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Single, und jetzt? Die Liebe ist vorbei, tut mir leid

Seit seiner eigenen Trennung ist Aron zum Berater für Paarkrisen im Freundeskreis geworden. Doch welche Kompetenz hat er?

Dresdener Hoteltoilette Aron Boks

Von Aron Boks

taz FUTURZWEI, 30.03.2023 | Dresden bedeutet immer Abschied, denke ich beim Frühstück.

Ich sitze mit Matthias und Susanne in einem Hotel. Gestern hatten wir hier zusammen eine Lesung. Und weil Elena seit Kurzem in dieser Stadt lebt und unsere Liebe hier zu Ende ging, bin ich an diesem Morgen ziemlich melancholisch drauf und rede seit gestern Abend über nichts anderes.

Dabei sind die beiden die ersten, denen ich davon erzähle. Vielleicht weil sie beide über vierzig Jahre älter sind als ich.

Als Elena mit mir Schluss gemacht hatte, habe ich mich dagegen entschieden, mit meinen gleichaltrigen Freunden darüber zu sprechen. Ich wollte keine Analyse der Situation, keine langen Gespräche, die ich wie eine Tragödie jeden Abend auf einer anderen WG-Tisch-Bühne aufs Neue vorführen müsste oder was frisch getrennte Personen eben sonst so erwartet.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 28, ist taz Panter-Volontärin in der taz-Redaktion.

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und ist seit Oktober 2021 taz Panter Volontärin.

Freiwilliger Paarberater

Ich habe lediglich ein paar WhatsApp Nachrichten über den Stand der Lage an die wichtigsten Leute verschickt. Immer mit der Info, kein weiteres Wort darüber verlieren zu wollen. Elena ist umgezogen, ich wollte mit Elena zusammenbleiben, Elena wollte das nicht. Das war‘s. Wozu das alles durchsprechen, hatte ich gedacht. Nochmal diesen schmerzhaften Moment durchleben, noch einmal leiden? Auf keinen Fall.

Irgendetwas wollte ich aber tun. Und wenn ich mit meinen Freunden nichts an meiner Lage ändern kann, dann könnte ich sie wenigstens vor meinem Schicksal bewahren. Lydia und Jakob, zum Beispiel. Er und ich saßen gerade auf einer Parkbank, als er mir von einem Streit zwischen den beiden erzählte. Und als ich gerade von Bedürfniskommunikation, notwendiger Ehrlichkeit und anderem paartherapeutischem Zeug sprach, das mir erst nach meiner Beziehung eingefallen war, stand Lydia plötzlich vor uns.

Ich war so im Liebesberatungsmodus, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie Jakob derweil mit ihr geschrieben hatte. Dann gingen die beiden weg.

Liebe früher, Liebe heute

All das geht mir jetzt durch den Kopf, während ich mit Matthias und Susanne beim Frühstück sitze.

„Findet ihr, dass die Liebe heutzutage komplizierter geworden ist?“, frage ich. Matthias ist Makrosoziologe. Susanne Philosophin, die sich mit dem Phänomen der Liebe beschäftigt. Die beiden sind also eine Topadresse für diese Frage. „Ich glaube, das denken immer nur Alte über Junge“, sagt Susanne, während sie ein wenig Schaum aus ihrer Kaffeetasse löffelt. „Worauf es ankommt, ist die Sprache der Liebe. Und die ändert sich nicht.“ Matthias dreht sich fröhlich zu ihr. „Darüber hast du doch auch ein Buch geschrieben!“ Sie nickt.

Die beiden haben sich im Westberlin der 70er Jahre kennen gelernt. Sie war lange Zeit Hausbesetzerin, er Hochschulkarrierist. Sie erlebten zwei Welten, teilten Ideale, waren mit unterschiedlichen Partnern zusammen, probierten sich aus. Und jetzt sitzen sie zusammen vor mir, denke ich, während Susanne bereits vom besagten Buch erzählt. Eine Beschäftigung mit der Liebeslyrik im Mittelalter.

„Das, was Männer damals über Liebe geschrieben haben, war eigentlich ein Kassiber für andere Männer“, sagt sie.

Das hat sich bis heute wirklich nicht geändert, denke ich. Jedenfalls nicht bei den Trennungsliedern einer eigens zusammengestellten Playlist, die ich derzeit höre, um mir selbst zu helfen.

Therapeutische Trennungslieder?

Besonders berührend ist ein Song, bei dem der Sänger die ganze Zeit darüber spekuliert, was er alles hätte anders machen können, um jetzt noch mit seiner Exfreundin zusammen zu sein. Super traurig, super schön. Ich könnte jeden Satz als WhatsApp-Status verwenden, dachte ich beim ersten Hören. Und vermutlich kam mir da auch die Idee, dass es aus meiner Position unverantwortlich wäre, einfach stillschweigend zuzusehen, wie meine Freund:innen ihre Beziehungen an die Wand fahren.

Ich weiß nicht, mit welchen Herausforderungen Verliebte vor dreißig Jahren konfrontiert waren. Heute liegt das Hauptproblem für viele vermutlich darin, gleichzeitig frei und ungebunden auf die optionsfreudige, globalisierte Welt zu reagieren, aber gleichzeitig auch Bereitschaft zum Commitment zu zeigen, weil das Geborgenheit bringt. Man muss und will alles und nichts sein.

Oder man trennt sich, dachte ich auf der Parkbank, als ich Jakob und Lydia beim Streiten beobachtete. Dabei musste ich zu sehr an Elena denken, weshalb ich schnell nach Hause ging und meine Playlist des Leidens hörte. Diesmal lief „Balkon gegenüber“ von Kettcar. In dem Lied sieht ein Typ seinem gerade getrennten Nachbarn beim Saufen zu und denkt sich Ratschläge aus, um ihn wieder aufzurappeln. Der Song ist über 20 Jahre alt, und die Liebe ist kein Stück gerechter geworden, denke ich.

„Viel Glück heut Nacht und viel Glück demnächst […] Wenn du aufhören willst und einsehen musst, zwischen ‚komm zurück‘ und ‚wirklich Schluss‘.“

Mir kamen die Tränen, trotzdem versuchte ich zu tanzen und stolperte dabei über die leeren Rotweinflaschen, die um meine Spüle herum verteilt stehen. Ich räume sie nicht mehr weg, weil ich das bisher immer dann gemacht habe, wenn Elena mich besuchen kam.

Aber Elena kommt nicht mehr, denke ich und sehe stumm durch den Frühstücksraum. Das ist auch keine düstere Vermutung. Das hat sie mir bereits drei Mal auf Nachfrage gesagt. Und während ich mir einrede, meinen Freunden im Gespräch als Beziehungsweiser zu helfen, dass sie zusammenbleiben, grübele ich doch nur die ganze Zeit über meine Trennung. Wie der Typ in dem Song meiner Playlist, der sich fragt, was er hätte anders machen können. Dabei gibt es nur eine Sache, die jetzt etwas bringt: loslassen. Aber ich kann einfach nicht.

Ich bin derzeit auf keinen Fall der Typ, der Ratschläge geben kann, denke ich, während ich Matthias und Susanne an unterschiedlichen Ecken des Büffets beobachte. Obwohl die beiden sich hauptberuflich ständig zu gesellschaftlichen Diskursen äußern, haben sie erst dann mit mir über Liebe gesprochen, als ich sie danach gefragt habe.

Bitte keine Ratschläge

Leute, die einem Freund sofort eine Lebensweisheit mit auf den Weg geben, wollen sich in der Regel einfach nicht mit dem Gegenüber auseinandersetzen, denke ich. Oder sie wollen verheimlichen, dass sie selbst gerade voll am Arsch sind.

Nach meinem Kettcar-Breakdown habe ich jedenfalls Jakob angerufen, der sich sofort überschwänglich bei mir bedankt hat, nachdem zwischen ihm und Lydia offensichtlich wieder alles gut war.

„Du hast uns einfach allein gelassen, als wir reden mussten – das war perfekt.“

Ich habe ihm keinen weiteren Rat gegeben.

Vermutlich können nur zwei Liebende ihre Probleme klären. Bei mir hat das damals nicht geklappt, sage ich, als sich das Frühstück dem Ende neigt.

„Die Liebe ist vorbei, tut mir leid“, antwortet Matthias plötzlich mit französischem Dialekt und hält entschuldigend seine Hände vor die Brust.

Autsch.

Kurz bevor ich etwas sagen kann, erzählt Susanne von ihrem Bruder, der als junger Mann tagelang zu einer Geliebten nach Paris getrampt ist, die ihm dann mit diesen Worten die Tür vor der Nase zugeknallt hat. „Das ist seither ein geflügeltes Wort bei uns“, sagt sie und lächelt. Ich jetzt auch.

Es wird einfach Zeit, Dresden zu verlassen, denke ich. Das Frühstück ist vorbei.

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Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.