Konzert von Mitski in Berlin: Leises Schluchzen im Herbst

TikTok-Alarm in Berlin: US-Emokünstlerin Mitski präsentiert ihr gefühlvolles neues Album „The Land is Inhospitable“ im ausverkauften Kino Babylon.

Mitski am Mikrofon, eingerahmt von ihren Begleitmusikern auf der Bühne vom Kino Babylon

Mitski mit Akustikband am Samstagabend in Berlin Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

BERLIN taz | Gute 150 Meter misst die Schlange, die sich am frühen Samstagabend rund um das Kino Babylon Berlin windet. Ganz vorne stehen dabei Maria und Sebastian, die bereits seit 10 Uhr morgens am Rosa-Luxemburg-Platz warten. Beide kommen aus Mexiko und studieren derzeit in Deutschland. Ihre Tickets kosteten deutlich über dem eigentlichen Verkaufspreis.

Hat sich das Warten auf Mitski gelohnt? Für Konzerte im Rahmen ihrer „Amateur Mistake“-Tour hat die 33-jährige US-Künstlerin kleine, oftmals historische Konzertsäle in ausgesuchten Städten rund um die Welt ausgewählt. Das ließ die Nachfrage nach den Tickets enorm steigen, Mitskis Berliner Auftritt war innerhalb von Minuten ausverkauft. Schließlich erfreut sich Mitski Miyawaki vor allem bei der Generation TikTok. Ihr Song „My Love Is All Mine“ ist derzeit einer der populärsten Lieder der Plattform.

Dabei entzieht sich Mitskis Songwriting eigentlich der Snippet-Ökonomie von Social Media. Ihre Klangsignatur steht für hochemotionale Songs, deren Texte Themen wie Einsamkeit und unerwiderte Liebe umkreisen. Vermutlich sind es diese Sujets, die Mitski für ihre Fans zur Identifikationsfigur machen.

Warten aufs Idol

Aufgekratzt warten sie im Saal des Babylon auf ihr Idol. Sie fotografieren sich vor der Bühne, trinken Wein und essen Popcorn, während die hauseigene Organistin zur Einstimmung etwas herumklimpert. Um kurz vor neun kommt Mitski dann über eine Bodentreppe auf die Bühne, die Fans kreischen aufgeregt. Mit von der Partie sind Patrick Hyland an der Gitarre sowie Jeni Magana am Kontrabass. Miyawaki trägt eine Jeans, dazu ein schlichtes T-Shirt. Bevor sie mit dem ersten Ton des Auftaktsongs „Bug Like An Angel“ einsetzt, hört man sie tief atmen.

Das reduzierte Setting betont die Feinheiten von Mitskis Kompositionen. Während das Synthpop-Album „Laurel Hell“ eher verhaltene Kritiken erhielt, wird das kürzlich erschienene Album „The Land Is Inhospitable And So Are We“ von vielen gefeiert. Mitskis Songwriting klingt hier bestechend, was auch an der halligen Produktion de Songs liegt, wodurch auch Americana-Fans angesprochen werden.

In voller Länge trägt Mitski am Samstagabend im Kino Babylon Berlin die elf Tracks des Albums vor. Gitarre und Kontrabass können deren teils orchestrale Instrumentation zwar nicht ersetzen, dafür bieten sie genug Raum, damit Mitski mit ihrer Stimme brillieren kann. Die klingt in ihrem Alt- und Mezzosopran-Register noch präziser und deutlicher als auf Konserve.

Gestische Untermalungen

Während Mitski in ihren Konzerten oftmals Performance-Elemente einbaut, spielt sie bei ihrem Akkustikauftritt mit gestischen Untermalungen. Besonders eindrucksvoll geschieht dies bei „I Don’t Like My Mind“. Zu den Zeilen „And on an inconvenient Christmas / I eat a cake/ A whole cake all for me / And then I get sick and throw up“ führt sie ihre Hand entlang ihres Körpers, umschlingt ihren Bauch. Bei der schummrigen Country-Ballade „Heaven“ fixiert sie ihren Blick Richtung Decke, auch ihre Arme streben himmelwärts.

Zum Ende des Songs richtet sie die gehauchten Gesangshooks mit intensivem Blickkontakt ans Publikum. Besonders beim Hit „My Love Mine All Mine“ werden die Handykameras gezückt. Ansonsten wirken die jungen Fans unglaublich konzentriert, devot, aber auch emotional bewegt.

Immer wieder hört man in den ruhigen Passagen leise Schluchzer. Einige lehnen sich bei ihrer Begleitung an. In kurzen Ansprachen interagiert die 33-jährige Mitski mit dem Publikum. Während sie sich bei der Performance distanziert gibt, ist sie in ihren Ansprachen persönlicher. Neben dem vollständigen Album „The Land Is Inhospitable“ spielt sie auch ältere Tracks.

Bevor sie solo mit Akustikgitarre den Publikumsliebling „A Burning Hill“ vom 2016 veröffentlichten Album „Puberty 2“ anstimmt, bedankt sie sich beim Publikum fürs Zuhören. Sie fühle sich weniger allein und voller Liebe, wenn sie ihre Songs live spiele. Auch für die Fans ist der Abend in Berlin mit Mitski mehr als bloß ein Konzert. Er ist ein Safe Space fernab der Realität, in der Emotionalität und Verletzlichkeit kaum gefragt sind. Nach knapp einer Stunde strömt das Publikum beseelt, teils verheult in den Herbstregen.

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