Kein Sport mehr bei „New York Times“: Mehr als Spielergebnisse

Die Sportredaktion der US-Zeitung „New York Times“ wird aufgelöst. Dabei hatte sie Sport stets als gesellschaftliches Phänomen begriffen. Was ist da los?

Gelbe Taxis fahren an Hochhäusern vorbei.

Koppelt fleißig aus: „New York Times“, Hauptgebäude in New York City Foto: Imago

Als George Vecsey vergangene Woche erfuhr, dass seine ehemalige Redaktion, die Sportredaktion der New York Times (NYT), nach mehr als 100 Jahren schließt, musste er nicht lange überlegen, woher er in Zukunft seine Sportnachrichten bezieht.

„Ich werde die Kolumnen von Sally Jenkins in der Washington Post lesen, europäischen Fußball im Guardian verfolgen“, sagte der preisgekrönte Reporter. Und über die New Yorker Mannschaften wird sich Vecsey in Zukunft bei der New York Post und beim New York Newsday informieren.

Was Vecsey nicht tun wird, ist, den Athletic lesen. Der Athletic ist jenes Sportportal, das die NYT vor gut anderthalb Jahren für 550 Millionen Dollar gekauft hat, um es gemeinsam mit ihrem Abo den Lesern als Digital-Paket anzubieten. Ab jetzt gibt es auf der NYT-Website nur noch Athletic-Sportnachrichten, im Einzelfall werden auch Artikel von Athletic für andere Ressorts der Printausgabe der NYT verwendet.

Vecsey interessiert das jedoch nicht. „Es gibt viele Portale mit Ergebnissen, Statistiken und Kommentaren.“ Sportberichterstattung für Fans eben, die wissen wollen, welches Team in der Liga nach oben trendet, welcher Trainer entlassen wird und wer auf dem Transfermarkt ist. Was es jedoch nicht oder kaum mehr gibt, ist das, was Vecsey unter Sportjournalismus versteht.

Er ist wie viele seiner ehemaligen Kollegen bei der NYT zuerst Journalist und erst in zweiter Linie Sportenthusiast. Bevor er begann, über Sport zu schreiben, berichtete er über Armut in den Appalachen. Später war er Korrespondent im Vatikan. Als Religionsexperte interviewte er unter anderem den Dalai Lama.

Versorgung mit täglichen Dramen

Als Sportreporter begleitete Vecsey Lance Armstrong und die Tour de France und zählte als einer der ersten Journalisten der USA zu den Skeptikern. Er begleitete die Dopingskandale im Baseball und war daran beteiligt, die Epidemie der Gehirnverletzungen im Football aufzudecken. Er interviewte Muhammad Ali und Martina Navratilova und schrieb eine Biografie des Baseballspielers Stan Musial, der sich als einer der wenigen weißen Spieler in den 50er Jahren für Integration in seinem Sport einsetzte.

Diese Art des Sportjournalismus, die Sport als gesellschaftliches und kulturelles Phänomen begreift, wurde von der NYT-Sportredaktion stets erwartet. Gleichzeitig musste man jedoch die Fans mit den täglichen Dramen versorgen, wie Vecseys ehemalige Kollegin Lynn Zinser vergangene Woche in einem vielbeachteten Blog-Post beschrieb. Als NYT-Sportredakteur, so Zinser, habe man ständig einen Drahtseilakt vollführen müssen.

Auf der einen Seite sollten die Chefs befriedigt werde, denen die Affinität für den sportlichen Alltag fehlte. Auf der anderen Seite hatte man die Leser zu bedienen. Dass nun ausgerechnet jener Sportjournalismus gekappt wird, der die NYT und wenige andere Medien von den Fanmedien unterschied, hält Zinser für eine große Ironie. „Die einzige Daseinsberechtigung des Athletic ist jene Art von Sportberichterstattung, für welche die Times eigentlich keine Geduld und keine Wertschätzung besitzt.“

Gleichzeitig haben jedoch die Medienmanager bei der NYT begriffen, dass es dafür einen großen Markt gibt. Indem man den NYT-Lesern den Athletic als Zusatz zum Abo anbietet, kann man jetzt diesen Markt abschöpfen, ohne sich dabei die Finger schmutzig zu machen.

Die Marke NYT bleibt davon somit unbefleckt. Unter die Räder kommt jedoch das Nischenprodukt des kritischen Sportjournalismus. Die 35 verblieben Sportredakteure werden von anderen Ressorts absorbiert.

Abo-Paket soll locken

Beinahe noch besorgniserregender als jene „Tragödie“ für den Sportjournalismus, wie es die Wochenzeitschrift The Nation beschrieb, ist jedoch der medienstrategische Trend des Auslagerns bestimmter Bereiche, also das Outsourcing klassischer Zeitungsressorts. Wie das Medienforschungsinstitut der Harvard University „Nieman Lab“ bemerkte, setzt die NYT voll auf das „Bundle“.

Das bedeutet, dass sich das Geschäftsmodell der Marke immer weiter vom klassischen journalistischen Angebot entfernt. Der Kunde wird dabei mit einem Abo-Paket gelockt: Man bekommt die NYT plus Kochrezepte plus Produktberatung plus Kreuzworträtsel plus Athletic in beliebiger Kombination.

Bis andere Informationsangebote wie Kultur, Lifestyle und irgendwann auch die Wirtschaftsnachrichten und Lokales ausgekoppelt werden, ist nur noch eine Frage der Zeit. Die Zeitung läuft so Gefahr, sich irgendwann aufzulösen.

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