die grünen
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K für Kanzler, K für Konflikt

Die Frage nach der oder dem Kanzlerkandidaten möchte bei den Grünen derzeit keiner stellen. Schließlich ist Harmonie eine der Stärken der Partei

Noch als Duo unterwegs. Doch eine Doppelspitze im Kanzleramt lässt die Verfassung nicht zu: Robert Habeck und Annalena Baerbock Foto: Gordon Welters/laif

Aus Berlin Ulrich Schulte

Robert Habeck hat sich mehrere Gesichtsausdrücke zugelegt, um Journalisten zu kontern, die nach einem grünen Kanzlerkandidaten fragen. Stirn in Falten legen, Kinn runter, resignierter Dackelblick. Augenbrauen hoch, Mundwinkel auch, amüsierter Politcheckerblick. Habeck sagt dann das, was man so sagt, wenn man nichts sagen will. Eine „unernste Frage“ sei das, dieser ganze „Kanzlerquatsch“. Wer den Posten besetze, sei angesichts der großen Pro­bleme der Zeit unwichtig.

Habeck weiß natürlich, dass das recht unernster Quatsch ist. Die Grünen liegen in Umfra­gen vor der Union, eine nie da gewesene Sensation. Könnten die Deutschen den Bundeskanzler direkt wählen, würden sich 51 Prozent für Habeck entscheiden (siehe Kasten). Was er als Quatsch abtut, ist heute eine realistische Option: der erste grüne Kanzler der Geschichte – oder eben die erste grüne Kanzlerin.

Der Lauf der Grünen scheint nicht zu bremsen zu sein. Das Klimathema, ihre große Kompetenz, ist im breiten Mainstream angekommen. Zehntausende SchülerInnen von Fridays vor Future gehen mit urgrünen Anliegen auf die Straße. Und die Vorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock wirken im Vergleich zu ScholzLindnerKramp-Karrenbauer geradezu unverschämt gut gelaunt, lässig und zukunftszugewandt. Längst rauben die Grünen nicht mehr nur der SPD massenhaft Wählerstimmen, sondern auch der CDU. Wie attraktiv sie für konservative Milieus sind, zeigte sich bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern – und eindrucksvoll bei der Europawahl, bei der sie Platz 2 belegten.

Vorsichtige Strategen versuchen, den Druck aus der Debatte zu nehmen. Die Legislaturperiode ende erst 2021, sagen sie, und Wählergunst sei bekanntlich flüchtig.

Das Problem ist nur: Auf die müde Große Koalition wetten in Berlin nicht mehr viele. Wenn das Bündnis platzt, vielleicht noch vor Weihnachten, stünden schnell Neuwahlen an. Für die Grünen wäre das eigentlich nur gut, so könnten sie im Bund die Dividende des Umfragehochs einfahren.

Aber deshalb birgt die K-Frage, anders als es alle suggerieren wollen, Sprengkraft. Sie könnte einen Keil in das Spitzenduo treiben, das bisher sehr harmonisch agiert und so den Erfolg der Grünen prägt. Eine Doppelspitze im Kanzleramt lässt das Grundgesetz nicht zu, zum Leidwesen der quotenverliebten Grünen. Entscheidend ist deshalb, ob sich Habeck und Baerbock gütlich einigen – oder nicht. „Wenn einer dem anderen den Vortritt lässt, ist alles gut“, sagt ein wichtiger Grüner. „Wenn nicht, dann wird es, äh, interessant.“ Es wäre ein Match der ChefInnen: Weitere BewerberInnen in ihrer Gewichtsklasse sind nicht in Sicht.

Laut Umfrage stehen die Grünen erneut vor den Unionsparteien. Grüne: 27, CDU/CSU: 25, SPD: 12, FDP: 8, Die Linke: 8, AfD: 13 und Sonstige: 7 Prozent

Damit läge die Groko bei 37, Grün-Rot-Rot bei 47 und ein grün-schwarzes Bündnis bei 52 Prozent.

Im direkten Vergleich würden 51 Prozent der Befragten Robert Habeck zum Kanzler wählen, nur 24 Annegret Kramp-Karrenbauer.

Quelle: Emnid 15. 6. 2019

Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ist derjenige, der das Verfahren festlegen und managen muss. Fragt man ihn, wie es mit der Kanzlerkandidatur laufe, sagt er: „Wir wissen um unsere Verantwortung. Und deshalb werden wir die relevanten Fragen rechtzeitig vor einer Wahl beantworten, gemeinsam mit der Partei.“ Wirklich aufregend klingt das nicht, aber in dem Satz stecken mehrere Ansagen. Erstens: Den Grünen ist sehr wohl bewusst, wie riesig der Vertrauensvorschuss der BürgerInnen ist.

Zweitens: Die Kanzlerkandidatur würde im Fall des Falles früh geklärt. Die Menschen müssten wissen, wen sie ins Kanzleramt wählen – dies sei ein Gebot der Transparenz. So sehen es viele in der Partei. Die Variante, mit einer gleichberechtigten Doppelspitze in den Wahlkampf zu ziehen, um dann kurz vor dem Wahlsonntag den oder die Kandidatin wie ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern, ist damit vom Tisch. Noch eine dritte wichtige Botschaft steckt in Kellners Satz: Die Partei wird an der Entscheidung beteiligt, es gibt also keine ordre du mufti.

Die gütliche – und einfachste – Lösung sähe so aus: Baerbock sagt Habeck irgendwann unter vier Augen, dass sie ihm den Vortritt lässt. Das könnte sie bei passender Gelegenheit in einem großen Interview verkünden, ein Parteitag müsste die Entscheidung dann nur noch bestätigen. Auch der umgekehrte Fall ist denkbar. Habeck könnte zugunsten von Baerbock verzichten. Warum sollten ausgerechnet die Grünen den Mann ins Kanzleramt schicken?

Schwieriger wird es, wenn beide den Spitzenjob wollen. Dann müsste vor dem Wahlkampf eine Klärung her. Ein Instrument dafür wäre eine Urwahl. Bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 ließen die Grünen ihre Mitglieder entscheiden, wer den Wahlkampf als Spitzenkandidat anführen soll. In der Parteizentrale wird allerdings darauf verwiesen, wie aufwendig das Verfahren ist. Die Satzung sieht diverse Fristen vor. BewerberInnen müssen sich erst mal melden und dann der Basis in Foren vorstellen, Stimmzettel müssen versendet und zurückgeschickt werden.

Falls die Groko platzt, ist eine Urwahl nicht machbar, allein aus organisatorischen Gründen. Anders sieht es aus, wenn die Legislaturperiode wie vorgesehen 2021 endet. Dann wäre reichlich Zeit.

Bisher ist völlig offen, wie sich das Spitzenduo entscheidet. Die beiden ChefInnen bringen unterschiedliche Qualitäten mit, beide können zu Recht Ansprüche geltend machen. Habeck liegt in Umfragen über die Beliebtheit von SpitzenpolitikerInnen regelmäßig ganz vorn. Er ist der wesentlich Prominentere und wird von vielen Medien präferiert. Anders als Baerbock verfügt er über Regierungserfahrung, weil er in Schleswig-Holstein sechs Jahre lang Minister für Umwelt, Landwirtschaft und Energiewende war.

Viele grüne Frauen sehen nicht ein, warum Habeck gesetzt sein sollte

Aber Baerbock ist auch nicht ohne. Sie gilt in der Partei als nüchternes Korrektiv zu Habeck, der manchmal zum Überschwang neigt. Und sie hat in eineinhalb Jahren aus dem Nichts heraus ein starkes Profil entwickelt. Nicht zuletzt hätte sie viele Frauen hinter sich. Schließlich verstehen sich die Grünen als feministische Kraft, die Frauen bei gleicher Eignung bewusst nach vorne schiebt. Viele grüne Frauen sehen nicht ein, warum Habeck im Rennen ums Kanzleramt gesetzt sein sollte. „Ich würde sehr gerne in einem Land leben, in dem Annalena Baerbock Kanz­lerin ist“, twitterte etwa die Grüne Alexan­dra Geese, die bald im Europaparlament sitzen wird.

Baerbock hat in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass sie sich von Alphamännern nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Sie setzt selbstbewusst Akzente, auch bei heiklen Themen wie der Migrationspolitik. Sie hat kein Problem damit, Habeck in kleiner Runde zurechtzustutzen, wenn er sich zu sehr spreizt. Ihr Selbstbewusstsein zeigte sich schon im Dezember 2017, als sie ihren Hut für den Parteivorsitz in den Ring warf. Habeck hatte im Interview mit der taz seine eigene Kandidatur ankündigen wollen. Kurz vor dem Erscheinungstermin steckte Baerbock einer Nachrichtenagentur, dass sie selbst antreten werde, ohne sich groß in der Partei abzusprechen.

Das Rennen um die Kanzlerkandidatur könnte spannender werden, als manche denken.