Krieg in Nahost: Der Erste zieht Konsequenzen

Der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes ist wegen des Versagens um den 7. Oktober zurückgetreten. Andere bleiben.

Portrait von Aharon Haliva in Militäruniform vor einer israelischen Flagge

Aharon Haliva, der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, ist zurückgetreten Foto: IDF Spokesperson's Unit/CC BY-SA 3.0

BERLIN taz | Er trage diesen schwarzen Tag mit sich, schrieb Aharon Haliva in seinem Rücktrittsgesuch. Mehr als ein halbes Jahr nachdem die radikal­islamische Hamas am 7. Oktober Israel überfallen und ein Massaker verübt hat, ist der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes zurückgetreten. Das Militär gab dies am Montag bekannt. Neben den zwei zivilen Geheimdiensten des Landes – dem Inlandsgeheimdienst Schin Bet und dem Auslandsdienst Mossad – hat Israel auch einen militärischen Geheimdienst, der unter dem Akronym Aman bekannt ist.

Haliva ist mit diesem Schritt der erste ranghohe Verantwortliche, der angesichts einer langen Kette von Fehlern des Sicherheitsapparats, die das Massaker am 7. Oktober ermöglichten, diese Konsequenz zieht. Bereits im Oktober hatte er persönliche Verantwortung für das Versagen übernommen – im Gegensatz zur politischen Führung, allen voran Regierungschef Benjamin Netanjahu. In einem Tweet hatte dieser im Oktober implizit die Sicherheitschefs beschuldigt, wofür er damals scharf kritisiert wurde.

Haliva, der zunächst im Amt bleiben wird, bis ein Nachfolger gefunden ist, forderte eine staatliche Untersuchung der Fehler, die den 7. Oktober ermöglichten. Interne Untersuchungen des Militärs laufen bereits. Die Ergebnisse sollen Armeechef Herzl Halevi im Juni präsentiert werden. Mit möglichen Fehlern der politischen Führung befassen sie sich allerdings nicht. Re­gie­rungs­ver­tre­te­r*in­nen hatten nach dem 7. Oktober darauf bestanden, dass Untersuchungen erst nach dem Ende des Kriegs gegen die Hamas durchgeführt werden.

Die bereits laufenden internen Untersuchungen des Militärs sind aufgeteilt in drei Phasen. Ein Teil beschäftigt sich mit den Jahren vor dem 7. Oktober seit dem letzten Gazakrieg im Jahr 2014; ein weiterer untersucht die Tage vor dem Angriff vom 1. bis zum 7. Oktober und ein dritter Teil dreht sich um die letzten Stunden vor dem Angriff und um das Vorgehen des Militärs während des Massakers selbst.

Der 7. Oktober überraschte nicht alle

Wie groß das Versagen des Sicherheitsapparats im Vorfeld war – und wie gut der Militärgeheimdienst über die Pläne hätte unterrichtet gewesen sein können –, wurde einige Wochen nach dem 7. Oktober deutlich. Für fast alle Israelis kam der Angriff überraschend. Für einige Soldatinnen, die an der Grenze zum Gazastreifen stationiert waren, allerdings nicht. Sie hatten die Grenze rund um die Uhr überwacht und verschiedenen Medienberichten zufolge bereits Monate vor dem 7. Oktober gesehen, wie Hamas-Kämpfer für das Szenario trainierten, das am 7. Oktober Wirklichkeit wurde.

Sie sahen Trainingseinheiten, die die Hamas-Terroristen auf diesen Tag vorbereiteten: wie sie Kameras am Grenzzaun demontieren würden, wie sie Armeestützpunkte übernehmen würden und wie Fahrzeuge über die Grenze fahren würden, um mit Geiseln zurückzufahren. Doch die Vorgesetzten ignorierten Berichten zufolge deren wiederholte Hinweise und ermahnten sie, sie nicht weiter damit zu belästigen. Einige Israelis erhoben Sexismusvorwürfe.

Viele werfen dem Sicherheitsapparat außerdem vor, die Hamas auf fatale Weise unterschätzt zu haben. Dazu passt auch der Umgang mit einem Dokument, das Medienberichten zufolge mehr als ein Jahr vor dem 7. Oktober bereits in israelischen Sicherheitskreisen zirkulierte: das sogenannte Jericho-Papier, ein 40-seitiger Schlachtplan der Hamas für den Terroranschlag. Doch israelische Militär- und Geheimdienstbeamte wiesen den Plan als zu ambitioniert für die Hamas zurück.

Die Vorwürfe reichen über den 7. Oktober hinaus. Viele Ana­lys­t*in­nen werfen dem Sicherheitsdienst vor, auch die Folgen eines Luftangriffs auf ein Gebäude auf dem iranischen Botschaftsgelände in Damaskus am 1. April massiv unterschätzt zu haben. Dabei wurden mehrere, teils hochrangige Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden getötet. Der Angriff brachte den Nahen Osten an den Rand eines Flächenbrands.

Die Rufe, dass weitere Ver­tre­te­r*in­nen der Sicherheitsbehörden persönliche Konsequenzen ziehen, dürften nun noch lauter werden – und die Proteste auf den Straßen, die den Rücktritt der Regierung fordern, wachsen. Solange der Krieg im Gazastreifen weitergeht, deutet allerdings wenig darauf hin.

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