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Egozentrische GenZ? Die Bedürfnis-Kids

Warum leben Twentysomethings gnadenlos ihre „Bedürfnisse“ aus? Und ist es wirklich schlecht, wenn die GenZ wesentlich souveräner mit eigenen Bedürfnissen umgeht?

Me, myself and I first Foto: Laura Schaeffer

taz FUTURZWEI | Man kann nicht sagen, dass Boomer wirklich so pflichtbewusst waren und sind, wie sich manche gern sehen. Der gesellschaftsliberale Aufbruch nach 1968 hat auch sie ganz schön individualisiert und um ihre eigenen Egos zentriert. Aber es gibt immer noch Umgangsformen und Höflichkeiten. Wenn sie nun erleben, wie die Twentysomethings diese mit Verweis auf die »eigenen Bedürfnisse« sprengen, dann können sie nur noch mit dem Kopf schütteln. Irgendwann ist es auch mal gut, würden sie in üblicher Manier sagen.

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Aber so ist es doch immer; da, wo für die einen die Grenzen des zivilisatorischen Miteinanders liegen, sehen die anderen die ultimative Befreiung: Die Bedürfnis-Kids tun nur noch das, worauf sie Lust haben.

Auf wen diese geniale Idee eigentlich zurückgeht, sich befreit von zwischenmenschlichen Verpflichtungen auch kurzfristig bedürfnisorientiert zu verhalten, ist unklar. Aber die Entdeckung muss sich ungefähr so zugetragen haben: Eine junge Frau trägt gerade nochmal schnell den Lippenstift auf, um in fünf Minuten eine Freundin zu treffen, die dann aber anruft und ins Telefon keucht: »Duuuu, mir wird’s gerade alles ein bisschen zu viel, ich merke einfach gerade total, dass ich einen Abend auf dem Sofa brauche.« Die befremdete Lippenstiftträgerin hatte sich damit nicht nur selbst mühsam vom eigenen Sofa hochgequält, sondern stand nun auch noch vor einem klaffenden Loch im durchgetakteten Sozialleben. Was blieb, war eine neue Kultur, die sich rasend schnell ausgebreitet hat. Man sagt einfach kurz vor einem fest verabredeten Termin: »Duuuu, ich fühle mich nicht danach.«

Das ist schön und gut, und convenient, aber dann passiert es eben auch, dass man auf einmal selbst allein auf der eigenen Geburtstagsparty sitzt und einem nur noch die fünf Kästen Bier Gesellschaft leisten, die man gerade noch schwitzend in den fünften Stock geschleppt hat. Und es gibt noch ein Problem mit dieser Neuentdeckung: Die Emanzipation von gesellschaftlichen Verbindlichkeits-Konventionen funktioniert nur, solange die jungen Menschen unter sich bleiben.

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Die Elterngeneration brüskiert es nicht nur, dass ihre Bedürfnis-Kids kurzfristig absagen. Viel problematischer ist, dass sie dabei die Wahrheit sagen. Bei den Boomern gehört es schließlich zum guten Ton, beim Absagen routiniert Krankheiten zu simulieren. Die Ausrede »Halskratzen« war in dieser Hinsicht während Corona ideal.

Die eigene Fragilität immer vorn anstellen

Jetzt wird ein Geheimnis gelüftet: Das Problem der Boomer ist nicht, dass die Gen-Z faul ist, sondern dass sie für ihre Bedürfnisse einsteht. Die Bedürfnis-Kids haben sich derweil mit dem rätselhaften Selbstbewusstsein der Ampel-Bundesregierung zur Fortschrittsgeneration erklärt. Und natürlich haben sie auch schon ihre eigene rigide Etikette. Ein Geburtstagskind muss auf eine Absage immer verständnisvoll reagieren.

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»Duuu, ich schaff's einfach gerade nicht.« – »Klar, Mausi, achte da auf dich.«

Drängeln und Quengeln wären nicht nur ein Fauxpas, sondern schon eine Grenzüberschreitung. Man ist nicht nur selbst dafür verantwortlich, die eigenen Grenzen zu kennen und für diese einzustehen, sondern alle um einen herum sind ebenfalls damit beauftragt, diese Grenzen jederzeit zu achten. Die eigene Fragilität immer vorn anzustellen, kann als ein Anhängsel des kulturellen Fortschritts der Identitäts-Bewegung gesehen werden. Sie hat eine neue Sensibilität manifestiert, in der es heißt »me, myself and I first«.

Der Fokus auf die eigenen Bedürfnisse kommt aber auch noch aus einer anderen Richtung. Psychologische Fachbegriffe sind IN. Da kann man als Boomer jetzt auch wieder mit verdrehten Augen den allseits verrufenen Gen-Z-Stempel draufdrücken, oder es als eine natürliche Reaktion auf eine Welt sehen, in der an jeder Ecke der Burn-out lauert.

Denn ja, diese jungen Menschen fühlen sich zu Recht fragil: Sie sind umgeben von Krisen, Kriegen und dem Verlust der Hoffnung auf eine immer besser werdende Welt. Aber auch, wenn nichts über das Bling-Bling einer gepflegten Runde Selbstmitleid geht, wollen wir hier ausnahmsweise mal nicht zu weinerlich werden. Ohne jetzt jemandem seine Bedürfnisse absprechen zu wollen: Eine disziplinierte Souveränität im Umgang mit eben diesen macht jedes gemeinsame Projekt überhaupt erst möglich. Und wir haben Großes vor.

Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°27 erschienen.