. Kleegras liefert den Schweinen Eiweiß, fördert aber auch die Bodenfruchtbarkeit und den Humusaufbau. Weil er keine chemisch-synthetischen Pestizide benutzt, könne mehr Beikraut als bei konventionellen Höfen wachsen. Zum Beispiel die weißgelben Kamillensträucher, die zwischen dem Roggen stehen.

Doch all das führt auch dazu, dass Hopmann weniger pro Hektar erntet als früher. „Wir hatten 60 Prozent des konventionellen Ertrags letztes Jahr“, sagt der Landwirt. Das hält er trotz Hungers in der Welt für verantwortbar, ja aus Umweltschutzgründen sogar für notwendig. „Das muss natürlich Hand in Hand laufen mit der Anpassung der Ernährungsgewohnheiten“, erläutert Hopmann. Es müssten insgesamt weniger tierische Produkte wie Fleisch und Milch konsumiert werden. „Wenn wir weniger an Kalorien und Proteinen verlieren durch die tierische Verwertung, dann können wir auch mit dem niedrigeren Ertragsniveau leben.“ Der Fleischverbrauch gehe ja bereits zurück.

Hopmann macht das, was Agrarminister Özdemir will. Er sagt: „Ich bin schon sehr grün.“ Aber die Bilanz des Ministers findet er zumindest „zurzeit nicht so zufriedenstellend“. Sein wichtigstes Projekt, die verpflichtende Kennzeichnung der Haltungsbedingungen auf tierischen Produkten, ist ihm zu wenig, zu langsam. Denn sie soll vorerst nur für unverarbeitetes Schweinefleisch gelten und auch nur für das aus dem Inland. „Aber grundsätzlich ist das total gut.“ Hopmann freut sich auch, dass Özdemir ab kommendem Jahr den tierfreundlichen Umbau von Schweineställen bezuschussen will. Damit irgendwann alle Schweine so artgerecht gehalten werden wie auf Hof Sandbek.

taz klima