Wie stoppt man Postfaschisten?: „Eine militante Demokratie tut not“

Ist der Wahlsieg der Postfaschistin Giorgia Meloni nur ein italientypisches Intermezzo? Oder kündigt er „künftiges Unheil“ an, wie Primo Levi bereits 1945 prophezeite?

Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtsradikalen Partei Fratelli d'Italia Foto: dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 04.10.2022 | Nach der Befreiung aus Auschwitz und einer Odyssee mit wenigen Überlebenden durch Russland, die Ukraine, Rumänien und Ungarn steigt der italienische Schriftsteller Primo Levi 1945 in Wien in einen Zug, der ihn zurück nach Italien bringen wird. Levi und seine Reisegefährten empfinden gegenüber den besiegten und erniedrigten Deutschen weder Freude noch Mitleid. „Stattdessen empfanden wir Schmerz, der sich mit unserem eigenen Elend zu dem lastenden Gefühl eines unheilbaren und endgültigen Übels verband, das, überall gegenwärtig, sich in die Eingeweide Europas und der Welt gefressen hatte, Same künftigen Unheils“. So schreibt Levi in „Die Atempause“.

Ist mit der Wahl der Postfaschistin Giorgia Meloni und ihrer Partei „Fratelli d'Italia“ dieser „Same künftigen Unheils“ aufgegangen? Erstickt diese aufblühende Blume des Bösen mit ihrem Gestank nach autokratischer Herrschaft, ihrem militanten, dem Dekalog des italienischen Faschismus entliehenen Dreiklang von „Gott, Familie und Vaterland“, mit ihrer missbräuchlichen Selbststilisierung als kämpfende weiße Frau gegen die Zumutungen der Moderne oder mit ihrem gut instrumentierten Deutschlandhass unsere Zukunft einer aufgeklärten, pluralistischen, sich komplexen Fragestellungen öffnenden freiheitlichen Demokratie?

Vieles spricht dagegen, einiges spricht dafür.

Italien ist fest in die Nato und den Westen eingebunden. Meloni hat kaum Chancen, das Land daraus zu lösen. Sie weiß, dass sie – anders als ihre Partner Salvini mit der Lega Nord und Berlusconi mit der Forza Italia – Italien nicht an Putins Imperialismus andocken darf, wenn sie das Land außenpolitisch nicht isolieren will. Meloni weiß, dass sie ohne die 194 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds der EU keine Chance hat, die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturdefizite der italienischen Gesellschaft, die Verschuldung und die aktuellen Haushaltsdefizite im Staatshaushalt anzugehen.

An diesen Rahmenbedingungen können aufgemotzte Reden, ein autoritärer Regierungsstil, Seeblockaden zur Abschottung gegen illegale Immigration, Abschiebungen, eine nationalistische „Italy first“-Politik und das Anstacheln der Wut auf die unausweichliche Modernisierung wenig ändern.

Europas neuer freiheitsfeindlicher Autoritarismus

Dieses Profil einer weit nach rechts offenen konservativen Regierung in Italien mit dem doppelten Gesicht von rhetorisch aufgemotzter Formierung der Gesellschaft und zwingender europäischer Realpolitik wäre für alle anderen in Europa zunächst kein Problem. Schließlich ist die nächste Regierungskrise, wie immer in den letzten 70 Jahren, nicht weit weg. Meloni hat bei der Wahl nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommen, sondern nur wegen der Besonderheiten des italienischen Wahlsystems die Mehrheit in beiden Häusern erreicht. Außerdem lag die Wahlbeteiligung bei nicht viel mehr als 50 Prozent.

Ordnet man allerdings Melonis Wahlsieg in einen Horizont jenseits abgebrühter Realpolitik ein, stellt sich schon die Frage, ob sich hier nicht doch „das bucklige und verzerrte Profil der aus dem Schlaf der Vernunft gezeugten Ungeheuer“(Primo Levi) eines neuen freiheitsfeindlichen Autoritarismus zeigt, der nach der ganzen Macht greift.

Viktor Orban und die Fidesz in Ungarn, Jarosław Kaczyński und die PIS in Polen, die Schwedendemokraten, die „Wahren Finnen“, Alice Weidel und die AfD sowie Marine Le Pen mit dem „Rassemblement National“ sind Parteien, die die demokratischen Freiheiten dafür nutzen, um sie zu demontieren.

Die Sozialdemokraten haben fast überall in Europa den Zugang zu ihrer Klientel verloren. Sie sind vordergründig machtpolitisch ausgerichtete Funktionärs- und Karrierevereine. Das große Ganze der Gesellschaft haben bei ihnen nur die wenigen im Blick, die in Koalitionen ihre Ämter auch gegen ihre Partei ausfüllen müssen.

Eine radikale sozialistische Linke gibt es aus historischen Gründen nicht mehr. Ihr Verfall wird durch die Parteinahme für Putins Krieg noch beschleunigt. Neu auf der linken Seite gibt es immer autoritärer auftretende Identitäre, die ihre gruppen- oder merkmalbezogenen, historisch gewachsenen ökonomischen und kulturellen Ungleichheiten verabsolutieren, im Zweifel wissenschaftlich evidente Tatsachen tabuisieren und die demokratischen Regeln offener Kommunikation in der pluralistischen Gesellschaft bekämpfen.

Es fehlt an Kampfbereitschaft, demokratische Freiheitsrechte gegen rechte Bewegungen zu verteidigen

Klassische Konservative gibt es auch nicht mehr. Die CDU wird „von einer saturierten Funktionärsebene beherrscht, die für eine Union steht, die im Bund nur auf beschämende 28 Prozent kommt“, wie Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schreibt. Die CDU ist mit ihrem Versuch, die Stimmen der AfD zu halbieren, zumindest Stand heute gescheitert. Sie bewegt sich auf vielen Ebenen wegen fehlender anderer Machtoptionen auf die AfD zu.

Eine anschlussfähige politische Mitte als organisierte und sich in der Gesellschaft neu verankernde Kraft gibt es in Ansätzen nur in Frankreich. Addiert man zu diesem Befund noch die im Trumpismus und der identitären Aufspaltung der bürgerlichen Mitte strauchelnde Demokratie in den USA, sowie die Wiederkehr des Krieges im Systemkampf der Diktaturen in Russland und China mit dem Westen, dann gewinnt der Befund Primo Levis eines vom deutschen Faschismus der Welt eingepflanzten Samen künftigen Unheils beunruhigend an Plausibilität.

Thomas Manns hat 1939 eine klare Ansage gemacht: „Eine militante Demokratie tut not, die sich des Zweifels an sich selbst entschlägt“. Das wird auch heute nicht befolgt. Es fehlt der politische Wille in der Mitte der Gesellschaft, die rechten Bewegungen mit der notwendigen Härte aus dem politischen Raum zu vertreiben. Ist ja auch ein unangenehmer Widerspruch: Alle müssen etwas von ihrer Freiheit abgeben, damit die liberale Demokratie sich hart und erfolgreich wehren kann gegen die, die sie abschaffen wollen.

Primo Levi und sein österreichischer Schriftstellerkollege Jean Améry haben nach ihrer Befreiung aus den KZ der Nazis den Glauben daran nicht wiedergefunden, dass die westlichen Demokratien jemals bereit sein würden, ihre Freiheitsrechte militant zu verteidigen. Beide haben sich unter der Last dieses Eindrucks das Leben genommen.

In diesem politischen Horizont betrachtet ist Giorgia Melonis Wahlsieg doch mehr als ein hinzunehmender Unfall normaler demokratischer Prozesse, der sich von selbst erledigen wird. Er ist ein Menetekel für das demokratische Leben in Europa, eine Drohung kommenden Unheils, die nicht einfach verpuffen wird, weil es schlicht keine Kampfbereitschaft gibt, diesen Melonis ihren Weg an die Macht zu verstellen. Stattdessen wächst die Bereitschaft vieler Bürger, ihren menschenfeindlichen Parolen zu folgen. Das sind beunruhigende Aussichten für alle unangepassten Träumer unter uns.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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