Nyege Nyege im Festsaal Kreuzberg: Vom Nil an die Spree

Rasant, punkig, experimentell: Das Afropollination-Projekt begann in Uganda und bringt jetzt Mu­si­ke­r:in­nen aus Afrika und Deutschland nach Berlin.

Zwei Frauen an elektronischen Mischpults

Binghi und Astan KA beim Proben auf der MS Stubnitz Foto: Ian Wainaina

BERLIN taz | Wer im vergangenen September aus dem fernen Berlin zu Nyege Nyege an den Ufern des Nils nach Uganda gereist war, dachte vorab, das legendäre Festival sei so etwas wie die Fusion Afrikas. Das erwies sich zumindest als nicht ganz richtig, zu (kulturell) unterschiedlich sind beide Veranstaltungen, Nyege Nyege ist etwa auch auf die Unterstützung von Sponsoren angewiesen.

Aber musikalisch war das Festival an den Itanda Falls in Uganda zweifellos eine Offenbarung, was die elektronische Undergroundszene Afrikas betrifft. Dazu trugen auch die Gäste des „Afropollination“-Projekts nicht unerheblich bei; ein Projekt der Berliner Agentur Piranha Arts und Nyege Nyege aus Kampala, das Künst­le­r:in­nen verschiedener Disziplinen, vor allem Pro­du­zen­t:in­nen und Musiker:innen, aus Afrika und Deutschland zusammenbrachte – darunter Astan KA.

Die 30-jährige, seit zehn Jahren in Berlin lebende franco-malische Sängerin und Performerin sagt, sie möge auch Afropop, aber ihre Identität sei durch Afropunk geprägt, der experimenteller sei, „edgier“.

In der Villa des Nyege Nyege Tapes-Labels in Ugandas Hauptstadt Kampala – bis vor Kurzem war sie noch ein sicherer Ort für die queere Szene der Stadt – waren die Afropollination-Mitwirkenden für ihre Residencies untergebracht. Das war der Grundstein für eine Vielzahl von Kooperationen, die im Januar auf der „MS Stubnitz“ in Hamburg fortgesetzt wurden – und obwohl es da ziemlich kühl war, schwärmen alle vom Aufenthalt in der Hansestadt (was auch der Gastfreundschaft von Felix Stockmar, dem Betreiber des Musikschiffs, geschuldet ist).

Schlusspunkt in Kreuzberg

Nach Konzerten in Dortmund (ausgerichtet von Cosmo/WDR) und auf der MS Stubnitz steht jetzt der feierliche Abschluss von Afropollination an – ein Wochenende im Festsaal Kreuzberg direkt neben der Spree, wo alle Beteiligten endlich einem größeren Publikum vorführen können, was sie im Laufe der Monate erarbeitet haben. Auch Astan KA freut sich schon darauf. Sie ist wohl eine der am besten geeigneten Personen, um zu beschreiben, worum es bei dem Austauschprojekt geht: um gegenseitige Befruchtung, Begegnung auf Augenhöhe.

Festsaal Kreuzberg, Am Flutgraben 2, 12435 Berlin – Indoor & Outdoor, Sa. 17. 6. (21 Uhr) & So. 18. 6. (16 Uhr). Am So. gibt es zur Einstimmung zwei Tanzworkshops.

Astan KAs Vater kommt aus einem kleinen Dorf im Elsass und ist Christ, ihre Mutter eine Muslima aus Mali. Das Leben zwischen den Welten empfindet Astan als eine Bereicherung und nennt sich ein „Kind der Versöhnung“. Während sie in Berlin viele traumatisierte Afrodeutsche getroffen habe, die ihre Wurzeln verleugnen, ermöglichten es ihr die Eltern, beide Seiten ihrer Herkunft als gleichberechtigt anzuerkennen.

Sie sagt, dass sie privilegiert aufgewachsen sei – davon will Astan KA der Heimat ihrer Mutter etwas zurückgeben. „Ich denke, Afrika braucht die Diaspora.“ Bei Afropollination wurde ihr die ruandische Singer/Songwriterin Binghi als Partnerin zugeteilt – ein „perfect match“ sei das gewesen, sagt Astan KA. Sie nennt ihre Musik spaßeshalber „Gangsta Jazz“. Und der sei genauso „futuristic“ wie „anchestral“. Auch Astans Partner Exocé ist als Performer und Tänzer an Afropollination beteiligt.

Freuen kann man sich im Festsaal Kreuzberg ebenfalls auf den Heavy-Bass-Sound von Chrisman, der inzwischen die Nyege Nyege-Studios leitet, und auf DJ Mp3, der den neusten Gqom aus Durban am Indischen Ozean im Gepäck hat. Zwar ist der luftige Ampiano-House in Südafrika die Musik der Stunde, doch der düstere Gqom ist es allemal wert, international mehr Beachtung zu finden.

Der Sound der Armenviertel

Die vielleicht heißeste Musik kommt aus Tansania: Singeli, der Sound der Armenviertel Daressalams. Vom traditionellen Taarab beeinflusste, auf Suaheli gesungene Songs (wenn sie überhaupt Vocals haben), die trashige Synthie-Loops und Soukous-Samples auf ungeahnte Geschwindigkeiten treiben – Beats mit über 200 bpm sind hier ebenso die Regel wie eine Cyberpunk-Ästhetik, bei der viele MCs Namen von Antivirus-Software tragen. Singeli sei die „womöglich räudigste, lauteste und schnellste aller afrikanischen Dancehall-Varianten“, schreibt der Journalist Jonathan Fischer.

Nach Berlin kommen mit Sisso und Maiko zwei Pioniere des Genres. Sisso hatte 2017 mit seinem bei Nyege Nyege Tapes als Kassette veröffentlichten Album „Sounds of Sisso“ den Singeli erstmals über Tansania hinaus ins Gespräch gebracht.

Ein Highlight dürfte auch der Auftritt von DJ Diaki (Mali) und Jay Mitta (Tansania) werden. Schon zu Jahresanfang haben sie beim CTM-Festival zusammen mit der Wahlberliner Produzentin Zoë Mc Pherson das Berghain gerockt. Zu Beginn gab es da zwar einen Moment der Überraschung, bis das Publikum begriff, dass es den rasanten digitalisierten Balafon-Kaskaden von Diaki im Mix mit dem ähnlich schnellen Singeli von Jay Mitta und der elektronischen Unterfütterung durch Zoë nur angemessen begegnen kann, indem mensch seinen Körper in Bewegung versetzt, sich schüttelt und bis zum letzten Trommelschlag nicht mehr damit aufhört.

Wer am Samstag und Sonntag in den Festsaal Kreuzberg kommt, sollte darauf vorbereitet sein. Es werde „insane“ werden, frohlockt Astan KA. Wer das verpasst, ist selber schuld.

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