Lücken der Gedenkkultur: Die vergessenen Toten

Die Wanderausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ basiert auf Interviews mit afrikanischen Veteranen.

Kolonialsoldaten der britischen Armee beim Training. Bild: Ausstellung/IWM

BREMEN taz | Vor 75 Jahren begann der zweite Weltkrieg – und an diesem Jahrestag hängt bereits das erste Problem. Denn laut der Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“, die ab Montag in der unteren Rathaushalle zu sehen ist, begann der Krieg bereits 1935 mit dem Angriff Italiens auf Äthiopien. Die Ausstellung kritisiert so einen eurozentrischen Blick, der sich um die Kriegsopfer in der Dritten Welt nicht schert und auch um die Regionen nur wenig, in denen sie ums Leben kamen.

Randnotizen sind das wahrlich nicht: In China beispielsweise kamen mehr Menschen ums Leben als in Deutschland, Italien und Japan zusammen. Außerdem wurden weltweit kriegsnotwendige Rohstoffe und Lebensmittel für die Versorgung der Truppen geplündert, oft auch die Bevölkerung selbst – als Lastenschlepper, Zwangsprostituierte oder Spurensucher. Auf der offiziellen Eröffnung am Dienstag werden auch BremerInnen afrikanischer Herkunft von ihren Geschichtsbildern über den Zweiten Weltkriegs berichten.

Opfer, Täter und Befreier

Dass die öffentliche Debatte und auch Fach-HistorikerInnen einen Schwerpunkt auf deutschen Verhältnisse legen, sei grundsätzlich richtig, sagt Olaf Bernau, der das Bremer Gastspiel der Wanderausstellung organisiert. „Aber trotzdem blendet man damit etwas aus. Für die Befreiung Europas vom Faschismus haben auch Soldaten aus der Dritten Welt ihr Leben gelassen, ohne dass ihnen jemand dafür gedankt hätte.“

Ein vielseitiges Programm begleitet die Ausstellung, die am 2. 9. um 19 Uhr im Rathaus eröffnet wird.

7. 9., 17.30 Uhr, das City 46 zeigt den Spielfilm "Tage des Ruhms"

9. 9., 19 Uhr, Überseemuseum: "Ruanda - Weiterleben nach dem Genozid"

11. 9., 19 Uhr, DGB-Haus, Diskussion: "Kongo - Wege aus der Ausbeutungs- und Gewaltspirale"

14. 9., 17.30 Uhr, das City 46 zeigt den Dokumentarfilm "Blutsbrüder - Soldaten des Empire"

18. 9., 19 Uhr, Überseemuseum: "Der Zweite Weltkrieg als Herausforderung gemeinsamer Erinnerungsarbeit"

21. 9., 17 Uhr, das City 46 zeigt die Doku "63 Jahre später..."

Weitere Infos: www.afrique-europe-interact.net

Im Rathaus informieren Schautafeln, Filme und Hörstationen über Inder, die in Frankreich gegen die Wehrmacht kämpften, Brasilianer auf Einsätzen in Italien oder diverse Guerillatruppen, die in Asien gegen ehemalige Kolonialherren und neue Besatzer kämpften.

Aber nicht nur von Opfern, auch von Kollaborationen mit dem Faschismus ist die Rede: Eine Tafel behandelt Mohammed Amin al-Husseini, den Großmufti von Jerusalem, der als Hitlers Gast in Berlin war, sich am Holocaust beteiligte und Zehntausende muslimische Freiwillige für die SS rekrutierte.

Auch andere antikoloniale Bewegungen sympathisierten mit den Faschisten und Hunderttausende meldeten sich freiwillig zum Kriegsdienst. Wegen dieser Darstellung war die Ausstellung bereits vor ihrer Fertigstellung umstritten: Anti-RassistInnen hatten kritisiert, es werde zwischen „guten und bösen Wilden“ unterschieden. Das reproduziere rassistische Stereotype anstatt sie abzubauen.

Ganz nachvollziehen kann Bernau das nicht. Schließlich hätten die AusstellungsmacherInnen durchweg die Perspektive der Betroffenen eingenommen – schon weil die westliche Fachwissenschaft sich nie wirklich mit diesem Themenkomplex auseinandergesetzt habe.

Afrikanische Veteranenverbände waren die ersten, die sich überhaupt dazu geäußert haben. Über zehn Jahre hat das „Rheinische JournalistInnenbüro“ in über 20 Staaten recherchiert und mit ZeitzeugInnen gesprochen. So entstand das Buch „Unsere Opfer zählen nicht“, auf dem die Ausstellung basiert.

Diskutiert haben die Bremer OrganisatorInnen um die Vereine „Arbeit und Leben“ und „Bremer Entwicklunspolitisches Netzwerk“ das Problem trotzdem. Eine eigene Tafel problematisiert nun etwa den Begriff „Dritte Welt“, den der Antifaschist Frantz Fanon als Empowerment und als eigene Position jenseits realsozialistischer und kapitalistischer Blockkonfrontation verstand. Heute werde er aber tatsächlich leicht als Hierarchisierung gelesen, so Bernau.

Vom Krieg zum Völkermord

Neben dem Veranstaltungsprogramm werden auch Führungen für Schulen angeboten. Und um SchülerInnen ging es von Anfang an: Der Themenkomplex spielt in Lehrplänen und Schulbüchern keine Rolle, weil der Nationalsozialismus nicht an konkreten Kriegshandlungen, sondern vor dem Hintergrund der scheiternden Weimarer Demokratie verhandelt wird.

Doch nicht nur der Demokratie-Kollaps hatte Auswirkungen weit über das Jahr 1945 hinaus: Im Rahmen der Ausstellung wird es beispielsweise eine Veranstaltung zum Völkermord in Ruanda des Jahres 1994 geben, der – so heißt es in der Ankündigung – undenkbar wäre ohne die Zwangsrekrutierung von Soldaten in Afrika, die verschärfte Ressourcenausbeutung oder die Zurichtung der Landwirtschaft auf Exportbedürfnisse der kriegsführenden Industrieländer.

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