Verteidiger im NSU-Prozess: Verzögern, verschleppen, verhindern
Im NSU-Prozess setzen die Verteidiger zweier Angeklagter auf Verzögerungstaktik. Sie blockieren das Gericht mal wieder mit Befangenheitsanträgen.
MÜNCHEN taz | Das ist auch für den NSU-Prozess ein Rekord: Ganze fünf Befangenheitsanträge hagelte es am Mittwoch gegen die Richter, gestellt von den Verteidigern zweier Angeklagter. Zwei weitere Anträge sind bereits angekündigt. Damit gerät der Prozess weiter ins Stocken – und verzögert die Plädoyers der Nebenklage erneut.
Der aktuelle Streit entzündete sich am Haftbefehl gegen den Mitangeklagten André E. Der 38-Jährige war Mitte September überraschend noch im Gerichtssaal festgenommen worden – wegen Fluchtgefahr. Zuvor hatte die Bundesanwaltschaft eine zwölfjährige Haftstrafe für E. gefordert, da dieser der zentrale Helfer des NSU-Trios und in alle Taten eingeweiht gewesen sei.
Schon darauf folgten erste Befangenheitsanträge von E.s Verteidiger gegen die Richter. In der Folge sagte das Gericht mehrere Prozesstermine ab. Am Mittwoch aber musste es verhandeln – sonst wäre die gesetzlich erlaubte, dreiwöchige Verhandlungspause überschritten worden. Der Prozess wäre geplatzt.
Möglicherweise war genau dies das Ziel der Verteidiger. Gleich am Morgen, als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Verhandlung eröffnete, protestierte der Anwalt von André E.: Ob Götzl denn nicht wisse, dass er am Morgen, eine Stunde vor Prozessbeginn, einen weiteren Befangenheitsantrag gestellt habe? „Ich wundere mich schon, dass Sie die Sitzung eröffnen.“ Auch die Anwälte des Mitangeklagten Ralf Wohlleben schlossen sich dem Protest an. Götzl ließ sich nicht beirren, verhandelte weiter, mit allgemeinen „rechtlichen Hinweisen“ an die Angeklagten – und kassierte vier weitere Befangenheitsanträge. Zwei weitere Ablehnungsgesuche kündigten die Verteidiger von André E. und Ralf Wohlleben in den kommenden Tagen an.
Urteil erst im nächsten Jahr
Indes: Zumindest den Vormittag wurde so verhandelt. Ein Platzen des Prozesses hat Götzl damit abgewendet. Am Mittag dann vertagte er die Verhandlung – und sagte wegen der Befangenheitsanträge erneut mehrere Prozesstage ab. Weiter geht der Prozess nun erst am 24. Oktober.
Eigentlich sollten im NSU-Prozess längst die Plädoyers der Nebenklage starten, der Anwälte der Opferfamilien. Diese nannten die Kaskade an Befangenheitsanträgen durch die Verteidiger „an den Haaren herbeigezogen“. Offenbar gehe es nur noch um Verzögerung.
Auch die Plädoyers der Nebenkläger, wenn sie denn mal starten, werden Zeit in Anspruch nehmen: 55 Anwälte wollen das Wort erheben, rund 60 Stunden soll dies dauern. Erst danach wird es zu den Schlussworten der Verteidiger kommen – und dann zum Urteil. Letzteres mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr in diesem Jahr.
Leser*innenkommentare
Nico Frank
Das Platzen" des Prozesses aktiv zu betrieben, kann den Straftatbestand der Nötigung nach § 240 StGB zur Folge haben. Was das Verfahren „Platzen“ zu lassen betrifft, habe ich den Eindruck das dies von Journalisten immer wieder gern angeführt wird, um dem Verfahren eine gewissen Spannung zu geben. In der Praxis ist mir ein solches Platzen eines wichtigen Verfahrens, noch nie bekannt geworden. Die Höchstdauer einer Verfahrensunterbrechung, also der zeitliche Rahmen zwischen den jeweiligen Verhandlungstagen, soll nach § 229 StPO nicht mehr als 3 Wochen, bzw. einem Monat betragen.
In der 65jährigen Geeschichte des OLG München, ist nicht ein einziger Fall bekannt, in der diese gesetzliche Frist nicht eingehalten wurde und das Verfahren von neu beginnen musste.
Es wäre als Leser viel wichtiger zu erfahren, wie die Verteidiger ihre Anträge begründen, als diese Anträge nur als ein Verzögern, verschleppen, verhindern abzuurteilen.
Christian Schmidt
Was vielleicht mal hilfreich waere, waer ein Bericht warum das mit den Befangenheitsantraegen immer so lange dauert?