Grüner Mutlu über Antidoping: „Das Gesetz ist Murks“

Es soll ein Meilenstein im Kampf gegen den Sportbetrug sein. Aber der Grünen-Politiker Özcan Mutlu lässt kein gutes Haar am neuen Antidopinggesetz.

Drei Fläschchen mit Dopingmitteln

Schon kleine Mengen können großen Ärger für Athleten bedeuten Foto: dpa

taz: Herr Mutlu, ist das Antidopinggesetz, das heute im Bundestag verabschiedet werden soll, ein großer Wurf oder Murks?

Özcan Mutlu: Das ist kein großer Wurf und zielt auf eine Kriminalisierung der Athleten. Die Sportler werden auch in puncto Datenschutz rechtlos gestellt. Das sogenannte Selbstdoping schränkt überdies das Recht auf Selbstschädigung ein. Auch die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit sehen wir sehr problematisch und werden deshalb diesen Gesetzentwurf ablehnen.

Was meinen Sie mit Kriminalisierung von Athleten?

Der Gesetzentwurf ist fokussiert auf den Athleten. Wir sind aber der Meinung, dass auch das Umfeld des Athleten ins Visier genommen werden muss, also Trainer, Betreuer und Hintermänner. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber mit sehr schwammigen Begrifflichkeiten um wie der „Integrität des Sports“ und der „Fairness im Sport“. Damit wird das Phänomen des Dopings nicht in ernsthafter Weise angegangen.

Inwiefern wird Ihrer Meinung nach gegen Datenschutzrichtlinien verstoßen?

Die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada, eine privatrechtliche Stiftung, bekommt weitreichende Befugnisse. Sie kann Daten erheben, speichern und von Gerichten anfordern. Das war einer der wesentlichen Kritikpunkte in der Anhörung vorm Sportausschuss, wo Rechtswissenschaftler festgestellt haben, dass die Nada hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, indem sie quasi ermittelt und Daten erfasst. Das ist problematisch.

1990, als er die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, wurde Mutlu Mitglied der Grünen. Der Berliner, 47, ist Mitglied des Bundestags und befasst sich mit Sportpolitik.

Jetzt müssen Sportler, die mit „geringen Mengen“ erwischt werden, also einer einzigen Anabolika-Pille, mit einem Straf­verfahren und möglicher­weise einer mehrjährigen Strafe rechnen. Das ist neu. Früher wurde der Staatsanwalt nur bei einer „nicht geringen Menge“ tätig, wenn überhaupt.

Diese uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit problematisieren ja auch die Athleten selbst. Nur ein Szenario, was durchaus möglich ist, wenn eine gewisse kriminelle Energie vorhanden ist: Der Sportler befindet sich im Wettkampf mit anderen Athleten – und einer von denen steckt ihm eine Ampulle oder Medikamentenschachtel in die Trainingstasche – und wird dann damit erwischt. Da kann der Sportler tausendmal sagen, dass ihm das untergejubelt worden ist, geglaubt wird ihm wohl kaum.

Der Fahrplan: Am Freitag soll das Gesetz im Plenum des Bundestags mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD verabschiedet werden. Ende November muss es noch den Bundesrat passieren, was jedoch als unproblematisch gilt. In Kraft treten soll das Antidopinggesetz Anfang 2016.

Die Neuregelung: Das Gesetz bündelt den strafrechtlichen Kampf gegen Doping, der bislang über das Arzneimittelgesetz geregelt war. Sportler, die künftig selbst mit geringen Mengen Dopingsubstanzen erwischt werden, müssen mit Strafen von bis zu zwei Jahren rechnen.

Für Bagatelldelikte hat sich die Große Koalition in der Neufassung des Gesetzes den Passus der „tätigen Reue“ ausgedacht. Was ist denn damit gemeint?

Keiner von der Koalition konnte mir erklären, was das bedeutet. Wo beginnt die sogenannte tätige Reue, und wo endet sie? Die Interpretation wird Gerichte sicherlich noch beschäftigen. Angesichts dieser Tatsache frage ich mich, ob es überhaupt Sinn macht, die uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit so im Gesetz festzuschreiben.

Was ist mit dem juristischen Grundsatz ne bis in idem: Man darf nicht zweimal für dieselbe Tat angeklagt werden. Muss der gedopte Sportler jetzt mit einer Doppelstrafe durch Sportschiedsgerichte und durch Strafgerichte rechnen?

Das ist ein Streitpunkt, über den die Regierung wenig Klarheit schaffen konnte. Soll denn nun der autonome Sport gegen Doping kämpfen oder sollen das staatliche Strafverfolgungsbehörden? Einerseits sollen die Sportschiedsgerichte gestärkt werden, andererseits kommt das Strafgesetz zum Einsatz, das eigentlich als Ultima Ratio, als allerletztes Mittel greifen darf. Meiner Meinung nach darf das Strafgesetz nur dann zum Einsatz kommen, wenn ein Sportbetrug nachgewiesen werden kann.

Was ist Sportbetrug?

Der Sportler dopt, er verfälscht sportliche Ergebnisse und erschleicht sich Verträge mit wirtschaftlichen Gewinnabsichten. Das erfüllt den Tatbestand des Sportbetrugs.

Denkbar ist also künftig folgendes Szenario: Ein Sportler wird sportrechtlich bestraft, vor einem ordentlichen Gericht aber freigesprochen. Was dann?

Gute Frage! Auch hier findet das Gesetz keine Antwort. Deswegen ist es Murks.

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