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Betr.: Sozialökologie Linker Ersatztraum

Der notwendige Umbau zum grünen Kapitalismus braucht das ideologisierende Etikett „Sozialökologie“ nicht. Er ist blanke Realpolitik.

Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist der erste Schritt auf dem Weg in eine postfossile Gesellschaft picture alliance/dpa

taz FUTURZWEI | Der taz FUTURZWEI-Chefredakteur ermunterte den Kolumnisten, in seinen Politikanalysen künftig stärker den Bezug zu Sozialökologie herzustellen, hier als Chiffre gemeint für emissionsfreie Wirtschaft und Gesellschaft. Sozialökologie soll durch Politik und Marktwirtschaft Lebensgrundlagen, Demokratie, Sozialstaat und Freiheit bewahren, auf verschiedenen Ebenen Gerechtigkeit voranbringenund kann in dieser Hinsicht gern auch als das „linke Projekt“ auf Höhe der Zeit verstanden werden. Hier die Antwort.

Vielen Linken ist ihr Traum vom Sozialismus als der Alternative zum Kapitalismus mit den Verbrechen der Kommunisten für immer delegitimiert worden. Weil aber das Leben in den Untiefen eines demokratisch eingehegten Kapitalismus dennoch immer weiter einer „Alles machbar-Modernisierung“ ausgeliefert ist, werden neue Begriffe gebraucht, neue ideologische Denkmodelle, die das unerlöste Hoffen auf ein ganz anderes, ewig gerechtes Leben fortschreiben. Ein solcher Begriff ist die Sozialökologie. Er beinhaltet die Vorstellung von einer sich im Kreislauf immer wieder selbst und ohne Schäden an Natur und Umwelt neu zusammenfügenden Welt aller lebendigen Kreaturen inklusive der Menschen.

Dieser Begriff ignoriert die Chancen für das Umsteigen in einen grünen Kapitalismus als weiteren Modernisierungsschritt der Zivilisation. Im Zentrum dieses Umstiegs steht die Aufgabe, für das Überleben der menschliche Zivilisation Techniken eines natürlichen Ressourcengebrauchs zu entwickeln, die weniger zerstörende Folgen haben.

Ein erster Schritt dahin ist es, die Energieversorgung jenseits des Gebrauches der fossilen Brennstoffe neu aufzustellen, um die Klimakrise einzudämmen. Schon dieser erste Schritt erzeugt Verdruss, wegen der lebensweltlichen Zumutungen und der unvermeidbaren Verluste, die damit verknüpft sind. Viele machen die demokratisch legitimierte Politik dafür verantwortlich, vor allem die der Grünen, die diesen Modernisierungsprozessen Gestalt und Struktur geben. Sie wenden sich den Populisten zu. Sie sind nicht bereit, ihr im Sozialstaat tief und gegen viele Risiken abgesichertes Leben in Frage stellen zu lassen. Sie setzen auf autoritäres Absichern des Status quo.

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Notwendige Reformen nicht nur in der Wirtschaftspolitik

Die Politik aller Parteien hat bisher die vom Umsteigen erzeugten Wirkungen mit der Behauptung weggeredet, der Wandel würde für alle schmerzfrei ablaufen. Auch deshalb gibt es bei keiner Partei ein Politikangebot, in dem der Umbau aller wirtschaftlichen Kernbereiche mit einer Reformagenda in der Sozial- und Gesellschaftspolitik verknüpft werden würde.

Eine solche notwendige Reformagenda brauchte zu seiner Legitimation kein – den Umbau ideologisierendes – „sozialökologisches“ Etikett. Bei einer solchen Reformagenda ginge es allein darum, mit struktureller Sozialpolitik und an die Problemlagen angepasster Gesellschaftspolitik das Leben der Bürger in die Dramatik des Umsteigens in den nachfossilen Kapitalismus stabilisierend einzupassen.

Das sozialdemokratische Dogma vom Zuschütten aller Verluste an Sicherheit im Umbau mit immer mehr Geld pflegen auch die Grünen, doch es hilft hier nicht weiter. Für diesen Weg werden nie ausreichend Mittel zur Verfügung stehen. Jeder Euro mehr für sozialen Ausgleich wird ganz schnell wieder als einer zu wenig gesehen.

Eine neue Gestalt des Sozialstaates könnte dagegen von der bloß finanziellen Milderung individueller Lasten weggehen und von der öffentlichen Absicherung der Grundbedürfnisse im Alltagsleben bestimmt sein.

Ein neuer Sozialstaat

Wohnen, Wärme, Energie für die der privaten Haushalte, Mobilität und die würdevolle Versorgung der Alten sind solche Grundbedürfnisse. Sie wären als öffentliche Güter jenseits der privaten Märkte neu aufzustellen. Sichere Versorgung mit diesen Grundbedürfnissen des Alltagslebens könnte eine stabile Grundlage bilden, um die aktuelle Verunsicherung der Bürger beim Umsteigen in die nachfossile Welt einzudämmen.

So könnten die Kommunen, zum Beispiel durch den Neubau ganzer Stadtteile, Zukauf und auch durch die Verstaatlichung großer privater Wohnungsbestände, einen stabilen Sockel für bezahlbares Wohnen schaffen. Die Wärme- und Energieversorgung aus regenerativen Quellen in der Hand der Kommunen könnte in diesem Bereich für stabile Kosten für alle sorgen. Mit der dauerhaften Verstetigung des 49-Euro-Tickets, dem Verzicht auf den Ausbau von Straßen und Autobahnen und stattdessen dem Ausbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur könnte für eine erneuerte städtische Lebenskultur für alle gesorgt werden.

Die Versorgung der Alten beim Wohnen und der Gesundheit als öffentliche Aufgabe könnte Altersarmut speziell von Frauen, Einsamkeit und die offene Altersdiskriminierung reduzieren.

Angst vor Krieg und Zuwanderung

Zu einer neu begründeten sozialen Sicherheit beim Umsteigen in die nachfossile Zivilisation gehören auch zwei gerade besonders belastende Politikfelder, die Migration und die Sicherung der freiheitlichen Demokratien des Westens in den Systemkriegen. Zur Reduzierung der von ungeregelter Zuwanderung ausgelösten Ängste wird es notwendig sein, dass Zuwanderung gesteuert werden kann. Bund und Länder scheinen hier erste Schritte in diese Richtung einzuleiten und alle Parteien werden am Ende zustimmen, auch die Grünen.

In den Systemkriegen, in die die freiheitlichen Demokratien in der Ukraine, in Israel und sehr wahrscheinlich auch bald in Taiwan hineingezwungen werden, geht es darum, Chancen auf eine vernunftgeleitete freiheitliche Politik für die Zukunft der Zivilisation zu sichern. Dazu werden eine umfassende Aufrüstung und auch das Kämpfen an der Seite der USA und der anderen Demokratien gehören.

Die Finanzierung eines solchen Programms zur Absicherung des Umstiegs aus den öffentlichen Haushalten braucht viel finanzpolitische Phantasie und die politische Bereitschaft, über höhere Abgaben für alle Bürger nicht nur nachzudenken.

Eine solche Agenda zur Absicherung des Umstiegs hat mit Sozialökologie nichts zu tun. Sie ist blanke Realpolitik. Im Augenblick allerdings wird in diesen Gesellschaftsfeldern von allen Parteien nur in ihren traditionalistischen Bezügen weitergewurstelt. Wenn das so bleibt, dann wird der grünen Wirtschaftspolitik, die den Umbau ins nachfossile Wirtschaften erfolgreich eingeleitet hat, weiterer Handlungsraum entzogen.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.