Landesamt für Einwanderung in Berlin: Das Geschäft mit der Termin-Not

Dubiose Start-ups haben einen neuen Markt erschlossen: das wohl bot-basierte Abgreifen und Verkaufen der raren Termine des Landeseinwanderungsamts.

Wartende Menschen stehen vor dem Landesamt fuer Einwanderung in Berlin

Für nicht wenige Betroffene ein Ort des Schreckens: Das Landesamt für Einwanderung in Moabit Foto: Janine Schmitz/photothek/imago

BERLIN taz | Für das Online-Geschäftsmodell, das darauf basiert, ein öffentlich verfügbares und kostenloses Gut zu Geld machen, wurde schon vor Jahren ein treffender Begriff geprägt: Jerk-Tech, also Arschloch-Tech. Das berühmteste Beispiel ist dafür der florierende Handel mit den raren Terminen in Berlins Bürgerämtern. Nun hat das Phänomen nach taz-Informationen auch das Landesamt für Einwanderung (LEA) erreicht.

Zu wenig Personal für zu viele Fälle, dazu ein Online-Terminbuchungsverfahren, das als Totalausfall gilt: „Die Behörde steht am Limit und eine Terminbuchung gleicht einem Lottogewinn“, sagt Jian Omar, Sprecher für Migration und Flucht der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zur taz.

Das Amt selbst weiß nur zu gut um die „anhaltende Terminknappheit“. Auf taz-Nachfrage teilt das LEA mit, dass „es aktuell Wartezeiten auf einen regulären freien Termin von bis zu sechs Monaten“ gebe. Und die Termine, die täglich online bereitgestellt würden, seien stets „binnen kürzester Zeit ausgebucht“. Man sei, wie alle für die Umsetzung des Aufenthaltsrechts zuständigen Verwaltungen, eben „extrem belastet“, heißt es aus der Ausländerbehörde.

Nun steht das Terminvergabe-System des sich selbst als Willkommensbehörde bezeichnenden Landesamts schon länger in der Kritik. So sei es ein Unding, so Grünen-Politiker Omar, „dass mehrere Termine von einer Person gleichzeitig gebucht werden können“. Er spricht mit Blick auf das Online-Verfahren von „gravierenden technischen Defiziten“.

„Jetzt für nur 50 Euro“

Genau diese Defizite sind es letztlich, die inzwischen mehrere Start-ups auf den Plan gerufen haben, die aus der zum Teil verzweifelten Terminsuche Profit schlagen. Die Website appointmentsberlin.com etwa verspricht, Termine beim LEA innerhalb von einer bis maximal drei Wochen zu organisieren – „jetzt für nur 50 Euro“.

Das Verfahren ist simpel: Man meldet sich über ein Onlineformular mit verhältnismäßig wenigen Angaben an und bekommt eine Bestätigungsmail, in der darauf hingewiesen wird, dass die Vorauszahlung „nicht zwingend erforderlich“ ist. „Aber Kunden, die uns im Voraus bezahlen, haben Vorrang vor anderen.“ Letzteres sei rasch „über den untenstehenden Link“ erledigt. Visa-Karte, Paypal oder Überweisung auf das Konto eines Online-Geldtransfer-Services in Brüssel, kein Problem. Empfehlenswert für alle, die „es eilig haben“, heißt es.

Und bei der Ausländerbehörde haben es eigentlich alle eilig, die einen Aufenthaltstitel beantragen oder verlängern müssen. „Ohne gültigen Aufenthalt können sie nicht verreisen, keine Ansprüche geltend machen und keine Arbeit aufnehmen“, sagt Jian Omar. Die Menschen „befinden sich in einer frustrierenden, ohnmächtigen Warteschleife, die ihre Rechte und Möglichkeiten in Deutschland massiv einschränkt“.

Auch Martina Mauer vom Flüchtlingsrat Berlin nennt es „absolut inakzeptabel“, dass Leistungsbehörden ihre Zahlungen einstellen, Menschen ihre Arbeit oder ihre Wohnungen verlieren, nur weil das zuständige Amt mit der Verlängerung der Aufenthaltsdokumente nicht hinterherkommt. Dass sich angesichts der Not ein Markt für kommerziellen Terminhandel entwickelt habe, wundere sie nicht.

„Wir kennen viele Menschen, die extra An­wäl­t:in­nen beauftragen, um einen Termin beim Landeseinwanderungsamt zu erhalten“, berichtet Mauer der taz. „Das ist am Ende vergleichbar, denn die An­wäl­t:in­nen müssen auch bezahlt werden.“ Ob An­wäl­t:in­nen oder Jerk-Tech: Es sei „ein Skandal, dass die Praxis des LEA den betroffenen Menschen kaum mehr eine andere Wahl lässt, als Geld für die Terminvermittlung zu zahlen“.

Ein Impressum gibt es nicht

Wie viele Termine letztlich über Online-Anbieter verscherbelt werden, lässt sich nicht sagen. Bei einem Besuch der taz beim LEA am Friedrich-Krause-Ufer in Moabit wollte zwar niemand zugeben, den heiß begehrten Termin gegen Geld erhalten zu haben, dass es das Angebot gibt, ist jedoch bekannt.

Wer genau hinter den diversen Webseiten steckt, ist unklar. Ein Impressum gibt es nicht. Die Anbieter operieren vom Ausland aus, heißt es vom LEA. Mehr wisse man nicht. Auch die Frage, wie genau die wenigen zeitnahen freien Termine sofort abgegriffen werden können, kann man nicht beantworten: „Dem LEA ist nicht bekannt, ob der Betreiber sich dabei einer bot-basierten Software zur automatisierten Terminbuchung bedient oder Arbeitskräfte aus einem Niedriglohnland zur manuellen Terminbuchung einsetzt.“

Rechtlich könne man dagegen auch nichts unternehmen, heißt es weiter: „Nach juristischer Prüfung des LEA ist es grundsätzlich nicht strafbewehrt, wenn kommerzielle Drittanbieter gegen ein Entgelt die Suche nach freien Terminen und das Buchen von Terminen in der Online-Terminvereinbarung des LEA übernehmen.“

Technische Maßnahmen werden überwunden

Jian Omar will sich mit dem Achselzucken der Behörde nicht zufriedengeben. Das Geschäft mit der Not der Menschen ist für den Grünen-Politiker ein „absoluter Skandal“. „Ich erwarte, dass die Innenverwaltung und das Landesamt für Einwanderung umgehend tätig werden und gegen diese dubiosen Machenschaften vorgehen“, sagt Omar. Der Terminhandel müsse umgehend gestoppt werden.

Auch hier streckt das LEA allerdings die Waffen. Man versuche, dem Phänomen „laufend“ mit technischen Maßnahmen zu begegnen. Es sei aber „leider festzustellen, dass die technischen Maßnahmen nach einiger Zeit wieder überwunden werden“.

Für „eilbedürftige Fälle“, die auch ohne Zahlung von 50 Euro an suspekte Start-ups im Ausland „bevorzugt und auch zeitnah bedient werden“ wollen, hat das Amt dann auch noch einen Tipp: „In den Kontaktformularen des LEA gibt es dafür eine Rubrik ‚eiliger Termin/Notfall‘.“ Sofern denn die Terminbuchungsseite überlastungsbedingt nicht gerade mal wieder ausgefallen ist.

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