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Anders Levermann im Interview Wir verbieten nicht das Fliegen

Der Physiker Anders Levermann will die kapitalistische Marktwirtschaft durch fünf Grenzen „falten“ und damit nicht-zerstörerisches Wachstum schaffen. Wie soll das genau gehen?

»In der Begrenzung schafft man Neues«: Anders Levermann Foto: Anja Weber

taz FUTURZWEI: Herr Professor Levermann, Sie haben mal in taz FUTURZWEI geschrieben: »Es ist wirklich furchtbar, dass wir der jungen Generation als einzige Utopie die Verhinderung einer Katastrophe bieten können.« Ist Ihr Buch die Antwort darauf?

Anders Levermann: Die Faltung der Welt ist tatsächlich kein übliches Klimabuch. Die Überlegung war, wie eine Welt aussehen könnte, die ich meinen Kindern wünsche. Das Ergebnis ist eine Kombination, Sachen zu erhalten und Sachen zu implementieren, die wir uns mal vorgenommen haben, um dann im Einklang mit diesem Planeten leben zu können.

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Das Buch: Die Faltung der Welt. Wie die Wissenschaft helfen kann, dem Wachstumsdilemma und der Klimakrise zu entkommen. Ullstein 2023 – 272 Seiten, 23,99 Euro

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Durch das, was Sie Faltung nennen, soll Wachstum möglich sein, das nicht zerstörerisch ist. Wie soll das funktionieren?

Faltung entsteht, wenn man eine Grenze setzt in einem System, das voranschreiten möchte.

Dann faltet das System seinen Weg und durchsucht andere Bereiche nach Möglichkeiten.

Wenn wir wachsen wollen, weiter voran wollen, aber die planetaren Grenzen der Erde künftig akzeptieren, dann werden wir freiheitliche Möglichkeiten finden, uns in diesen Grenzen weiterzuentwickeln.

Sie sagen, die Faltung sei ein mathematisches Prinzip. Inwiefern?

Eher ein mathematisches Konzept. Es gibt viele unterschiedliche Bereiche, wo sie existiert, und alle haben die gleiche Mathematik. Ein System, das unendlich voranschreiten möchte, stößt an eine Grenze und fängt daher an, sich zu falten. Das ist in der Ökonomie und Ökologie so, aber auch in der Kunst und Kultur.

Wie genau läuft das in der Kultur?

Jede Generation versucht, eine neue Kultur zu schaffen, um sich von früheren Generationen abzugrenzen. Das passiert in einem endlichen Raum; in der Musik können wir nur bestimmte Töne hören, und trotzdem schafft man in der Begrenzung immer wieder Neues.

Anders Levermann

Der Mann: Physiker und Leiter der Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Lehrt an der Columbia University in New York. Als Koautor des IPCC-Klimaberichts Friedensnobelpreisträger.

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Was ist der Unterschied gegenüber Modellen wie Degrowth und Green New Deal?

Wenn wir in der Vergangenheit aus moralischen Gründen in einen Regulationsmodus gegangen sind, haben wir Wirtschaft und Individuen den Weg vorgeschrieben. In manchen Bereichen muss man das auch machen. Das Problem ist, dass dabei nicht unbedingt die besten Lösungen rauskommen, wenn man die Lösungsfindung dem Planer oder Regulator überlässt. Wenn man große Grenzen zieht, kann die Gesellschaft die Lösungen finden.

Was ist eine große Grenze?

Wir verbieten nicht das Fliegen, sondern den CO2-Ausstoß.

Wie komme ich dann künftig nach Kalifornien, wenn es keinen CO 2 -Ausstoß mehr gibt?

In den nächsten Jahren kommen Sie nicht ohne CO2-Ausstoß nach Kalifornien, aber wenn wir die Grenze setzen, dass es in zwanzig Jahren keinen CO2-Ausstoß mehr geben darf, dann gibt es entweder Flugzeuge, die ohne CO2 fliegen oder der Brennstoff wird über Sonnen- und Windenergie CO2-neutral hergestellt. Das kostet unglaublich viel Energie, aber für die wenigen Dinge, die wir noch nicht ohne CO2-Ausstoß hinkriegen, kann man das vielleicht machen.

Das werden teure Flüge?

Ja, vielleicht, aber ein E-Auto zu laden, ist viel billiger, als einen Verbrenner zu betanken.

Sie identifizieren fünf zentrale Faltungen, Ende des CO 2 -Ausstoßes ist eine?

Ja, die vollständige CO2-Nullemission bis 2045 ist im Grunde bereits implementiert mit dem Emissionshandel, nur nicht schnell genug und noch unvollständig. Die zweite Faltung ist der vollständige Stopp von Rohstoffabbau. Da werden viele Unternehmen schreien, dass das nicht geht und sie bankrott gehen. Aber auch wenn es unendliches Wachstum auf einem Planeten geben kann, so kann es doch unendlichen Ressourcenverbrauch nicht geben, denn Materie ist nun mal endlich. Das Einzige, was von außerhalb des Planeten dazukommt, ist Sonnenlicht, also Energie.

Es wird trotzdem bezweifelt, dass wir genügend erneuerbare Energie herstellen können, um den Bedarf zu stillen. Sie brauchen ja auch noch große Mengen für vollständiges Recycling. Wo soll das alles produziert werden?

Naja, die Lösungen werden im Weltklimabericht, Arbeitsgruppe III, seit Jahrzehnten dargestellt. Es ist überhaupt nicht zweifelhaft, dass die Erneuerbaren ausreichen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine Effizienzexplosion gesehen, wie es sie in dieser Zeit nicht mal bei den Computern gab. Da bin ich zuversichtlich. Die Frage ist, wie man das implementiert. Mache ich einen planwirtschaftlichen Ansatz – das könnte man beim Energiesystem machen – oder sagt man einfach, dass es in zwanzig Jahren keinen CO2-Ausstoß mehr geben wird und die Firmen, die jetzt mit Kohle, Gas, Öl arbeiten, sich entsprechend selbst umorientieren können. Die dürfen sich dann aber auch nicht beschweren, wenn sie es nicht tun. Wer die Grenze nicht ernst nimmt, muss dann einfach friedlich bankrottgehen, wenn sie da ist.

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taz FUTURZWEI N°27: Verbrauchte Ziele

Das 1,5 Grad-Ziel ist verloren, das 2 Grad-Ziel wohl auch. Braucht es einen Strategiewechsel und wie sieht der aus?

Wir machen Ernst IV, Schwerpunkt: Klimaziele

Mit Lea Bonasera, Kirsten Fehrs, Dana Giesecke, Jonathan Franzen, Anders Levermann, Wolf Lotter, Belit Onay, Katja Riemann – und natürlich Harald Welzer.

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Zu den ökologischen kommen noch drei soziale oder wirtschaftliche Faltungen. Warum?

Bestimmte Rechte, auf die wir uns geeinigt haben und die wir ins Grundgesetz geschrieben haben, verlieren wir aufgrund von Selbstverstärkungsprozessen im Wirtschaftssystem. Zum einen ist die Souveränität der Gesellschaft infrage gestellt, wenn Unternehmen größer werden als Staatshaushalte. Wenn man das als Gesellschaft nicht möchte, kann man die Unternehmensgröße beschränken, nicht über Einzelfälle durch Kartellämter, sondern als Teil eines dynamischen Systems über Steuern.

Wie soll das genau funktionieren?

Wenn die Steuer ein Unternehmen ab einer gewissen Größe einfach unwirtschaftlich macht, dann werden die Anteilseigner diese Unternehmen in kleinere aufspalten. Damit verstärkt sich der Wettbewerb. Mit Amazon kann man nicht mehr konkurrieren, aber mit einem Teil von Amazon als unabhängiges Unternehmen schon. Das muss man wohl – solange das keine globale Regel ist – mit einem erweiterten Lieferkettengesetz kombinieren, das sagt, dass man in einem Land nur Produkte verkaufen darf, die nach den geltenden Gesetzen des Landes hergestellt werden. Ich finde das als weitere Faltungsgrenze sehr naheliegend.

Und damit zum besonders heiklen Bereich: Geld verdienen und vererben.

Wir haben uns als Gesellschaft mal auf Chancengleichheit geeinigt. Das wird durch enorme Reichtumsunterschiede infrage gestellt. Gleichzeitig brauchen wir aber auch ein Anreizsystem, was Verstaatlichung von Produktionsgütern und Planwirtschaft nicht liefern können. Deshalb sollten wir darüber nachdenken, ob es einen maximalen Unterschied zwischen dem größten und niedrigsten Einkommen gibt.

Von wie viel sprechen wir?

Die Schweiz hat da vor ein paar Jahren schon mal drüber abgestimmt. Damals war ein Faktor 12 angedacht. Das scheint mir zu wenig. Wenn man aber den Gedanken durchspielt, dass jemand maximal hundertmal mehr verdienen kann als ein anderer, dann würde das bei Minimaleinkommen von 20.000 Euro ein Maximum von zwei Millionen bedeuten. Das bedeutet enormen, aber keinen demokratiegefährdenden Reichtum wie in den Fällen von Bezos oder Musk. Damit man das Geld nicht über die Generationen ansammelt, kann man überlegen, ob man eine Maximalsumme an eine Person vererben kann.

An wie viel denken Sie?

Maximal zwei Millionen an eine Person, bei zwei Kindern sind das schon vier Millionen, und dann kann man weitere zwei Millionen jeweils an andere Organisationen und andere Menschen vererben. Wenn man diese fünf zusätzlichen Faltungsgrenzen einführen würde, würde sich wohl für 99 Prozent der Leute direkt nichts ändern, aber wir würden die Gesellschaft beieinander halten und gewährleisten, dass die Gesetze des Landes und der EU auch eine Wirksamkeit haben und die Wirtschaft als Teil der Gesellschaft nicht mächtiger wird als die demokratischen Einheiten.

Inwiefern sind die sozialen Faltungen für die Stabilisierung des Klimas wichtig?

Indirekt. Wenn unsere demokratischen und Rechtssysteme zerstört werden, haben wir nicht mehr die Möglichkeiten, den Klimawandel zu managen. Das Klimaproblem können wir aber erstmal auch ohne die anderen lösen.

Ein zentrales Problem unserer gegenwärtigen Praxis, das die Faltung lösen soll, ist das Prinzip der Selbstverstärkung, das ökologisch und ökonomisch problematisches Wachstum produziert. Was heißt das?

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Selbstverstärkung ist ein simples mathematisches Prinzip und allgegenwärtig. Wenn man auf dem Sparbuch 3 Prozent Zinsen bekommt, verdoppelt man in 30 Jahren sein Sparvermögen. Das ist nicht schlimm. Aber wenn man auf dem Finanzmarkt 3 Prozent pro Nanosekunde bekommt, dann hat man in einer Mikrosekunde so viel wie der Sparer in 1.000 Jahren bekommen hat. Dieser Nanosekundenhandel hat die Zeitskala einer Atombombe und entsprechend wirkt er.

Der Kapitalismus ist nicht das zentrale Problem, nur da, wo er selbstverstärkend ist?

Der Kapitalismus ist fundamental selbstverstärkend. Das wird dann ein Problem, wenn die Selbstverstärkung zur Explosion wird, wie ich das gerade beschrieben habe. Wenn man das durch eine harte Grenze verhindert, hat man diesen Antrieb des marktwirtschaftlichen Kapitalismus gebändigt und behält die Innovationskraft.

Mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 verpflichtete sich die Weltgesellschaft, die Erderhitzung auf »möglichst 1,5 und maximal 2 Grad« zu begrenzen. Sie tut aber nichts oder viel zu wenig dafür oder agiert zu langsam. Die 1,5 Grad sind verloren, oder?

Die 1,5 Grad sind jetzt schon so nah, dass die USA innerhalb von drei bis fünf Jahren CO2-neutral sein müsste, um das zu schaffen. Das ist physikalisch nicht unmöglich, scheint aber sozioökonomisch nicht machbar zu sein. Der Oktober hat dieses Jahr die 1,5 Grad sogar schon gerissen.

Die 2 Grad sind auch nicht mehr realistisch?

Doch, die 2 Gradsind noch machbar, dafür müssten wir bis zur Mitte des Jahrhunderts als Weltgesellschaft auf null Emissionen sein. Die USA und Europa haben das als Ziel bis 2045.

Reduzieren der Emissionen hilft nicht?

Genau das ist das Entscheidende: Man kann die Temperatur des Planeten – egal auf welchem Niveau – nur stabilisieren durch einen vollständigen Emissionsstopp. Wir müssen das also sowieso machen. Es geht nur mit einem Strukturwandel. Wir müssen bis zur Mitte des Jahrhunderts vollständig aufhören, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen.

Sind wir zu sehr auf 1,5 und 2 Grad fixiert und sollten wir, das ist die Frage dieses Heftes, schleunigst hin zur konkreten Anpassung von Städten, Gemeinden, Infrastrukturen zum Umgang mit zunehmender Hitze, Dürre, Überschwemmungen?

Wir haben nicht den Luxus des Entweder-oder. Die Anpassung an den bereits verursachten Klimawandel und der Klimaschutz müssen beide passieren. Selbstverständlich müssen wir uns anpassen und auf die zunehmenden Wetterextreme vorbereiten. Aber wenn wir nicht gleichzeitig einen Strukturwandel zu erneuerbaren Energien schaffen, werden wir diesen Anpassungswettlauf mit dem Klima verlieren.

Wenn wir alle fossile Energie aus dem Boden holen und verbrennen, womit man beim Menschen ja auch rechnen muss, wird sich die globale Durchschnittstemperatur um bis zu 15 Grad erhöhen. Das ist dann aber das Ende unserer Spezies?

Das weiß ich nicht vorherzusagen. Es wird die Gesellschaften nicht mehr geben, wie wir sie kennen. Es wird bei unbegrenztem Klimawandel irgendwann keine Demokratie und keinen Rechtsstaat mehr in Deutschland geben. Es kann aber schon sein, dass es dann noch Gebiete gibt auf der Erde, wo Menschen leben können.

Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 in taz FUTURZWEI N°27 erschienen.