Karneval der Kulturen: Multikulti immer noch im Trend

Hunderttausende schauten den bunten Festgruppen zu. Zwischen Party und Folklore gingen auch die politischen Inhalte nicht verloren.

Zwei Damen stehen links und rechts um einen Mann und lächeln in die Kamera. Der mann trägt ein Rot-Goldenes Karnevals-Kostüm mit Federn und Kopfschmuck. Die beiden Frauen traditionelle weiße Kleider aus Brasilien mit bunten Schürzen.

Marcos DesSantos hat sein Kostüm schon in Rio getragen. Jetzt feiert er in Berlin die Vielfalt Foto: Benjamin Probst

BERLIN taz |„Das Schwierigste war, das Kostüm ins Flugzeug zu bekommen“, sagt Marcos DosSantos lachend. Rote Federn schmücken seinen rot-goldenen Kopfschmuck, der ganz oben von grünen und weißen Pfauenfedern gekrönt wird. Er führt mit seinem Kostüm den Karneval der Kulturen an. Bereits zum 25. Mal zieht die Parade am Sonntag durch Kreuzberg. Er habe das Kostüm – mit dem er dieses Jahr schon auf dem Karneval in Rio auftrat – vor dem Flug komplett auseinandergebaut, erzählt Marcos, kurz bevor die Parade startet. Wegen der Metalldrähte habe er vor Abflug ein Formular unterschreiben müssen, aber nach drei Jahren Coronapause habe er den Umzug nicht verpassen wollen.

Was der Unterschied des Berliner Karnevals zu dem in Rio ist? „In Rio ist es eher ein Wettbewerb. In Berlin kann man einfach mitlaufen!“, schwärmt Maria DoSantos, die auch vorne mitläuft.Maria spiegelt damit das Motto der Kar­ne­va­lis­t:in­nen wider: Sie wollen einen „offenen Raum“ für ein Miteinander schaffen. Rund 550.000 Menschen haben sich nach Angabe der Ver­an­stal­te­r:in­nen miteinander bei strahlendem Wetter versammelt, um die kulturelle Vielfalt Berlins zu feiern. „Der Karneval der Kulturen ist keine Massenparty“, betonte Geraldine Hepp, die zusammen mit Aissatou Binger das Karnevalbüro leitet, bereits am Freitag gegenüber der taz.

Der Karneval wurde als Antwort auf die rassistischen Angriffe der 90er gegründet. Und auch wenn sich schon gegen Mittag die Pfandflaschen am Straßenrand stapeln – mit einem Müllaufkommen von ungefähr 70 Gramm pro Person sei der Karneval auch in der Hinsicht gar nicht schlecht, sagt Hepp.

Insgesamt 48 Gruppen stehen am Mehringdamm in den Startlöchern – von Samba- und Volkstanz- bis hin zu kulturpolitischen Gruppen. Diesmal sind es etwas weniger als noch vor Corona, und auch die Route ist verkürzt. Wegen des teuren Sicherheitspersonals und der Inflation plagen die Ver­an­stal­te­r:in­nen Geldsorgen. Die politische Bedeutung scheint trotzdem nicht unterzugehen. Sapucaiu no Samba in ihren grünen Baumkostümen und flammenroten Perücken erinnern an die Abholzung des Amazonas-Regenwalds, die Gruppe kul’tura aus der Ukraine ruft den Schaulustigen „Stand with Ukraine!“ entgegen.

Party oder doch Politik?

Die jungen Damen haben sich auf ihre schwarzen T-Shirts die Namen avantgardistischer ukrainischer Künst­le­r:in­nen gedruckt, die zu Sowjetzeit dem Westen fälschlich als russisch verkauft wurden. Die abstrakte Kunst haben sie sich umgehängt und ins Haar geflochten. „Wir kämpften an der Kulturfront“, sagt Isabealla Branco (30), die selbst nicht aus der Ukraine kommt, sich aber aufgrund ihrer Vorfahren mit dem Land verbunden fühlt. Während sich die Damen von der einen musenhaften Pose zur anderen bewegen, wird vorne ihr Wagen geschoben. Auch 27 andere Gruppen haben sich vom Diesel-Lkw verabschiedet. Sieben probieren es heute zum ersten Mal aus.

Kurz nach Start des Umzugs will das Publikum noch nicht lauthals in den Ruf der ukrainischen Gruppe mit einstimmen. Auch beim Tanzen hält man sich noch zurück. „Das kommt noch! Du riechst es ja schon, gleich geht es los!“, ruft Silvana, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, scherzhaft gegen die Musik an. Die 47-Jährige in Kleid und hellblauer Federboa ist mit ihren Kindern Julian und Annika vor Ort.

Der süßlich-beißende Geruch von Gras liegt in der Luft; inzwischen sind die ersten Wagen angerollt. Auch Silvana schätzt den Mitmachcharakter. Sie sei dieses Jahr das erste Mal in Mainz beim Karneval gewesen. „Ich hab meinen dortigen Freunden danach gleich geraten, nach Berlin zu kommen, hier kann man wenigstens mittanzen“, berichtet Silvana.

Die Anwohner feiern einfach mit

Wie die Anwohner das Treiben vor der Tür aufnehmen? Bei einer Hausnummer 50 haben sich die Einwohner mit Biertischen versammelt und halten ihr Hausfest ab. Etwas entfernt hat Akarsu Ayten ihren Friseursalon geöffnet. Sie macht Geschäft: Für 2 Euro bietet sie den Schaulustigen ihre Toilette an. „Wir sind multikulti“, sagt sie fröhlich über das Event.

Im laufe des Tages wird es immer enger, besonders bei der Kirche am Südstern, wo die Darsteller von der Jury auf Tribünen bewertet werden, zwängt man sich an den Absperrungen vorbei. Die Polizei – mit rund 1.200 Be­am­t:in­nen vor Ort – spricht im Nachhinein von einer insgesamt friedlichen und ausgelassenen Stimmung. Lediglich eine größere Körperverletzung gibt es um 17 Uhr Richtung Hasenheide. Die verletzte Person wird ins Krankenhaus gebracht.

Die letzte Gruppe läuft leicht verspätet gegen halb acht ins Ziel ein. Die Schaulustigen lassen sich aber nicht vertreiben. Es sei noch bis in die Nacht hinein gefeiert worden, bestätigt Hepp. Sie bewertet den Karneval als Erfolg. Aufbruchstimmung habe sich im Team breit gemacht: „Wenn man mit den Gründern von vor 25 Jahren geredet hat, war klar: Wir haben es geschafft! Der Umzug hat jetzt Traditionscharakter, das freut uns!“.

Für die Zukunft wünsche sie sich allerdigs mehr Rückendeckung: „Ich bitte darum, dass wir politisch eine Form der Unterstützung finden“, sagt sie. Wenn man immer so sehr spare, käme am Ende nur eine Party raus. Wichtig sei es aber, schon im Vorfeld mit den Gruppen zusammenzuarbeiten, betont sie.

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