Union Berlin in der Champions League: Erwachsener Auftritt

Ganz Madrid staunt über den kuriosen Tross aus Köpenick, der da zur Königsklassen-Premiere gepilgert ist. Wie üblich gewinnt am Ende Real.

Real Madrids Rodrygo im Zweikampf mit Unions Diogo Leute

Tackling Diogo Leite – Real Madrids Rodrygo bekommt Unions Einsatzwillen zu spüren Foto: reuters

MADRID taz | Champions League rot-weiß – das hieß aus deutscher Sicht immer nur FC Bayern. Bis am späten Mittwochnachmittag eine entsprechend verkleidete Kolonie aus Köpenick am Champions-League-Ort schlechthin einfiel, dem Estadio Santiago Bernabéu von Real Madrid. Die einheimische Kundschaft reagierte einigermaßen verblüfft auf die neue Besucherspezies, die definitiv ein anderes Lärmvolumen an den Tag legte als die gewohnheitsrechtlich anreisenden Münchner.

In einem überwältigenden Crescendo schmetterten die Gästefans ihr „Eisern Union“, eher hilflos pfiff der Rest des Stadions bisweilen gegen sie an. Wirklich lauter wurde er bloß einmal, bei Reals hausüblich spät getimtem 1:0-Siegtor durch Jude Bellingham in der Nachspielzeit.

Dabei waren natürlich auch in Madrid viele schon ansatzweise informiert über diesen kuriosen Außenseiter aus dem Südosten Berlins. Vor allem die Geschichte, wie die Anhänger mit eigenen Händen ihr Stadion bauten, fasziniert international. Ebenso, dass ein Stadtteilklub in der Hauptstadt des mächtigen Deutschland den traditionsreicheren und investorengepimpten Nachbarn Hertha BSC so gekonnt an der Nase herumführt und ihm durch den fulminanten Aufstieg aus der Zweiten Liga in die Champions League längst den Rang abgelaufen hat.

Und ja, auch vom unangenehm zu spielenden Fußball der Combo von Urs Fischer hatten die meisten irgendwas gehört oder gelesen. Insofern gab es im Bernabéu dann Vintage-Union zu bestaunen. Als wegen des frühen Anpfiffs um 18.45 Uhr noch Sonnenstrahlen durch die Ritzen der silbrigen Außenhülle des runderneuerten Fußballtempels fielen, als vor dem Gästeblock bei immer noch fast 30 Grad die Nerven wegen Einlassverzögerungen recht blank lagen und Fans beider Seiten in nicht zitierfähigen Beleidigungen aneinander vorbeischimpften, da brachte Union sein ganzes Standardrepertoire zur Aufführung.

Die Fans sangen ihre größten Hits, und auf dem Platz baute die Fischer-Elf anfangs einen so formvollendeten Riegel auf, dass ihr Trainer die Darbietung später als „sehr erwachsen“ bezeichnete.

Italienischer Betonmischer

Union führte dabei allerdings auch ein neues Produkt im Sortiment: „Betonucci“. So taufte der Berliner Boulevard den grimmigen Abwehrhaudegen Leonardo Bonucci, der als stolzer Malocher bestens in die Mannschaft passt und außerdem noch seine bekannte Klasse im Aufbau und das Flair der großen Fußballwelt einbringt. Bei seinem ersten Einsatz für Union, aber gewiss nicht in der Champions League – da kam er vor dem Match auf fast so viele Partien wie der übrige Kader zusammen – brillierte er gleich als Abwehrchef.

Leonardo Bonucci, Betonmischer aus Italien, erklärt seinen Landsleuten Union

„Unsere Werte sind, um jeden Ball zu kämpfen, und dass jeder für den anderen spielt“

Auch ohne echte Sommervorbereitung nach seiner Ausbootung bei Juventus Turin zeigte er eine solche Präsenz, dass Nebenleute und Torwart mit jeder Minute mehr zu neuen Chiellinis und Buffons zu wachsen schienen.

Wo Chiellini, 39, mittlerweile in Hollywood bei Los Angeles FC verteidigt und Buffon, 45, kürzlich dann doch mal die Handschuhe entsorgte, ist Bonucci, 36, ganz offenkundig nicht zur Frühverrentung nach Köpenick gekommen. Das demonstrierte er nicht nur in seinen Taten, mit der „gewünschten Erfahrung“, seiner „Spieleröffnung“ und „Antizipation“ (jeweils Fischer) sowie einer makellos erfolgreichen Zweikampfbilanz ohne Fouls und manch heroischem Block.

Sondern auch in Worten. „Unsere Werte sind, um jeden Ball zu kämpfen, und dass jeder für den anderen spielt“, erklärte er die Union-Fabel später seinen italienischen Landsleuten. Nur das mit dem Deutsch sei halt noch ein bisschen schwierig: „Für den Moment regeln wir es auf Englisch“.

Ohne ihn aber konnte es am Mittwoch keiner mehr regeln. Reals Siegtor nach zuvor schon besten Chancen (Latte Rodrygo, Pfosten Joselu) fiel, nachdem Talisman Bonucci in der 80. Minute angeschlagen vom Feld musste – auf eigene Veranlassung, wie Fischer eilig betonte. Bellingham staubte nach diversen Karambolagen just aus der Zone direkt vor dem Tor ab, die Bonucci zuvor immer so entschlossen gesäubert hatte.

Das 1:0 restaurierte zugleich die angestammte Ordnung zwischen Rekordtitelträger und Debütant. Die Fußballwelt ist noch nicht ganz aus den Angeln gehoben. Um Real Madrid zu besiegen, bleibt Union trotzdem noch ein Rückspiel im Champions-League-Ausweichquartier Berliner Olympiastadion. Auch wenn sich so mancher Köpenicker dort wohl weniger zuhause fühlt als am Mittwoch im Santiago Bernabéu.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.