Psychologin über weibliche Wut und Musik: „Wut sucht sich einen Ausweg“

Josefa und Vera Schmidt haben einen Konzertabend zum Thema weibliche Wut konzipiert. Die Basis dafür bilden Psychologie und persönliche Erfahrungen.

Steg und Korpus eines klassischen Saiteninstruments liegen ohne Saiten auf einer Decke.

Wut bedeutet nicht immer, laut zu werden und etwas kaputt zu machen. Sie kennt auch differenziertere musikalische Ausdrucks­formen Foto: Portnoy333/pixabay CC

taz: Frau Schmidt, wie klingt die weibliche Wut?

Vera Schmidt: Vielseitig. Es ist wichtig, dass wir weibliche Wut mit allen Facetten und ihren Abstufungen betrachten. Das muss gar nicht immer dieses Stereotypisch-Aggressive sein. Es sind nicht immer die lauten Töne, die die Musik machen.

Sondern?

Bereits die Momente davor, in denen wir uns vertreten und unsere Stimme erheben. Besonders als weibliche Komponistin gehört schon Durchsetzungskraft dazu, um sich in der Öffentlichkeit zu beweisen. Allein dieser Schritt wurde in der Vergangenheit nicht ernst genommen und negiert.

Es geht also auch um Zwischentöne?

Genau. Wenn ich selbstbewusst meine persönlichen Grenzen schütze, beobachten Außenstehende vielleicht eine Art der Gereiztheit. Dahinter steckt aber die Wut, die sich komplex äußert. Es ist ein Klischee, dass Wut bedeutet, laut zu werden und irgendetwas kaputt zu machen. Als Psy­cho­lo­g:in­nen sind wir genau in der Betrachtung. Wir beobachten erst einmal Formen des wutgetriebenen Verhaltens. Da geht es darum, in sich hineinzuspüren und wahrzunehmen: Aha, ich bin wütend. Also muss wohl jemand eine Grenze verletzt haben. Diesen Schritt bewusst wahrzunehmen ist zentral für die Auseinandersetzung.

Und wie wird daraus ein Konzert?

Mit der Idee, dass ein Konzert wie gemacht dafür ist, innere Prozesse anzuregen. Meine Schwester und ich haben beide einen musikalischen Background. Ich habe mich aber beruflich zur Psychologie hin orientiert. Da wir immer noch die Liebe zur Musik teilen, kam die Idee auf, ein interdisziplinäres Projekt zu gründen, das psychologische Inhalte und persönliche Erfahrungen in einem Konzert vereint. Das ist eine Collage aus zeitgenössischer Klassik ausschließlich von Komponistinnen. Wir haben die fantastische Kontrabassistin Rebecca Lawrence als Gästin, die Regisseurin und Poetry Slammerin Aileen Schneider per Video zugeschaltet. Es ist dieses Zusammentreffen von vielen Künstlerinnen und Disziplinen, was den Abend besonders macht. Besonders wichtig ist uns die anschließende Gesprächsrunde. In der Vergangenheit waren das berührende Erfahrungen. Menschen haben viel von sich geteilt und sich untereinander ausgetauscht. Natürlich hat das etwas Empowerndes, diese Gemeinschaft zu spüren und sich zu verdeutlichen: Ich bin nicht allein damit.

Jahrgang 1990, ist Psychologin und werdende Psychotherapeutin, hat zuvor Geige und Komposition in Stuttgart und Lübeck studiert.

Wie fand die Wut zu Ihnen oder Sie zur Wut?

Wir sind ja als Musikerinnen in der klassischen Musikwelt sozialisiert. Das bringt eine gewisse Angepasstheit mit sich. Diese musikalische Ausdrucksform ist ja schon ganz … – brav ist ein unpassendes Wort.

Könnte man vielleicht sagen traditionell?

Ja. Und sehr hierarchisch. Es geht in der Klassik meist nicht darum, die realen, unbequemen Seiten hinter der Perfektion zu zeigen. Das ist auch darin begründet, dass man sich als weiblich gelesene Musikerin stark anpasst, um es möglichst gut zu machen.

Sie sprechen aus Erfahrung?

Wir haben gemerkt, in welchen Momenten wir problematische Dinge weglächeln. Und nicht unbequem sein wollen. Darüber haben wir uns definiert: dass wir eben die Unkomplizierten sind. Deshalb war dieses Projekt für uns persönlich spannend. Wir haben viel über uns gelernt und uns als Schwestern ausgetauscht.

Diese Haltung knüpft an Ihren weiteren Aktivismus an. Sie setzen sich auch für die Aufdeckung und Bekämpfung von Machtmissbrauch in der musikalischen Hochschulwelt ein.

Ja, das ist auch ein strukturelles Problem, dass an Orten, wo Machtgefälle herrschen, Machtmissbrauch stattfindet. So eben auch in der Musikhochschulwelt. Man ist in sehr engem Kontakt mit den Lehrenden. Das ist ein sehr körperbetonter Unterricht. Oft auch zu Hause, in privaten Räumlichkeiten der Professor:innen. Deshalb haben wir eine Gruppe gegründet, um Übergriffe speziell in der Klassikwelt öffentlich zu machen. In anderen Musikgenres ist das allgegenwärtig, leider kommen immer wieder schreckliche Taten ans Licht. Stichwort Till Lindemann.

Ich denke auch an die Initiative #Deutschrapmetoo, die speziell nur Fälle aus der deutschen Rap-Szene aufgreift.

Konzert „Female Rage“, Fanny-Hensel-Saal der Hochschule für Musik und Theater, Hamburg, 9. 2., 19 Uhr

Mit denen waren wir auch in Kontakt – und haben dann beschlossen, dass wir auch für die Klassikwelt ein eigenes Projekt starten müssen. Weil sie doch viele Besonderheiten hat, diese klassische Musikszene. Durch die Kampagne „Mapping Me Too“ wollen wir einen zentralen Ort schaffen, wo Menschen rote Flaggen setzen können. An den Orten, wo ein Übergriff stattgefunden hat. Das hat auch wieder mit dem Thema „Female Rage“ zu tun: Wir sind so wütend, wir müssen jetzt was tun. Wir können uns einfach nicht mehr still verhalten. Wirklich erschütternd sind die Einzelberichte, die uns erreichen. Da wird deutlich, dass noch viel mehr im Argen liegt. Viele Dinge werden von Betroffenen oft nicht erzählt, aus Scham oder aus dem Gefühl heraus, sowieso nichts dagegen machen zu können. Oder gar selbst daran schuld zu sein.

Wie äußert sich die Unterdrückung von weiblicher Wut auf psychologischer Ebene?

Ein gutes Beispiel ist dieses sogenannte hinterhältige Verhalten, das jungen Mädchen oft nachgesagt wird. Das hat auch was damit zu tun, dass junge Mädchen ihre Wut weniger vordergründig äußern können, somit auch weniger für ihre Bedürfnisse einstehen. Dann bleibt oft nur der Weg, das „hintenrum“ auszuleben. Auch selbstverletzendes Verhalten kann ein Mechanismus sein, aber auch eine Depression: Bei den meisten psychischen Verhaltenskrankheiten geht es darum, dass bestimmte Gefühle nicht zugelassen werden. Ich würde sagen, dass Wut oft eine ganz große Rolle spielt. Sie sucht sich einen Ausweg.

Welche feministischen Vorbilder haben Sie zu Ihrer Veranstaltung inspiriert?

Für uns war das Buch „Speak Out“ von Soraya Chemaly sehr inspirierend. Hier geht es vor allem darum, das Potenzial von weiblicher Wut zu erkennen und für sich zu nutzen. So kann Wut als Motor für Aktivismus fungieren. Und natürlich wurden wir von der Social-Media-Bewegung rund um Me Too beeinflusst.

Wann hört die Arbeit im Kulturbetrieb auf und wo fängt Familie an?

Da gibt es bei uns keine Trennung. Es werden nachts Whatsapp-Sprachnachrichten mit Ideen verschickt, für uns ist das aber eine sehr schöne Art der Zusammenarbeit, weil einfach so ein großes Vertrauen da ist. Natürlich gibt es mal Meinungsverschiedenheiten und es wird hitzig diskutiert. Wir ergänzen uns aber gut: Josefa ist die ausübende Künstlerin und ich mache eher den konzeptuellen Teil. Sie traut sich viel und macht Dinge eher direkt, während ich alles sehr zerdenke.

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