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Kopftuchstreit Verschleierter Verstand

Aus Angst vor Strafen im Jenseits entschied Noha Mahmoud im Alter von 11 Jahren, Kopftuch zu tragen. Als sie es als junge Frau ablegte, brach die Hölle los.

Ich bin eine schöne und vor allem „tazzige“ BU – Ich habe keine Interpunktion hier am Ende Ella Wellensittich/WikiDings

Von NOHA MAHMOUD

24.06.21 | Um mich mit meiner Familie nicht zu überwerfen hatte ich einen Schal über meine Haare gelegt bevor ich vor die Kameras trat. Ich war im Studio eines Fernsehsenders, von wo aus ein Liveprogramm zum Weltfrauentag gesendet wurde. Als mich der Moderator fragte, ob Frauen das Kopftuch von ihren Familien aufgezwungen würde, antwortete ich mit einem Lächeln: „Ich habe diese Kopfbedeckung nur wegen meiner Familie auf und werde sie nach dem Ende der Sendung wieder ausziehen.“

Ich war elf Jahre alt, als ich mich entschied, ein Kopftuch zu tragen. Bereits damals war ich eine leidenschaftliche Leserin und meine Begeisterung machte auch vor religiösen Büchern nicht halt. Auch wenn meine Familie nicht fromm war und niemand die fünf Pflichtgebete verrichtete, genoss Religion doch einen hohen Stellenwert.

In der Kleinstadt im Süden des Iraks, wo ich aufwuchs, gab es nur wenige Buchläden und für junge Frauen schickte es sich nicht, sie zu betreten. So kam es, dass ich jeden Besuch bei Verwandten und Freunden nutzte, um mich nach Lesestoff umzusehen. Dort fand ich nicht nur Kinderbücher, die ich wegen ihrer naiven Direktheit nur wenig mochte, sondern auch Prophetengeschichten und Koranauslegungen.

Die Angst vor Strafen

Ich war noch jung und las um des Lesens willen, auch wenn sich mir der Sinn oft nicht erschloss. Aber die Beschreibungen der fürchterlichen Strafen, die nach dem Tod warteten, jagten mir solche Angst ein, dass ich beschloss, ein frommer Mensch zu werden und ein Kopftuch zu tragen.

Mein Familie freute sich über meine Entscheidung und meine Mutter, die bis zu diesem Zeitpunkt ihre traditionelle Abaya, ein weit geschnittenes Überkleid, als angemessene Bekleidung empfunden hatte, begann ebenfalls, ihr Haar zu bedecken. So kam es, dass ich bereits wenige Jahre später, ich war kaum sechzehn Jahre alt, von meinem Umfeld als Autorität in religiösen Fragen wahrgenommen wurde.

Auch wenn ich weiter unermüdlich las und mir neue Themen wie die Theorie der Koranexegese erschloss, war mein Lesen doch ein unkritisches. Der große Respekt vor dem Heiligen setzte meinem Denken enge Grenzen, bis ich Mitte zwanzig begann, andere Bücher zu lesen – hauptsächlich Literatur.

Doppelte Verschleierung

Als sich mein intellektueller Horizont weitete und ich anfing, mir eigene Meinungen zu bilden, begann mein Ringen mit der doppelten Verschleierung: der des Kopfes und der des Denkens. Ich wollte die von der Religion gesetzten Grenzen nicht länger akzeptieren und begann Fragen zu stellen. Warum trug ich dieses Symbol der Erniedrigung auf meinem Kopf? Ich war diejenige, die hier erniedrigt und auf ihre Rolle als Lustobjekt reduziert wurde. Ich gehörte nicht mir selbst, sondern den Männern.

Was waren das nur für Geschöpfe, die ihre Impulse so wenig unter Kontrolle hatten, dass bereits eine Strähne meines Haares genügte, um sie zu erregen?

Merkwürdig war dieser Kampf, der in meinem Inneren mit äußerster Härte ausgetragen wurde. Die tradierten Wertvorstellungen, mit denen ich aufgewachsen war, wollte mein Verstand nicht länger akzeptieren, und weil diese Vorstellungen nicht nur den Kopf sondern auch das Denken verschleierten, musste ich zuerst die Fesseln meines Verstandes sprengen.

Meist stritt ich nur mit mir selbst, manchmal aber auch mit Freundinnen oder Kolleginnen, die mir dann unterstellten, ich sei vom Glauben abgefallen. Dieser Vorwurf jagte mir Angst ein. Machte mein Hass auf das Kopftuch wirklich eine Ungläubige aus mir?

Endlich frei Atmen

Später heiratete ich dann einem Mann aus Bagdad, wo man in Fragen weiblicher Kopfbekleidung flexibler als im Süden war, sodass es plötzlich möglich erschien, das Kopftuch abzulegen. Am Abend vor meinem 28. Geburtstag, überwältigt vom Gefühl mein bisheriges Leben nicht wirklich gelebt zu haben, traf ich die Entscheidung, es auch zu tun.

Nachdem ich in der Nacht kein Auge zugetan hatte, zog ich mich am nächsten Morgen an und schminkte mich so dezent, dass man es kaum sah. Auf der Türschwelle blieb ich stehen. Ich zitterte. Einen Moment lang wollte ich zurück ins Haus gehen und mir einen Schal über den Kopf legen, dann ging ich einen Schritt nach vorn.

Anfangs fühlte es sich so an, als würde meinem Körper etwas fehlen, so sehr war das Kopftuch Teil von mir geworden. In manchen Momenten kam ich mir so nackt vor, als hätte ich kein Kleidungsstück am Leib. Dann entschied ich, diese Gefühle ein für alle Mal zu verbannen, um endlich frei atmen zu können. Der Geruch der Angst, der mein ganzes Leben lang in der Luft gelegen hatte, war plötzlich verschwunden. „Jetzt habe ich eine Heimat“, sagte ich mir.

Heimat als falsches Gefühl der Sicherheit

Heimat ist nämlich nicht nur ein Stück Land auf dem wir leben, sondern auch eine Vorstellung. Heimat ist ein Gefühl von Sicherheit, aber uns Frauen wurde seit frühester Kindheit gesagt, dass es für uns und unsere schandhaften Körper keine Sicherheit geben könne. Akzeptiere deine Schande und bedecke sie mit einem Kopftuch – oder kämpfe, wenn du stark genug bist!

Ich muss zugegeben, dass es Phasen großer Schwäche in meinem Leben gegeben hat. Stark wurde ich erst, als ich meine Heimatstadt verließ und nach Bagdad zog, wo ich mit einen Mann an meiner Seite lebte, dem meine Kopfbedeckung egal war.

Bis zu meinem Fernsehauftritt wusste meine Familie im Süden nicht, dass ich kein Kopftuch mehr trug. Ich wollte den Mut, der mich während der Sendung überkam, nicht ungenutzt lassen, und sprach alles aus, was mir auf dem Herzen lag, während mir alle meine Verwandten live zuschauten. Dann brach die Hölle los: Meine Mutter verstieß mich und der Ehemann meiner Schwester ließ sich von ihr scheiden. Eine unverschleierte Schwägerin, die ihre Meinung im Fernsehen herausposaunte, war für ihn untragbar. Niemand machte sich die Mühe, meine Position anzuhören.

Ich hatte Schuldgefühle gegenüber meiner Schwester, auch wenn ich wusste, dass sie unbegründet waren. Der eigentliche Schuldige war dieses religiöse Komplott gegen uns Frauen, das uns schon seit uralter Zeit zu Opfern macht.

Mit Vorwürfen überschüttet

Ich trennte mich von meinem Mann und zog bei einer Freundin ein. Dann versuchte ich, eine eigene Wohnung zu finden, was sich für eine unverschleierte Frau ohne männliche Begleitung als unmöglich herausstellte. Für die Vermieter war meine Situation gleichermaßen unverständlich wie furchteinflößend.

Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als einen meiner Brüder anzurufen, der sich nach langem Betteln dazu bereit erklärte, zu mir nach Bagdad zu kommen. Wie erwartet, überschüttete er mich mit Vorwürfen und verlangte von mir, mit ihm in unsere Heimatstadt zurückzukehren und wieder ein Kopftuch zu tragen. Das lehnte ich energisch ab, woraufhin er meine Bitte um Hilfe bei der Wohnungssuche endgültig ablehnte.

Die Lösung fand schließlich ein Freund, der mich mittels eines gefälschten Ehevertrags zu seiner zweiten Frau machte, was aber gleich ein neues Problem aufwarf: Da mein Gehalt als Lehrerin kaum reichte, die Miete zu bezahlen, brauchte ich ein zweites Einkommen. Ich begann daher für verschiedene irakische Zeitungen zu schreiben. Kurzgeschichten, Reportagen. Meine Texte erschienen auch in einer libanesischen und einer kuwaitischen Zeitung.

Dann bot mit ein Fernsehsender eine Stelle als Moderatorin an. Als geschiedene Frau war ich nicht nur am Arbeitsplatz sondern auch in Literaturkreisen zahllosen direkten und auch indirekten Belästigungen ausgesetzt.

Mit meiner Familie hatte ich erst wieder Kontakt, als ich ein zweites Mal heiraten wollte. Natürlich trug ich ein Kopftuch und die traditionelle Abaya als ich sie besuchte, denn in dieser Stadt ist kein Platz für unverschleierte Frauen. Sie stimmten der Heirat schließlich unter der Bedingung zu, dass ich sie nie wieder mit irgendwas belästigen würde. Und verkündeten, dass unsere Beziehung ab diesem Moment nur noch eine Fassade für die Leute sei. Und genau so ist es bis heute.