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Nach den Landtagswahlen Rechtsruck in Deutschland?

Zeigen die jüngsten Landtagswahlen tatsächlich einen „Rechtsruck“? Und macht es wirklich Sinn, die CDU mit der rechtsradikalen AfD zu einer antidemokratischen Front zusammen zu rücken?

(R)echte Gefahr oder Sturm im Wasserglas? Rhein (CDU) und Lambrou (AfD) trinken auf den Wahlerfolg. Wolfgang Rattay/Reuters

taz FUTURZWEI | Sind die Landtagswahlen in Hessen und Bayern ein „Rechtsruck“, wie es jetzt häufig heißt? Wenn man die Zahlen aller Parteien ab Mitte-rechts addiert, kann man diesen Eindruck haben.

In Hessen bekommen CDU und AfD zusammen 54 Prozent der Stimmen, in Bayern gewinnen CSU, Freie Wähler und AfD 67 Prozent aller Stimmen. Würden diese Ergebnisse auf den Bund übertragen, wären die drei Regierungsparteien von einer Mehrheit weit entfernt. Die CDU allein landet in Hessen bei 34, die CSU in Bayern bei 37 Prozent.

CDU und CSU sind gemäßigt konservative Parteien mit einem Politikangebot, das von Schwarz-Grün bis zu maßlosem Grünen-Bashing reicht. Sie werden von Liberaldemokraten gewählt. Diese CDU mit der rechtsradikalen AfD zu einer potentiellen antidemokratischen Front zusammenzurücken, dient – Stand jetzt – nur dazu, sich selbst als die „Wir haben es ja immer gewusst“-Linken zu bestätigen.

Die CDU wird gebraucht

Die westlichen Demokratien sind wegen der komplexen Gleichzeitigkeit von Systemkriegen, Migration, Klimakrise, demographischen Tatsachen und den delegitimierenden, destruktiven Wirkungen der sozialen Medien für eine funktionierende politische Öffentlichkeit unter Druck.

Zusätzlich werden sie von populistischen, rechtsradikalen oder illiberalen Vereinfachern wie der AfD bekämpft. Die CDU, ob in der Opposition oder beim Mitregieren, wird bei der Mitarbeit an diesen Problemen gebraucht.

Da sind die Systemkriege in der Ukraine und jetzt in Israel, deren Wirkungen und Verpflichtungen sich niemand entziehen kann. Da ist der Druck tausender Flüchtlinge, die von allen Seiten in die EU und vor allem in die Bundesrepublik drängen.

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Da gibt es Umbauzwänge für die Industrie, nachdem Gas und Öl aus Russland als Garanten für niedrige Energiekosten für immer weggefallen sind. Da gibt es Konjunkturschwäche, Inflation und steigende Lebenshaltungskosten.

Da sind die Zwänge, wegen der Klimakrise den CO2-Eintrag des gesamten gesellschaftlichen Lebens in einem Reduzierungskonzept bis 2045 herunterzufahren.

Dazu kommen die lang versäumten Anpassungen des Sozialstaates an die veränderten demographischen Tatsachen auf allen Feldern des sozialen Lebens. Dazu gehört auch die zwingende rechtstaatliche Regulierung der Sozialen Medien.

Streit ist Teil der Konsenssuche

Diese Großkrisen laufen in einem unverbundenen Nebeneinander ab. Sie lassen sich nicht in ein geordnetes, von eindeutigen Positionen bestimmtes und abgestuftes Abarbeiten im politischen Handeln übersetzen.

Die Erarbeitung von notwendigen Schritten für die Lösung jedes Problems durch die Regierenden, die auch noch unter den Koalitionspartnern in einen Konsens überführt werden müssen, erscheinen in der Öffentlichkeit als erratisch und uneindeutig.

Dieses in demokratischen Verfassungsstaaten selbstverständliche, öffentliche Suchen nach dem richtigen Weg, kann nicht ohne Streit abgehen. In der Bundesrepublik wird diese Konsenssuche aber in der Öffentlichkeit – von der Presse skandalisierend breitgetreten – als Beleg dafür genommen, dass die Regierenden den Anforderungen nicht gewachsen sind, mit den großen Krisen umzugehen.

Skandalisierung statt Problemlösung

Tatsächlich erleben viele Leute wegen der Multi-Krisen um sie herum eine Entwertung ihrer über die Jahre gefestigten Normalitäts-Erwartungen. Manche empfinden sogar einen Kontrollverlust über ihr alltägliches Leben.

Sie haben kein anderes Instrument, als der Ampel-Regierung auf dem Wahlzettel ihre Verunsicherung zu zeigen. Obwohl weder CDU, CSU, noch Freie Wähler und schon gar nicht die AfD Ideen und Konzepte vortragen, wie sie die Krisen angehen wollen und ob überhaupt.

Stattdessen suchen diese Parteien für ihre Mehrheitssuche Trigger, die sich für skandalisierendes Dramatisieren besonders eignen. Das sind aktuell Migration, die Klimapolitik der Grünen und das Übernehmen von konkreten Aufgaben in den Systemkriegen zwischen Diktaturen und Demokratien.

Anstachelung von rassistischer Gewalt

Dabei sind für diese Krisen mehrheitsfähige Lösungen, die auch die CDU mittragen kann, unterwegs. Die ungeregelte Migration in die EU und die Bundesrepublik übers Asyl muss durch Beschränkungen und Zurückweisungen so geregelt werden, dass Einwanderung in die Arbeitsmärkte einigermaßen geordnet vollzogen werden kann.

»Das Gerede von Überfremdung oder Überforderung der AfD ist pure Angstmache bis hin zu Anstachelung von rassistischer Gewalt.«

Dazu haben sich am 13. Oktober 2023, einem Freitag, der Kanzler, die Ministerpräsidenten und die CDU verständigt. Diesen Absprachen werden sich auch die Grünen anschließen. Das Gerede von Überfremdung oder Überforderung der AfD ist pure Angstmache bis hin zu Anstachelung von rassistischer Gewalt. Das kann mit Recht und Gesetz und dem Einsatz aller Mittel des staatlichen Gewaltmonopols im Bund und in den Ländern unterbunden werden.

Die Umstellung der deutschen Wirtschaft auf fossilfreies Produzieren und Konsumieren ist ein historischer Kraftakt, den die Grünen auf einen umsetzbaren Kurs gebracht haben. Wegen Erschreckens über die Wahlergebnisse jetzt diesen Prozess zu verlangsamen oder abzuschwächen, würde den erfolgreich eingeleiteten Umbau in die fossilfreie Zivilisation der Zukunft abwürgen.

Kurshalten für grüne Wirtschaftspolitik

Zum Beispiel ist der Fortgang der Energie- und Wärmewende für alle privaten Haushalte mit dem Wärmeplanungsgesetz in die Zuständigkeit der kommunalen Vertretung übertragen. Mit der verpflichtenden Wärmeplanung für alle Bürger wird es bis 2026 Klarheit und Sicherheit für fossilfreies Heizen und Wärmeversorgung geben.

Daher sind jetzt Durchhaltewillen und Fortsetzen des eingeschlagenen Kurses der Grünen Wirtschaftspolitik ohne Abstriche oder populistische Korrekturen gefragt. Schon in wenigen Jahren werden die Erfolge auf diesem Weg für sich selbst sprechen und auch von der CDU mitgetragen werden.

Die Bundesrepublik muss sich für die Herausforderungen des weltweiten Systemkrieges ohne Wenn und Aber auf die Seite der um ihre Freiheit und damit um die Zukunft der Demokratie kämpfenden Staaten stellen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat mit ihrem Besuch in Tel Aviv – und mitten im Kampfgebiet – ein beeindruckendes Beispiel solidarischen Auftretens geliefert.

Waffen liefern, wenn es erforderlich werden sollte, auch direkt an der Seite der USA und der anderen Europäer für den Westen einzutreten, das wird auch Grüne Politik sein. Auf diesem Politikfeld gibt es Einigkeit zwischen allen Ampelparteien und der CDU.

Was die Grünen angeht, so haben sie noch zwei Jahre Zeit, ihre politischen Erfolge in der Lebenswirklichkeit der Bürger spürbar ankommen zu lassen. Und die CDU hat gar keine andere politische Machtperspektive, als sich aus ihrem 30 Prozent-Keller heraus an die Seite von Grünen, SPD und FDP zu stellen, wenn sie sich glaubhaft von der rechtsradikalen AfD absetzen will.

Den Bürgern in Hessen und Bayern zu unterstellen, sie wollten einen Rechtsruck, ist billige antifaschistische Rhetorik, die nur eines vermag: die liberale Demokratie zusätzlich zu schwächen.