Steuereinnahmen in der Ukraine: Fitnessgeräte für die Kriegsmoral

Ein Fahnenmast, eine neu gepflasterte Hauptstraße in Frontnähe: Dafür geben Kommunen in der Ukraine Geld aus. Und was ist mit dem Militär?

Soldat mit Waffe läuft zu einem Lkw.

Eine Folge des Krieges: Ukrainischen Soldaten sorgen in vielen Kommunen für hohe Steuereinnahmen Foto: Yevhenii Zavhorodnii/reuters

LUZK taz | Es ist der größte Skandal in Kiwerzi, einer Stadt in der Westukraine: Das Stadtparlament hatte vor, das örtliche Fußballfeld und die Aschenbahn für 146 Millionen Hrywnja (umgerechnet 3,5 Millionen Euro) instand zu setzen. Viele Einwohner waren außer sich: „Wie kann man in Zeiten des Krieges für so etwas Geld ausgeben?!“ Der Bürgermeister sagte dazu, man wolle Kiwerzi zu einer Hauptstadt des Sports machen. Soldaten aus seiner Stadt, die an der Front kämpfen, seien versorgt. Und überhaupt: Israel lebe seit Jahren unter Kriegsbedingungen, doch auch dort werde Geld für die Infrastruktur ausgegeben.

Allein der öffentliche Druck war in Kiwerzi schließlich so groß, dass eine Ausschreibung für die Renovierung des Sta­dions abgeblasen wurde. Gleichwohl steht der Fall beispielhaft für die Lage vieler Städte und Gemeinden in der Ukraine, was heißt: Die Kassen sind seit Beginn von Russlands Angriffskrieg gut gefüllt, und das Geld muss ausgegeben werden.

Ihre wichtigste Einnahmequelle ist dabei die Einkommensteuer – sie macht 18 Prozent aus. 2020 belief sich die Summe auf insgesamt umgerechnet 11,5 Milliarden Euro. Für das laufende Jahr wird mit Einnahmen von 14,6 Milliarden Euro gerechnet. Laut Wirtschaftsexperten liegt das an den gestiegenen Steuereinnahmen durch mehr Soldaten.

Zahl der Soldaten hat sich erhöht – wie die Steuereinnahmen

In der Region Wolhynien etwa, wo Kiwerzi liegt, verzeichnen die kommunalen Haushalte in diesem Jahr im Vergleich zu 2021 ein Einnahmeplus von rund 24 Millionen Euro. Wegen der Mobilisierung hat sich die Personalstärke der ukrainischen Armee mehr als verdreifacht: von 250.000 auf über 800.000. Vielerorts sind Standorte von Militäreinheiten entstanden.

„In einigen Gemeinden gibt es Einheiten, die zusätzliche Steuern zahlen. Mitunter machen diese Einnahmen bis zu 90 Prozent des kommunalen Haushalts aus“, erklärt Andriy Lindjuk, ehemaliger Beamter in Wolhynien. Das sei einerseits gut, schwäche jedoch auch die Kommunen, sagt er. „Warum die Wirtschaft in der Region entwickeln, wenn der Haushalt bereits einen Überschuss aufweist?“

Leicht verdient ist dieses Geld natürlich nicht, immerhin zahlen die ukrainischen Truppen bei der Verteidigung ihres Landes einen hohen Blutzoll. Umso irritierter reagieren viele Ukrai­ner darauf, wofür die öffentliche Hand Geld ausgibt. In fast jeder Stadt der Ukraine stießen Journalisten auf teure Bauprojekte, Instandsetzungen und Anschaffungen. In Lwiw wurde die Schewtschenko-Straße für mehrere Millionen Euro rekonstruiert.

In Nischyn, Oblast Tschernihiw und unweit der Front, wurden auf der Hauptstraße neue Pflastersteine verlegt. In einem Dorf in der Region Donezk – das Kampfgebiet ist ebenfalls nah – kauften die Behörden für die Einwohner Fitnessgeräte, obwohl dort nur noch 50 Menschen leben. In Boryspil in der Region Kyjiw beschlossen die Behörden, einen Fahnenmast für mehr als 120.000 Euro zu erneuern. Vor allem in der Hauptstadt Kyjiw ließe sich die Liste beliebig lang fortsetzen.

Der Journalist Juri Nikolow, der Korruptionsfälle in der Ukraine aufdeckt, sagte gegenüber dem Webportal Liga.net, dass die Ausgaben vielfach gerechtfertigt seien. Denn niemand wisse, wie lange der Krieg noch dauern werde, und derartige Ausgaben wirkten sich positiv auf die Bevölkerung aus – die Menschen sähen, dass die Stadt „nicht verlassen“ sei. Dies sei wichtig, um die Moral während des Krieges aufrechtzuerhalten. Experten schreiben, dass auch die Chefs der Militärverwaltungen auf die lokalen Führungsspitzen Druck ausübten, Geld auszugeben, da alle auch für ihre politische Akzeptanz arbeiteten.

Das Gesetz lässt es nicht zu, Gelder aus kommunalen Haushalten an Freiwillige zu verteilen. Doch das Militär selbst kann die Kommunen um Hilfe bitten. „Sehr oft bitten Soldaten darum, etwas für die Armee anzuschaffen, sie wenden sich an die Führung der Gemeinden und bitten darum, dafür einen Teil der Einnahmen aus der Lohnsteuer zu verwenden“, sagt Lindjuk. Waffen und Munition schließt das jedoch aus. Anders wäre das bei einer Gesetzesänderung, nach der lokale Steuern an den Staatshaushalt abgeführt werden können – dann kann auch Kriegsgerät gekauft werden.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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