Kommentar EU-Beitritt der Türkei: Ein Wahlgeschenk für Erdoğan

Schulz' Idee, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, ist billiger Populismus. Und: Sie spielt den Falschen in die Hände.

Ein Mann mit Anzug und Sonnenbrille

Könnte die EU zum Sündenbock seiner Abkehr von Europa machen: Recep Tayyip Erdoğan Foto: reuters

Das war also der große Coup, den sich Martin Schulz für das TV-Duell bereitgelegt hatte: Der SPD-Kanzlerkandidat will den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Was für eine mutige Forderung! Der traut sich was, oder? Immerhin ist es ihm damit gelungen, Angela Merkel für einen kurzen Augenblick aus der Fassung zu bringen. Allerdings nicht nur sie. Denn Schulz’ markiger Auftritt steht nicht nur in eindeutigem Widerspruch zu den bisherigen Grundpositionen der SPD und zu ihrem aktuellen Wahlprogramm, er ist auch billiger Populismus.

Schulz bedient den deutschen Stammtisch. Er spielt jenen in die Hände, die schon immer gegen einen EU-Beitritt der Türkei waren – egal wer gerade in Ankara regiert. Damit verrät er Millionen Menschen am Bosporus, die unter schwersten Bedingungen weiterhin für demokratische Verhältnisse kämpfen. Denn ihr Kampf war stets mit der europäischen Perspektive verknüpft. Schon bisher litten sie unter der fehlenden Ernsthaftigkeit, mit der die EU verhandelt hat. Zu Recht hat die SPD – ebenso wie Grüne und Linkspartei – in der Vergangenheit diese fatale Politik immer wieder angeprangert.

Der Abbruch der Verhandlungen durch die EU würde nur einem nutzen: Recep Tayyip Erdoğan. Denn dann kann der Autokrat auch noch die EU zum Sündenbock für die von ihm ohnehin angestrebte Abkehr von Europa machen. Diesen Gefallen wollte ihm die SPD bislang verweigern. Das gilt jetzt nicht mehr – aus durchschaubaren wahlkampftaktischen Gründen. Ein mieses Spiel. Schulz hätte den türkischen Demokraten Mut machen müssen, er hat das Gegenteil getan.

Auffällig ist zudem, worüber der SPD-Kanzlerkandidat nicht gesprochen hat. Stopp der Rüstungslieferungen? Verweigerung von Hermesbürgschaften? Eine Reisewarnung? Kein Wort davon. Offenbar sind dem SPD-Kanzlerkandidaten die Interessen der deutschen Wirtschaft wichtiger, als wirksam ökonomischen Druck auf Erdoğan auszuüben. Für die deutschen Staatsangehörigen, die Erdoğan in Geiselhaft genommen hat, ist das eine schlechte Nachricht. Dass Schulz auch noch erklärte, das unsägliche Flüchtlingsabkommen mit der Türkei „auf keinen Fall“ aufkündigen zu wollen, passt nur allzu gut ins zynische Bild. Ein sozialdemokratisches Trauerspiel.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

Bei wieviel Prozent liegen die Parteien? Wer hat welche Wahlkreise geholt?

▶ Alle Zahlen auf einen Blick

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.