Diskussion um den Görlitzer Park: Jede Menge Druck

Wie ein Déjà-vu mutet die Debatte an, die nach einer Vergewaltigung über die Sicherheit im Görlitzer Park und Wrangelkiez entbrannt ist.

Mensch mit Krücken im Görlitzer Park

Der Görlitzer Park in Kreuzberg: Keine Gastronomie, keine Sportangebote, nur Pfützen Foto: dpa

BERLIN taz | Der Görli, wieder einmal. Seit Bekanntwerden einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung einer Frau im Görlitzer Park im Juni vor den Augen ihres Begleiters tobt eine Debatte um die Sicherheit in dem Park und dem angrenzenden Wrangelkiez. Wie in der Vergangenheit, wenn drastische Vorkommnisse das gewohnte Maß an Kriminalität und Elend in dem Kreuzberger Kiez überschritten, hat sich auch diesmal die Politik eingeschaltet.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat für September einen Sicherheitsgipfel im Roten Rathaus angekündigt, bei dem es nicht nur um den Görlitzer Park gehen soll. Dass dazu bislang nur Polizei, Verfassungsschutz und die Senatsverwaltungen für Inneres und für Justiz als Teilnehmer vorgesehen sind, hat Kritik nach sich gezogen. Nicht einmal die zuständige Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann (Grüne), wurde eingeladen.

Die schwarz-rote Koalition erwägt, einen Zaun um den Görli zu ziehen und den Park nach dem Vorbild des Tempelhofer Felds in der Nacht abzuschließen. Der Regierende Wegner, SPD-Fraktionschef Raed Saleh und auch Polizeipräsidentin Barbara Slowik haben sich in den Medien bereits offen für entsprechende Pläne gezeigt. Ein Zaun allein bringe nichts, zeigt sich die Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann dagegen skeptisch. Bisher liege kein Konzept vor, das nicht zu einer Verdrängung und damit Verschärfung der Problemlagen führen würde.

Bei einer Fragerunde an einem Nachmittag unter der Woche durch den Görlitzer Park sagt die 31-jährige Victoria König, die in der Nähe des Parks wohnt: „Ich fühle mich sicher. Es ist schräg, weil man viel von Drogenhandel mitbekommt. Aber ich wurde noch nie von jemandem angesprochen oder belästigt“, sagt sie. Ein Stück entfernt spaziert Julia S. Sie ist 64 Jahre alt und wohnt seit 18 Jahren am Görlitzer Park. „Ich war sehr schockiert, als ich von der Vergewaltigung gehört habe, das finde ich schlimm. Ich bin hier immer nachts durchgelaufen, auch wenn ich beschwipst war. Wahrscheinlich werde ich zweimal drüber nachdenken, bevor ich jetzt nachts alleine durch den Park gehe.“ Den Park abzusperren, wie es in anderen Großstädten wie Paris üblich ist und nun durch Po­li­ti­ke­r*in­nen gefordert wurde, sei laut Julia S. aber keine Lösung. Dann verlagere sich das Problem auf die Wrangelstraße.

Die 28-jährige Mona Schwan, ebenfalls Anwohnerin, führt ihren Hund aus und läuft nur einen kurzen Abschnitt durch den Park, weil das der schnellste Weg nach Hause ist. Sicher fühle sie sich hier nie, zu keiner Tageszeit. Zwar habe sie noch keine körperliche Auseinandersetzung im Park erlebt, aber übergriffige Kommentare, aufdringliches Verhalten oder Hinterhergehen. Um wirklich etwas an der Situation zu ändern, brauche es ihrer Ansicht nach strukturelle Veränderungen. „Ich glaube, dass auch das Justizsystem ein bisschen schuld daran ist, nicht nur die Politik, da viele leider auch nach Straftaten relativ schnell wieder freikommen beziehungsweise da nichts so richtig greift, um ein Statement zu setzen.“

Und es gibt weitere Forderungen. In den den Reihen der CDU plädiert man für eine Videoüberwachung im Park. Auch über den Aufbau einer festen Polizeiwache wird diskutiert. Die Debatte mutet an wie ein Déjà-vu.

Dritte Taskforce

Die Taskforce für den Görli, die Wegner im September einberufen will – sie heißt nur anders –, wäre mittlerweile schon die dritte. Die erste hatte 2014 der damalige CDU-Innensenator Frank Henkel gegründet, nachdem der Wirt einer Shishabar in der Skalitzer Straße in einem Akt von Selbstjustiz einen Drogendealer niedergestochen hatte. In den Wochen vor der Tat soll der Wirt 70-mal die Polizei gerufen haben, weil er sich von Dealern bedroht fühlte. Die Taskforce beschloss ein Maßnahmenpaket, mit dem die Drogenkriminalität zwischen Görlitzer Park und angrenzenden Kiezen bis hin zur Revaler Straße in Friedrichshain eingedämmt werden sollte.

Razzien und verdeckte Ermittlungen wurden erhöht. Zeitgleich wurde der Görli zur Null-Toleranz-Zone für Drogen erklärt. Die Idee dahinter: die Dealer sollten sich nicht mehr auf die in Berlin geltende 15-Gramm-Duldungsregelung beim Besitz von Cannabis zum Eigenbedarf berufen können.

Während die Polizei den Repressionsdruck erhöhte, bemühte sich das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg um niedrigschwellige Maßnahmen: „Unser Konzept war, den Park mit den Anwohnerinnen und Anwohnern zurückzuerobern“, erinnert sich Monika Herrmann (Grüne), die von 2013 bis 2021 Bezirksbürgermeisterin war. Konkret sah das so aus: Hecken und Unterholz lichten, Hauptwege beleuchten, BSR zur regelmäßigen Säuberung anheuern, Parkläufer und Sozialarbeiter einsetzen. Erste, um die Dealer in Schach zu halten, zweitere, um sie in Sozialprojekte zu lotsen.

Der 20-jährige Linus Bolz studiert nahe am Görlitzer Park. Er ist mit Kommilitonen unterwegs. „Wenn ich hier durchgehe, habe ich keine Angst, weil ich nicht das Gefühl habe, dass ich die Zielgruppe bin.“ Unangenehmer sei es im Park, „wenn Polizei am Tor steht und hier nichts mehr los ist“, findet die Gruppe. Eine mögliche Maßnahme für mehr Sicherheit könnte ein Polizeistandort in der Nähe sein statt Razzien und temporäre Polizeistationen.

Eine Person, die regelmäßig im Park arbeitet und nicht namentlich genannt werden möchte, sieht das kritischer. „Polizeipräsenz ist voll der falsche Ansatz. Hier arbeiten verschiedene Initiativen zur Drogenhilfe wie Fixpunkt, CoLab, auch die Parkranger. Die sind im engen Kontakt mit allen möglichen Leuten, und nur so kann’s funktionieren. Da braucht es mehr Zusammenarbeit.“ Die Polizeipräsenz mache den Park nicht unbedingt sicherer, im Gegenteil. „Die Polizei kontrolliert nur schwarze Menschen, und es ist offensichtlich Racial Profiling und sehr gewaltvoll.“

Weiter vorn am Eingang parkt gerade ein Transporter, der sogenannte „Spielwagen“, der einmal die Woche Spielmaterialien und Betreuungsangebote für Kinder bereitstellt. Die 27-jährige Helen Jahnel ist mit einer Kreuzberger Grundschule vor Ort und nutzt das Angebot in der Ferienzeit. „Hier, gerade wenn das Angebot des Spielwagens stattfindet, ist es immer sehr entspannt und idyllisch im Vergleich dazu, was sonst auf der Wiese stattfindet. Man kennt ja den Görli sonst eher rough, gerade wenn man weiter reingeht. Aber hier ist es sehr kinderfreundlich, was ein cooler Kontrast ist.“

Der Bezirk habe frühzeitig mit der Polizei zusammengearbeitet, sagt Monika Herrmann. Aber Razzien nach der Methode, „die Dealer einmal durch den Park jagen, kurz danach sind alle wieder da“, seien völlig unsinnig gewesen. Das Ergebnis sei allerdings gewesen, dass sich Drogenhandel und Begleitkriminalität seither massiv in die Kieze verlagert hätten, besonders in den Wrangelkiez. „Die Probleme können nicht losgelöst von der Partymeile diskutiert werden“, sagt Monika Herrmann. Durch die Besucher der Clubs am Schlesischen Tor, Warschauer Straße bis rüber zum RAW-Gelände bestimmt die Nachfrage nach Drogen das Angebot. Längst ist das nicht mehr nur Cannabis.

Brennpunkteinheit soll es richten

Taskforce Phase zwei läutete SPD-Innensenator Andreas Geisel 2020 mit der Gründung der Polizei-Brennpunkt-Einheit ein. Die Bilanz nach einem Jahr und rund 100.000 Einsatzkräftestunden an den als kriminalitätsbelastet eingestuften Orten aus Sicht von Anwohnern: Die Dealer würden immer mehr und träten bedrohlicher auf, klagten die einen. Auffällig ist, dass sich in der linken Kreuzberger Anwohnerschaft kaum jemand namentlich zu den Problemen äußern will. Auch aus Angst, dass ihnen zum Vorwurf gemacht werden könnte, Rechtspopulisten mit rassistischen Vorurteilen zu beliefern.

Andere, darunter die An­woh­ne­r:in­nen­in­itia­ti­ve Wrangelkiez United!, warfen der Brennpunkteinheit Rassismus und Racial Profiling bei den Kontrollen vor. Nahezu ausschließlich People of Color und Schwarze Menschen würden kontrolliert – unabhängig davon, was sie täten, so die Kritik. Der Subtext: Wenn der Kiez ein Problem hat, ist es ein Polizeiproblem.

Inzwischen hat sich eine stark verelendende Drogenszene im Wrangelkiez ausgebreitet. Seit wann das so ist, lässt sich schwer sagen. Seit der Coronapandemie sei das „wie ein Schub“, meint eine Anwohnerin. Dealer, die selbst unter Drogen stehen, sowie Junkies hätten Treppenhäuser, Hauseingänge und Höfe belegt. Fast überall werde genächtigt, Stoff aufgekocht und gespritzt. Sie erlebe die Abhängigen als sehr unberechenbar und zum Teil auch bedrohlich, sagt eine 57-jährige Grafikerin. Nachts gehe sie nicht mehr alleine auf die Straße. Auch ihr Partner tue das nur noch mit Pfefferspray in der Tasche

Zugenommen habe insbesondere der Konsum von Crack, bestätigt David Kiefer von der An­woh­ne­r:in­nen­in­itia­ti­ve Wrangelkiez United! Was es brauche, seien Streetworkprojekte und verstärkte Aufklärung der Drogenhilfe, vor allem aber einen mobilen Konsumraum mit einem Angebot bis in die Nacht.

„Wir als An­woh­ne­r:in­nen wollen nachhaltige Lösungen“, sagt David Kiefer von der An­woh­ne­r:in­nen­in­itia­ti­ve Wrangelkiez United! Nichts sei durch die Verstärkung der Polizeikontrollen besser geworden. Jetzt erneut über Polizei, Zäune oder Videoüberwachung zu diskutieren „ist Effekthascherei“. Die Probleme würden dadurch nur weiter in die Wohngebiete verlagert. Eine grundsätzliche Lösung brauche Perspektiven für die Menschen, die keine Papiere hätten, also Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse. „Die Probleme der EU-Migrationspolitik finden sich in unserem kleinen Park wieder“, sagt Kiefer.

Eine Ballung an Armut

„Die Armut aus aller Welt ballt sich hier“, bestätigt eine Rechtsanwältin, die seit 40 Jahren im Wrangelkiez wohnt. Auffällig sei die große Zahl verelendeter junger Männer. Sie selbst habe sich aber noch nie bedroht gefühlt, gehe weiterhin nachts allein auf die Straße. Der Idee, den Görli nachts zuzusperren, könne sie aber trotzdem etwas abgewinnen, sagt die Anwältin. „Vielleicht wäre das ja eine Möglichkeit, das Partyvolk zur Konfliktvermeidung draußen zu halten.“

Die mutmaßliche Massenvergewaltigung im Görlitzer Park hat viele erschreckt. Drei Tatverdächtige sind inzwischen festgenommen worden. Aus der Tat den Schluss zu ziehen, Vergewaltigungen geschähen besonders oft im Görli und dem angrenzenden Straßenraum, ist aber falsch. Von der Polizei nicht nach Tatort aufgeschlüsselte Zahlen hatten das zunächst nahegelegt. Recherchen der taz ergaben, dass fünf von sechs Taten in Privaträumen stattfanden.

Auch hier lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Es war im September 1991: Nach der Vergewaltigung einer 15-Jährigen im Görlitzer Park hatte der Frauen-Notruf an die Parkmauern Warnungen für Frauen plakatiert. „Morgen kann es auch Sie erwischen“, schrieben die Notruf-Frauen. Seit der Maueröffnung häuften sich die Meldungen über Vergewaltigungen. Auf Nachfrage der taz stelle sich dann heraus, dass diese Aussage nicht nur für Kreuzberg SO 36 gelte, sondern für die ganze Stadt.

Ein Angstraum für manche

Monika Herrmann kann sich noch gut an die Plakataktion erinnern. Und auch an die Debatte, die sie selbst 2019 als Bezirksbürgermeistern mit einem Satz in einem Interview mit der Welt ausgelöst hatte: „Ich gehe in Berlin im Dunkeln durch gar keine Parks.“ Bis heute halte sie das so, so Herrmann zur taz. Das gelte auch für den Görli. „Nachts ist der Park eine Parallelwelt, ein Angstraum für manche.“

Aber mit dem Abschließen werde nichts gelöst. Im Gegenteil. „Dann verlagert sich das noch mehr in die Wohnkieze und – denken wir mal einen Schritt weiter – in den Schlesischen Busch und in den nicht weit entfernten Treptower Park.“ Sie sei immer für eine ständige Anwesenheit der Polizei im Kiez gewesen, für eine dauerhafte mobile Wache.

Und was macht der Bezirk?

Alles, was der Bezirk an sozialer Arbeit und Drogenarbeit habe leisten können, sei gemacht worden. „Aber wenn wir weitergehende Forderungen für eine Ausweitung gestellt haben, hieß es vom Senat stets: kein Geld da.“

Will man eine ehrliche Einschätzung, wie es um den Görli bestellt ist, fragt man am besten Michael Schulze, den langjährigen Mitarbeiter des Kinderbauernhofs im Görli. In den letzten 10, 15 Jahren habe es viele Ideen für den Görli gegeben, aber die Situation habe sich eher verschlechtert, sagt Schulze. Der Park sei runtergekommen, es gebe schon lange keine Gastronomie mehr auf dem Gelände. Und auch das viel gepriesene, begeistert angenommene Kinder- und Jugendsportangebot sei beendet worden. Die voll ausgestattete Sportanlage im Park war Ende Februar geschlossen worden, weil das Bezirksamt mit der Turngemeinde in Berlin (TiB), Trägerin des Projekts, nicht einig geworden ist.

Die Idee, den Parks nachts zuzumachen, sei gar nicht so übel, sagt Schulze: „Einfach mal eine Zeit lang ausprobieren und gucken, ob sich was verändert.“

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